zum Hauptinhalt
Proteste vor der Zentralbank in Yangon am Dienstag.

© Sai Aung Main/AFP

Wie geht es weiter in Myanmar?: Der zivile Ungehorsam macht die Junta nervös

Gegen äußere Sanktionen ist das Militär immun. Es will zurück zu Diktatur oder "gelenkter" Demokratie. Auf die Zivilbevölkerung kommt es an. Ein Gastbeitrag.

Felix Heiduk forscht bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) zu Südostasien.

Mit dem Militärputsch und der Entmachtung von Regierungschefin Aung San Suu Kyi hat der ohnehin brüchige Übergang zur Demokratie in Myanmar ein jähes Ende gefunden.

Doch die Massenproteste gegen den Militärputsch dauern an. Angesichts des komplexen Verhältnisses zwischen Militär und Zivilregierung sind zwei Zukunftsszeniaren denkbar. Entscheidend wird sein, ob der zivile Ungehorsam sich weiter ausbreitet und auch Fabriken und Verwaltung erfasst.

Als ausgerechnet die Militärjunta in Myanmar 2010 demokratische Reformen einleitete, waren viele westliche Beobachter überrascht. Schließlich schlug sie in den fünf Jahrzehnten ihrer Diktatur jeglichen Protest brutal nieder – so auch 2007 bei der „Safran-Revolution“, als Tausende Menschen, angeführt von buddhistischen Mönchen, demokratische Reformen forderten.

Mit der Freilassung Aung San Suu Kyis Ende 2010 und ihrem Wahlsieg 2015 wurde Myanmar in relativ kurzer Zeit vom Paria zum demokratischen Partner. Dabei haben viele nicht gesehen oder sehen wollen, dass es dem Militär nie um Demokratie und Menschenrechte ging.

Das Militär wollte wirtschaftliche Öffnung - mehr nicht

Vielmehr sollte die Öffnung des Landes das eigene Image international aufbessern. Auch sollte die Abhängigkeit von China reduziert werden. Diese hatte aufgrund westlicher Sanktionen seit den 1980ern, sehr zum Missfallen der ultra-nationalistischen Militärführungen, stetig zugenommen. In seiner Selbstwahrnehmung war das Militär immer der zentrale politische Akteur im Land, eine Art Prätorianer, ohne den die Union Myanmars in viele Kleinstaaten zerfallen würde.

Eine zentrale Hypothek für die von Aung San Suu Kyi geführte Nationale Liga für Demokratie (NLD) war denn auch die vom Militär 2008 verabschiedete Verfassung. Diese garantierte dem Militär nicht nur 25 Prozent der Parlamentssitze und damit eine Sperrminorität für jedwede Verfassungsänderung, sondern auch weitereichende andere Machtbefugnisse, darunter die Führung der Ministerien für Grenzschutz, Verteidigung und Inneres. Auch die vielen wirtschaftlichen Verflechtungen des Militärs in Gestalt von Konglomeraten retteten die Generäle unbeschadet in die neue „demokratische“ Ära.

 [Jeden Donnerstag die wichtigsten Entwicklungen aus Amerika direkt ins Postfach – mit dem Newsletter "Washington Weekly" unserer USA-Korrespondentin Juliane Schäuble. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung.]

Gleichzeitig tat die NLD-Regierung ihr Übriges, um die junge Demokratie zu beschädigen: Regierungskritische Journalisten wurden verhaftet, zivilgesellschaftliche Organisationen in ihrer Arbeit behindert, und selbst innerhalb der NLD kritisierten viele den zunehmend autoritären Führungsstil von Aung San Suu Kyi. Diese unternahm zudem wenig, um die Prärogative des Militärs zu beschneiden.

Mehr noch: Die Regierungschefin verteidigte öffentlich das Vorgehen des Militärs gegen die Minderheit der Rohingya, wobei die UN „genozidale Intentionen“ attestierte.

Anhänger der festgenommenen Aung San Suu Kyi fordern ihre Freilassung.
Anhänger der festgenommenen Aung San Suu Kyi fordern ihre Freilassung.

© AFP

Das Verhältnis zwischen Aung San Suu Kyi und der Militärführung verschlechterte sich dennoch ab 2019 zunehmend. Insidern zufolge brach ab Mitte 2020 die Kommunikation zwischen ziviler und militärischer Führung sogar vollständig ab.

