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Politik: Wie stark muss Europa sein, Herr Struck?

Der Verteidigungsminister über neues deutsches Selbstbewusstsein, die Reform der Bundeswehr – und Emotionen in der Politik

Herr Struck, wie erlebt ein deutscher Verteidigungsminister den Krieg?

Inzwischen mit großer Erleichterung, dass offenbar die Kampfhandlungen zu Ende gehen und damit das Sterben von Soldaten und Zivilisten ein Ende hat. Andererseits nach wie vor mit dem Empfinden, dass dieser Krieg hätte vermieden werden können. Und angesichts der Opfer, der zivilen wie der Soldaten, immer wieder mit dem Ergebnis, dass es die Aufgabe eines Verteidigungsministers sein muss, Krieg zu vermeiden.

Es gab ja viele Befürchtungen, auch in der Bundesregierung, was dieser Krieg alles auslösen könnte. Waren die nicht alle übertrieben?

Über die Frage, wie lange ein solcher Krieg dauert, wie er verläuft, ob es zu Häuserkämpfen kommt oder nicht, konnte man nur spekulieren. Jeder hat seine Befürchtungen gehabt. Anfangs schien es ja auch so, dass die Amerikaner etwa die Reaktion der irakischen Bevölkerung falsch eingeschätzt haben. Das hat sich nun in den letzten Tagen völlig anders entwickelt. Ich habe mich aber ganz bewusst immer aus jeder militärtaktischen Bewertung herausgehalten.

Andere Kabinettsmitglieder haben dafür bis zu 100 000 Opfer vorausgesagt.

Ich gehörte nicht dazu. Ich halte das eher für einen Ausdruck der Befürchtungen, was hätte passieren können. Niemand von uns war eingeschaltet in die Überlegungen des amerikanischen und britischen Militärs.

Fühlen Sie Genugtuung darüber, dass bisher in Irak noch keine Massenvernichtungswaffen gefunden worden sind, die ja den offiziellen Kriegsgrund der USA darstellen?

Nein. Die Frage, ob es B oder C-Waffen im Irak gibt, wird sich ohnehin erst in Wochen beantworten lassen. Entscheidend ist für mich, dass sie nicht eingesetzt worden sind.

Die Vorgeschichte des Irak-Kriegs hat tiefe Gräben zwischen Europa und den USA aufgerissen. Sind das irreparable Schäden?

Nein. Ich glaube im Gegenteil, dass beide Seiten jetzt sehr schnell bereit sind, diesen Teil abzuhaken und wieder in eine Form der Realpolitik einzutreten.

Realpolitik? Was war dann das bisher – Überzeugungspolitik?

Es haben sehr viele Emotionen eine Rolle gespielt.

Auf beiden Seiten?

Auf beiden Seiten.

Und was heißt Realpolitik?

Das kann nur heißen, eine engere Zusammenarbeit, um solche Situationen für alle Zukunft zu vermeiden, wie sie sich im Vorfeld der Sicherheitsratsberatungen entwickelt hatten. Wie der Kanzler das ja auch gesagt hat, muss man jetzt aus dem militärischen Sieg einen politischen Sieg machen, und zwar gemeinsam – USA und Europa.

Aber Europa macht nichts gemeinsam, sondern Separatveranstaltungen unter „Kriegsgegnern“ – etwa den Gipfel Deutschland-Frankreich-Belgien-Luxemburg Ende des Monats.

Dieses Treffen soll ja nicht bedeuten, dass wir jetzt wieder einen eigenen Sonderzug fahren wollen. Ziel ist, als Konsequenz aus den Erfahrungen die gemeinsame europäische Sicherheitspolitik schneller fortzuentwickeln. Alle anderen werden selbstverständlich mit einbezogen. Es ist zum Beispiel völlig klar, dass das nicht ohne Großbritannien geht.

Wir hören immer „europäische Verteidigung stärken“. Aber der Irak-Konflikt hat doch genau gezeigt, dass Europa nicht funktioniert – die Briten im Krieg, Deutsche und Franzosen dagegen, Spanier, Italiener, Osteuropäer dafür, Nato-Partner Türkei zwischen den Stühlen. Wie soll denn dieses Chaos zusammenkommen, und vor allem: zu welchem Zweck?

Ich will zunächst mal sagen, zu welchem Zweck nicht. Es wäre Illusion anzunehmen, Europa könnte durch verstärkte Verteidigungsausgaben das Niveau der Vereinigten Staaten von Amerika erreichen. Wir müssen aber beispielsweise bei der europäischen Eingreiftruppe, die im Juni beschlossen werden soll, die Soll-Stärke erreichen. Das tun wir auch. Deutschland wird einen großen Beitrag leisten. Und Europa muss bestimmte Fähigkeitslücken schließen – denken Sie an Lufttransport. Das Ziel, noch einmal, ist nicht, das Niveau des US-Verteidigungsetats zu erreichen. Aber wir reden auch nicht nur über die Theorie einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Wir reden über konkrete Pläne.

