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In einem Berliner Spätkauf lief die Krisenansprache der Kanzlerin.

© dpa / Christophe Gateau

Wie gut ist die Krisenkommunikation der Regierung?: „Die Bevölkerung muss nicht alles wissen“

Der Krisenforscher Frank Roselieb erklärt, was man den Deutschen in der Corona-Krise lieber vorenthalten sollte – und wo die Kanzlerin zu viel verraten hat.

Oderhochwasser, Schweinegrippe, Flüchtlingskrise: Seit mehr als 20 Jahren analysiert Frank Roselieb (50) Krisen in Deutschland und der Welt. Er leitet das Institut für Krisenforschung in Kiel, berät Behörden und Unternehmen. Im Interview mit dem Tagesspiegel bewertet er die Krisenkommunikation der Bundesregierung während der Corona-Pandemie.

Herr Roselieb, gibt es so etwas wie die goldene Regel der Krisenkommunikation?
Nicht nur eine. Die drei wichtigsten sind: Echtzeit, Wahrheit und Offenheit. Das heißt, Sie müssen erstens schnell sein, damit kein Informationsvakuum entsteht. Zweitens dürfen Sie nichts Falsches behaupten – im Zeitalter des Internets sind Ihre Aussagen ewig für alle verfügbar. Und drittens müssen Sie transparent vorgehen. Das ist während einer Pandemie schwierig. Man ist zwar schon relativ offen und zeigt beispielsweise in den Medien die Bilder der Kolonnen von italienischen Militärfahrzeugen, die Särge transportieren. Aber bestimmte Informationen sollte die Bundesregierung besser für sich behalten. Die Bevölkerung muss nicht alles wissen.

Welche Informationen meinen Sie?
Das betrifft zum Beispiel Grundinformationen über Krisen und Katastrophen. Hier gilt der Grundsatz: Der Feind hört mit. Damit sind etwa Extremisten und Terroristen gemeint, die die derzeitige Lage möglicherweise noch weiter destabilisieren wollen. Denen sollte man nicht noch Informationen darüber liefern, was ein typisches Pandemie-Management beinhaltet. Deswegen haben die Behörden auch unser Institut gebeten, solche Detailinformationen von unserer Webseite zu nehmen. Auch die mehr als 150 Standorte in Deutschland, an denen große Mengen an Getreide, Reis und Hülsenfrüchten lagern, sind selbstverständlich geheim.

Kürzlich ging ein Papier aus dem Bundesinnenministerium durch die Presse, das unter anderem ein ziemlich apokalyptisches Szenario beschrieb. Es war nicht für die Öffentlichkeit gedacht. Sollte man die Menschen vor allzu düsteren Szenarien schützen?
Ich war ganz froh, dass nur dieses Papier nach draußen gedrungen ist – da gibt es in den Behörden noch deutlich düstere Szenarien. Grundsätzlich gilt aber: Die Menschen können auch googeln. Die wissen dann sehr schnell, dass es etwa bei der Spanischen Grippe 1918 rund 50 Millionen Tote gab – und damals war die Welt noch nicht so vernetzt wie heute. Ich halte es für vertrauenserweckend, wenn die Menschen sehen, dass die Bundesregierung auch solche Worst-Case-Szenarien nicht ausblendet. Insgesamt ist die Bundesregierung gut beraten, in der Krisenprävention und Krisenbewältigung lieber zu über- als zu untertreiben.

Wie meinen Sie das?
Gesundheitsminister Spahn beispielsweise hat gesagt, dass er nicht versprechen kann, dass es in Deutschland nicht zu so schlimmen Zuständen wie im italienischen Bergamo kommt. Einerseits schützt er sich damit selbst. Es wäre ja fatal, wenn er sagt: „Machen Sie sich keine Sorgen“ – und am Ende übersteigen die Totenzahlen in Deutschland doch die in Italien. Andererseits ist es auch ein Schutz für die Bürger, weil sie dann übervorsichtig sind und etwa auf die Feier zum 80. Geburtstag doch lieber verzichten. In der Krisenforschung nennen wir das eine sogenannte „Self-destroying prophecy“, eine selbstzerstörende Prophezeiung: Man benennt ein Szenario zu dem Zweck, dass es nicht eintritt, weil die Menschen sich dank der Warnung „richtig“ verhalten.

Frank Roselieb ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Krisenforschung in Kiel.
Frank Roselieb ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Krisenforschung in Kiel.

© Krisennavigator - Institut für Krisenforschung

Haben Sie den Eindruck, dass die Bundesregierung ihre Maßnahmen mit Verweis auf die schlimmen Zustände in Italien als alternativlos hinstellt? Diese Kritik hört man ja immer wieder  - beispielsweise von der Schriftstellerin und ehrenamtlichen Verfassungsrichterin Juli Zeh.
Nein, den Eindruck habe ich nicht. Erstens zeigt der Blick auf andere Länder, dass es durchaus Alternativen gibt und die Bundesregierung keinesfalls die härtesten Maßnahmen gewählt hat. Und zweitens geht sie durchaus dialogorientiert vor. Sie hat versucht, die Maßnahmen langsam hochzufahren und den Menschen die Chance zu geben, sich richtig zu verhalten. Das ist eine ganz andere Art der Krisenkommunikation als in den 1970er und 1980er Jahren, wo man die Menschen nach Befehl und Gehorsam behandelt hat. Da hätte man gleich gesagt: Ab morgen gilt die Ausgangssperre und wer sich nicht daranhält, zahlt 1.000 DM.