Zuvor hatte Aung San Suu Kyi Forderungen nach einer Verfassungsänderung und der damit verbundenen Demilitarisierung des Staatsapparates zu ihrem zentralen Wahlkampfthema gemacht. Der Erdrutschsieg ihrer Partei im November 2020 verlieh dieser aus Sicht des Militärs inakzeptablen Forderung noch mehr Schlagkraft. Kurz bevor das neu gewählte Parlament zusammentreten konnte putschte sich das Militär am 1. Februar erneut an die Macht.

Mit dem Putsch hat Myanmars ohnehin fragiler Übergang zur Demokratie zunächst ein jähes Ende gefunden. Es ist wahrscheinlich, dass die derzeitige NLD-Führung auf der Basis fragwürdiger Gerichtsverfahren zu Gefängnisstrafen verurteilt wird. Aung San Suu Kyi und die anderen Mitglieder dürften dann künftig keine Regierungsämter mehr ausüben.

Es gibt zwei plausible Entwicklungsszenarien

Daran anschließend erscheinen mindestens zwei Entwicklungsszenarien plausibel: Im ersten Szenario reagiert das Militär auf die zunehmenden Proteste nach erprobtem Muster mit brutaler Gewalt. Die daraus resultierende Instabilität wird anschließend zum Vorwand genommen, die für 2021 versprochenen Wahlen wiederholt aufzuschieben, und das Land entwickelt sich schrittweise zurück in eine Militärdiktatur.

Im zweiten Szenario verfällt das Militär nicht vollends in alte Handlungsmuster, sondern übt ähnlich wie die Führung Thailands eine „stillere“ Form staatlicher Repression aus: Proteste werden nicht gewaltsam niedergeschlagen und oppositionelle Parteien nicht per se verboten, aber führende Oppositionelle wie auch Parteien werden regelmäßig mit fabrizierten Gerichtsverfahren überzogen, andere Regierungskritiker „verschwinden“. Es kommt zu Wahlen, die zwar relativ frei, aber mitnichten fair sind, und in einer vom Militär „gelenkten“ oder „disziplinierten“ Demokratie" münden.

Soldaten auf den Straßen der Hauptstadt - gegen die Protestanten wird hart vorgegangen.
Soldaten auf den Straßen der Hauptstadt - gegen die Protestanten wird hart vorgegangen.

© imago images/ZUMA Wire

In beiden Fällen würden sich die die Beziehungen zu Deutschland weiter verschlechtern. Bereits 2020 hatte Berlin den Großteil der Entwicklungshilfemaßnahmen mit Verweis auf den Umgang Myanmars mit den Rohingya ausgesetzt. Weitere Sanktionen gegen das Militär infolge des Putsches sind wahrscheinlich. Leider ebenso wahrscheinlich ist es, dass erhöhter Druck aus Deutschland und anderen westlichen Ländern die Streitkräfte nicht dazu bringen dürfte, ihr Verhalten zu ändern.

Bislang zeigten sich diese gegenüber externem Druck immun. Zum einen, weil die Sanktionen in der Vergangenheit kaum gezielt die Militärführung und deren Wirtschaftsunternehmen trafen. Zum anderen, weil Sanktionen bisher von Nachbarstaaten wie China nicht mitgetragen wurden.

Daher könnten sich Massenproteste und die Aufrufe zum zivilen Umgehorsam als möglicherweise sehr viel entscheidenderer Faktor erweisen als externe Sanktionen.

Buddhistische Mönche beim Protest gegen die Junta vor der UN-Vertretung in Yangon.
Buddhistische Mönche beim Protest gegen die Junta vor der UN-Vertretung in Yangon.

© Sai Aung Main/AFP

Das trotz Verhaftung der NLD-Führung die Proteste entfacht wurden und zudem von einer jungen Generation getragen werden, die sich dezentral und vielfach auch anonym über das Internet und neue Medien organisiert, dürfte die Militärführung um General Min Aung Hlaing zunehmend nervös werden lassen.

Anders als bei früheren Protesten werden die Aktivitäten der Sicherheitskräfte zudem per Livestream in die Welt getragen. Die junge Generation hat seit 2010 zwar eine in Teilen defekte Demokratie erlebt, aber trotzdem weit mehr demokratische Teilhabe und Freiheitsrechte genossen als die Generationen zuvor. Auch dies unterscheidet 2021 von vorangegangen Protesten wie denen aus dem Jahr 2007.

Sollten die Proteste weiter zunehmen, und zudem von einer landesweiten Bewegung des zivilen Ungehorsams mit Streiks in Krankenhäusern, über Fabriken bis hin zur Verwaltung gestützt werden, dann könnten sie – mehr als externer Druck – das Militär unter Druck setzen und seine Handlungen beeinflussen.

Felix Heiduk

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false