Ja, schon. Aber uns ist nicht klar, für welche konkreten Fälle die denn gut sein sollen.

Die Nato wird noch auf lange Jahre hinaus unverzichtbar sein etwa als militärisches Instrument für Friedensmissionen der Vereinten Nationen. Aber daneben muss die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik eine eigene Rolle spielen. Wenn ein UN-Generalsekretär militärische Fähigkeiten irgendwo auf der Welt braucht, muss er sagen können: Neben der Nato steht auch Europa bereit. Gleichzeitig sollte innerhalb Europas eine Arbeitsteilung möglich sein. Ich bin nicht der Auffassung, dass die Bundeswehr bei jedem europäischen Mandat oder jedem Nato-Mandat dabei sein muss.

Was gewinnt man damit? Unabhängigkeit von den USA?

Vor allem Erleichterung für Amerika, das dann nicht bei jeder Krise irgendwo auf der Welt immer gleich selbst in die Verantwortung genommen werden muss.

Ist das Teil eines Erwachsenwerdens deutscher Außen- und Sicherheitspolitik?

Ich denke, dass die eindeutige Position Deutschlands in der Irak-Frage schon ein anderes Selbstbewusstsein der Deutschen und der Europäer gezeigt hat. Die Amerikaner haben das inzwischen auch akzeptiert.

Selbstbewusstsein ist schön. Aber wer garantiert Europas Sicherheit, sagen wir, im Jahr 2010? Die Europäer?

Ja.

Und die USA nicht?

Ich glaube, dass es jetzt darum geht, dass Europa seine Fähigkeiten verbessert. Das gilt zunächst für Situationen in Europa selbst. Beispiel Balkan: Die Russen werden sich bald zurückziehen, da müssen die europäischen Staaten noch stärker einspringen.

Aber der Balkan ist doch auch wieder so ein Beispiel – Bosnien, Kosovo, die Befriedung war nur möglich dank des großen Bruders.

Ich sage ja auch nicht, dass man die USA jetzt aus allem herauslassen sollte. Aber die Zielrichtung muss sein, dass bestimmte Situationen auch ohne die Hilfe der Vereinigten Staaten bewältigt werden können. Entweder weil die USA sagen: Da machen wir nicht mit. Oder weil wir sagen: Das können wir diesmal alleine.

Im Irak-Streit stehen die Länder Ost- und Mitteleuropas auf Seiten der USA - weil sie aus ihrer historischen Erfahrung ein anderes Sicherheitsverständnis haben als die Deutschen. Soll Europa auch in die Lage versetzt werden, deren Sicherheit zu garantieren?

Ja. Das Hauptmotiv dieser Länder für die Unterstützung des US-Kurses in der Irak-Frage ist meines Erachtens historisch bedingt. Die polnischen Freunde etwa verdanken den Amerikanern viel. Ich kann das sehr gut nachvollziehen. Unser Ziel ist, dass auch die EU-Beitrittsländer ihre militärischen Fähigkeiten einbringen in eine europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Unsere neuen Partner sind bereit, im europäischen Zug mitzufahren und nicht nur auf die Nato zu setzen.

Deutsche Soldaten haben im Irak nicht gekämpft – werden sie beim Frieden helfen?

Wir gehen zunächst davon aus, dass Amerikaner und Briten mit Hilfe irakischer Politiker wieder eine staatliche Gewalt herstellen. Dann kann sofort die humanitäre Hilfe anlaufen. Die Mittel dafür stehen bereit, wir haben sie aufgestockt. Wenn die Vereinten Nationen die Verantwortung übernehmen, kann Deutschland auch beim Wiederaufbau mitmachen. Die Frage aber, ob deutsche Soldaten in den Irak sollen, ist überhaupt nicht entscheidungsreif.

Wenn sie gestellt würde – könnte die Bundeswehr das überhaupt noch leisten?

Wenn militärischer Schutz für Wiederaufbauhilfe nötig wird, sollten zuerst die Staaten gefragt werden, die sich in anderen Konfliktregionen zurückgehalten haben. Wir haben nach den Amerikanern schon heute die meisten Soldaten in Auslandseinsätzen – 9000 Frauen und Männer. Das ist für die Soldaten eine schwere Belastung, das kostet viel Geld. Die Mittel für Auslandseinsätze in unserem Haushalt reichen mit Müh und Not für das, was wir jetzt machen.

