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Thilo Sarrazin ist noch immer Mitglied der SPD.

© Ralf Hirschberger/dpa

Update

Wieder Wirbel um Sarrazin: Auftritt im SPD-Wahlkampf in Thüringen geplant

Der umstrittene Autor Thilo Sarrazin soll auf SPD-Einladung in Erfurt auftreten. Thüringens Parteichef Tiefensee ist verärgert.

Von Matthias Meisner

Der thüringische SPD-Landtagsabgeordnete Oskar Helmerich hat den umstrittenen Bestsellerautor und früheren Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin mitten im Wahlkampf nach Erfurt eingeladen und damit Parteifreunde in seinem eigenen Landesverband massiv verärgert.

Thüringens SPD-Chef Wolfgang Tiefensee ging auf Twitter klar auf Distanz zu Sarrazin, der nach mehreren gescheiterten Versuchen eines Parteiausschlusses nach wie vor Mitglied der SPD ist. Er distanziere sich "ausdrücklich und scharf" von seinen islamfeindlichen Aussagen, schrieb Tiefensee.

Mit gleicher Deutlichkeit ging Tiefensee auf Abstand zu Helmerich, der im Laufe der Legislaturperiode von der AfD zur SPD gewechselt war. "Die Buchlesung mit Sarrazin ist ein unabgesprochener Alleingang von Oskar Helmerich, keine Veranstaltung der Thüringer SPD", erklärte der SPD-Landesvorsitzende, der auch Spitzenkandidat seiner Partei bei der Landtagswahl ist. Er wolle bisherige AfD-Wähler durch kritische Auseinandersetzung zurückgewinnen, "nicht durch Anbiederung".

Auch die Landtagsfraktion versichert, an der Veranstaltung nicht beteiligt zu sein. Die Bundes-SPD erklärte auf Twitter: "Hier lädt nicht die SPD Thüringen ein, sondern ein einzelner Abgeordneter! Da bitten wir zu differenzieren."

Am 22. Mai, vier Tage vor der Europawahl und fünf Monate vor der Landtagswahl in Thüringen, soll der 74-jährige Sarrazin aus seinem islamkritischen Buch "Feindliche Übernahme" vorlesen und anschließend ein Streitgespräch mit Suleman Malik von der Erfurter Ahmadiyya-Gemeinde führen, wie die "Thüringer Allgemeine" am Samstag berichtete.

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Die in Erfurt erscheinende Zeitung zitierte Helmerich mit den Worten: "Thilo Sarrazin spricht vielen Menschen aus dem Herzen, die sich aufgrund einer Schweigespirale oft nicht mehr zu sagen trauen, was sie denken." Die Einladung sei "eine Maßnahme, die in das politische Konzept der Thüringer SPD passt, um Wähler zu werben, die zur AfD abgewandert sind". Eine Parteiausschlussdebatte fürchtet Helmerich nach eigenen Worten nicht.

Jusos fordern Absage der Veranstaltung

Thüringens CDU-Chef Mike Mohring kommentierte: "Den Aufschrei hätte ich erleben wollen, wenn das einer von uns gemacht hätte." Die thüringische Linken-Flüchtlingspolitikerin Sabine Berninger dankte Tiefensee für die Klarstellung. Diese reiche aber nicht. Sie forderte die Absage der Veranstaltung mit dem, wie sie sagte, "Salonrassisten" Sarrazin.

Ähnlich deutlich wurde Thüringens Juso-Chef Oleg Shevchenko. Er schrieb auf Twitter: "Sarrazin ist ein Rassist. Seine Thesen haben den Hass stärker gemacht und die Neue Rechte beflügelt. Sie sind das Gegenteil von Sozialdemokratie. Die Veranstaltung gehört abgesagt."