Was ist im Hinblick auf die Krisenkommunikation das Besondere an einer Pandemie?
Es handelt sich um ein Extremereignis, das die Leute in ihrem Leben größtenteils noch nicht erlebt haben. Die Pandemie ist aber zugleich eine schleichende Krise. Sie fängt harmlos an und wird dann immer schneller immer schlimmer. Da darf man nicht sofort sein ganzes Pulver verschießen. Das gilt einerseits für die Maßnahmen. Andererseits aber auch für die Kommunikation. Da trat zuerst der Bundesgesundheitsminister vor die Kameras, dann kamen die Ministerpräsidenten und erst viel später die Kanzlerin. Und wenn es ganz schlimm läuft, kommt irgendwann der Bundespräsident.

Der Ethikrat hat die Kommunikation der Bundesregierung kritisiert, weil sie sich einer Debatte über das Ende der Shutdown-Maßnahmen verweigere. Es müsse über Kriterien für eine Öffnung nachgedacht werden. Sehen Sie das ähnlich?
Wichtig ist, dass die Bundesregierung einen Plan vorlegt, wie eine Lockerung vonstattengehen kann. Dass das passiert, hat die Kanzlerin klar kommuniziert. Alle Einschränkungen unterliegen ohnehin einem sogenannten „rollierenden Maßnahmen-Controlling“. Das heißt: Sie werden immer wieder neu evaluiert. Neben der Zahl der Neuinfizierten werden etwa auch Kenngrößen wie die Insolvenzanmeldungen oder die mögliche Zunahme häuslicher Gewalt im Blick behalten und gegeneinander abgewogen. Die Bundesregierung ist natürlich gut beraten, ihre vorher definierten Kipppunkte nicht zu benennen. Kürzlich hat sich die Kanzlerin allerdings verplappert.

An welche Aussage denken Sie?
Da hat sie als ein Kriterium für eine Lockerung der Maßnahmen eine Verdopplungszeit der Infiziertenzahlen von mindestens 14 Tagen genannt. Das würde man normalerweise nicht verraten.

Warum soll die Bundesregierung solche Kippunkte für sich behalten?
Grund dafür ist die „Self-fulfilling-prophecy“, also die selbsterfüllende Prophezeiung. Die Krise kann sonst bewusst herbeigeführt werden. Nehmen Sie beispielsweise als Kipppunkt eine bestimmte, kritische Zahl von Anmeldungen auf Kurzarbeit – Tenor: „Bei 800.000 Betrieben mit Kurzarbeit endet der Shutdown“. Dies könnte von Unternehmern missbraucht werden, um Druck auf die Bundesregierung ausüben. Denn die Anmeldungen auf Kurzarbeit sind in der jetzigen Situation für die Betriebe vergleichsweise einfach und der Druck, bald wieder zu öffnen, groß.

Einige Politiker scheinen von der Krise zu profitieren: Dazu gehört beispielsweise der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, der als Macher auftritt und mit harten Maßnahmen vorangegangen ist. Wünschen sich die Menschen solche Figuren in einer Krise an der Spitze?
Das haben wir auch lange gedacht. Wir haben uns angeschaut, welche Politiker aus einer Krise gestärkt hervorgehen. Tatsächlich sind es aber die, die bereits vorher ein sogenanntes Reputationspolster hatten. Helmut Schmidt zum Beispiel hat 1962 in Hamburg während der Flutkatastrophe die Bundeswehr zur Hilfe gerufen. Das war grenzwertig, aber er hatte schon vorher den Nimbus des Machers und hat profitiert. Oder Matthias Platzeck: Der war 1997 als brandenburgischer Umweltminister schon vorher gut gelitten, wurde während der Oderflut zum „Deichgraf“ und später Ministerpräsident. Solche Reputationsgewinne sehen Sie jetzt bei Markus Söder oder Daniel Günther, dem Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein. Wem aber die Menschen schon vorher nicht vertraut haben, dem wird eine Krise auch nicht zu Erfolg verhelfen.

Sie haben jetzt viel Positives benannt. Wo hat die Bundesregierung in der Kommunikation Fehler gemacht?
Die Bundesregierung hat die Lage anfangs vermutlich etwas unterschätzt. Vielleicht hat man sich nach der relativ glimpflich verlaufenden Schweinegrippe-Pandemie 2009 und den umfangreichen Krisenübungen 2007 und 2013 in Sicherheit gewogen. Vielleicht lag auch einfach ein „Information Overload“ vor. Die WHO gibt pro Jahr mehrere hundert Warnmeldungen heraus – möglicherweise hat man der Meldung aus China anfangs wenig Beachtung geschenkt. Hellhörig sind wir im Institut geworden, als China öffentlich machte, dass kurzfristig ein Krankenhaus mit 1.000 Betten gebaut werden soll. Die Bundesregierung hätte vielleicht früher und nachhaltiger anfangen müssen, den Menschen den Ernst der Lage zu verdeutlichen. Viele Menschen hatten den Schuss lange nicht gehört. Ein bloßer Blick in die Fitnessstudios und auf die Spielplätze zeigte, dass sich die Bürger verhielten wie vorher. Da hätte man früher kommunikativ gegensteuern müssen. Geändert hat sich das erst nach der „Brandrede“ der Kanzlerin am 18. März 2020.

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