Apropos Belastung. In Kürze werden Sie neue verteidigungspolitische Richtlinien erlassen, die die neue Sicherheitspolitik einer Verteidigung „am Hindukusch“ ausbuchstabieren. Was kommt da konkret auf die Bundeswehr zu?

Es geht nicht um ein Abrücken von der Reform, die wir im Jahr 2000 beschlossen haben. Wir reden von Nachjustierung - insbesondere mit Blick auf die gestiegene Zahl von Auslandseinsätzen bei sehr knappem Haushalt. Die Teilstreitkräfte machen Vorschläge, ich werde nach Ostern entscheiden.

Also noch einmal kürzen.

Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Wir haben knapp 300 Tornados. Die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes wird nicht beeinträchtigt, wenn wir 80, 90 außer Dienst setzen.

Müssen dann einige Standorte schließen?

Das ist nicht auszuschließen.

Und wenn dann auch noch die Wehrpflicht auf sechs Monate verkürzt wird …

Die Entscheidung über die künftige Dauer des Wehrdienstes ist noch nicht gefallen. Ich habe den Generalinspekteur beauftragt, mir darzulegen, wie die Ausbildung für Wehrpflichtige gestaltet werden und wie lange sie dauern muss, um dem Umbau zu einer Einsatzarmee gerecht zu werden. Ich würde von Heer, Luftwaffe und Marine auch gern hören, ob bei kürzerer Wehrpflicht ein Wehrdienstleistender in Auslandseinsätze gehen kann, wenn er es selbst will, es die Gefahrenlage zulässt und das Parlament zustimmt. Nach Kabul oder Kuwait würde ich Wehrpflichtige heute nicht schicken. Aber nach Mazedonien oder mit der Marine ans Horn von Afrika - warum nicht.

Das könnte das Parlament ja im Rahmen des geplanten Entsendegesetzes tun.

Die Bundesregierung hält sich ja aus den Vorbereitungen für dieses Gesetz heraus, das Parlament muss selbst über seine eigenen Rechte entscheiden. Aber als Fraktionsmitglied der SPD würde ich diesen Rat geben.

Was würden Sie denn als Fraktionsmitglied empfehlen - eine Globalermächtigung, bei der das Parlament nicht genaue Mannschaftsstärken und Zeiträume genehmigt, sondern nur allgemeine Ziele, oder ein engeres Korsett?

Ich glaube, das Parlament wird einen Mittelweg wählen. Der Bundestag müsste über jeden Einsatz außerhalb der Bündnisverpflichtungen eine Grundsatzentscheidung treffen. Über die Ausgestaltung, etwa die Zahl der Soldaten, sollte die Regierung entscheiden. Ich fände es vernünftig, wenn es anders als bisher keine Befristung geben würde, sondern stattdessen das Parlament das Recht bekäme, die Soldaten jederzeit zurückzuholen. Es macht auch keinen Sinn, für „Fact finding missions“, also Erkundungsaufträge mit drei, vier Soldaten im Rahmen der UN jedesmal ein parlamentarisches Verfahren zu betreiben.

Da können Sie sich ja mit dem CDU-Außenpolitiker Wolfgang Schäuble schnell einigen.

Schäuble geht an einem Punkt zu weit: Er will die Befugnisse der Regierung zu weit ziehen. Aber das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist und keine Regierungsarmee. Dabei soll es bleiben.

Noch vor zwei Jahren hatte Rot-Grün keine eigene Mehrheit für den Mazedonien-Einsatz. Herrscht in den Fraktionen von SPD und Grünen inzwischen mehr Vertrauen in die eigene Regierung in Sicherheitsfragen?

Die Auslandseinsätze der Bundeswehr haben gezeigt, dass unsere Soldatinnen und Soldaten hervorragende Arbeit leisten und ihr Einsatz für die Friedenssicherung von sehr großem Wert ist. Was sie tun, ist nicht ungefährlich, es gab tödliche Unfälle. Aber das Ansehen, das die Bundeswehr und damit unser Land heute auf dem Balkan oder in Afghanistan genießt, hat nach meinem Eindruck auch die Kritiker überzeugt, dass diese Einsätze richtig sind.

Hat zu diesem gewachsenen Vertrauen der entschiedene Widerstand der Regierung gegen den Irak-Krieg beigetragen?

Ich kann mir vorstellen, dass unsere Haltung im Streit um den Irak-Krieg bei manchen Mitgliedern der Grünen-Fraktion Vorbehalte abgeräumt hat.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum, Sven Lemkemeyer und Hans Monath.

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