Helmerich 2014 für die AfD in den Landtag gewählt

Anfang März hatte Tiefensee im Tagesspiegel-Interview mit Blick auf den Umgang mit der AfD und ihren Anhängern erklärt: "Ich spreche mit denen, die aus Zorn und Protest AfD wählen, ohne sich darum zu kümmern, ob diese Partei gut für sie ist und ob sie ihre proklamierten Ziele umsetzt. Letztere finden sich in Ostdeutschland, weil die Verletzungen der Umbruchjahre nachwirken und es hier besonders viel Unmut gibt." Von diesen zu unterscheiden seien "nationalistische und explizit rechtsgerichtete" Wähler.

Der aus Deggendorf in Niederbayern stammende Rechtsanwalt Helmerich war früher selbst in der AfD. 2014 war er als Kandidat der AfD in den Erfurter Landtag gewählt worden. Nach dem Weggang von Parteigründer Bernd Lucke rückte er von der AfD ab, die sich in Thüringen unter Björn Höcke immer weiter radikalisierte. Im Mai 2015 verließ er die AfD-Fraktion, im Juli auch die Partei.

Der thüringische SPD-Landtagsabgeordnete Oskar Helmerich.
Der thüringische SPD-Landtagsabgeordnete Oskar Helmerich.

© Steve Bauerschmidt/Imago

Im April 2016 ließ er sich in die thüringische SPD-Landtagsfraktion aufnehmen - acht von elf Landtagsabgeordneten stimmten damals dafür. Sein Wechsel hatte sich zuvor im Erfurter Stadtrat angedeutet, wo ihn die SPD-Fraktion im Frühjahr 2016 als parteiloses Mitglied aufnahm. Damals ließ sich Helmerich mit den Worten zitieren: "An der SPD gefallen mir ihr demokratisches Grundverständnis und ihre politische Kompetenz in schwierigen Sachfragen."

Die Erfurter Jusos hatten 2016 vergeblich gegen die Aufnahme von Helmerich in die SPD plädiert. In einem Gastbeitrag auf ihrer Internetseite heißt es zu dem Fall, leider funktioniere die Thüringer SPD "nicht auf einer Wertebasis, sondern als feudale Zugewinngemeinschaft". Karrierechancen würden gegen Loyalität getauscht. "Da zählt dann jede Stimme mehr. Aber genau dies ist ja ein Teil der moralischen und politischen Substanzlosigkeit dieses Landesverbands."

Lob von Politikwissenschaftler Patzelt

Beifall für Helmerich gibt es vom politischen Gegner - in Person des Dresdner Politikwissenschaftlers Werner Patzelt, der am Landtagswahlprogramm der sächsischen CDU mitschreibt. Der "Thüringer Allgemeinen" zufolge bewertet Patzelt die SPD-Einladung an Sarrazin als Coup. Sarrazin habe als einer der ersten Politiker die politischen und gesellschaftlichen Probleme beschrieben, um die herum später die AfD groß geworden sei, sagte Patzelt der Zeitung.

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"Eine Diskussion über Themen, die die Gesellschaft bewegen, ist ein wichtiger Schritt, um die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden, und die Voraussetzung, um dem billigen Populismus der AfD etwas Substanzielles entgegenzusetzen", erklärte der Politikwissenschaftler weiter. Es gehe um die Herstellung der Kommunikation, die der Gesellschaft leider fehle. "Die Thüringer SPD gehört dafür gelobt und gepriesen." Patzelt ist in Sachsen auch in der CDU umstritten, er war vor seiner Berufung als CDU-Wahlhelfer wiederholt als Berater der AfD tätig.

In einer Umfrage zur Landtagswahl am 27. Oktober im Auftrag des MDR werden der SPD Thüringen aktuell elf Prozent prognostiziert. Die CDU kommt auf 28 Prozent, die Linke auf 24 Prozent und die AfD auf 20 Prozent. Die Grünen und die FDP bleiben mit acht beziehungsweise fünf Prozent im einstelligen Bereich. Der seit 2014 amtierende Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) muss um den Fortbestand der rot-rot-grünen Regierungskoalition fürchten.

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