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Der britische Premierminister Boris Johnson am Mittwoch vor seinem Amtssitz in der Londoner Downing Street.

© Tolga Akmen/AFP

Wie geht es weiter beim Brexit?: Johnson hat noch eine letzte Trumpfkarte

Die Lage beim Brexit ist verfahren. Boris Johnson bleibt nur die Drohung mit einem definitiven Abbruch des Gesetzgebungsverfahrens. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Nun steht es also fest. Der britische Premierminister Boris Johnson, der lieber „tot im Graben“ liegen wollte, als eine Brexit-Verlängerung zu beantragen, kann den EU-Austritt seines Landes nicht zum 31. Oktober vollziehen. Überraschend ist es nicht, dass es zur Brexit-Saga ab Anfang November eine neue Staffel geben wird.

Zum Endlos-Drama um den Austritt wohlgemerkt. Danach müssen die EU und Großbritannien über ein Freihandelsabkommen verhandeln. Auch das wird Jahre dauern.

Eilverfahren war mit den Abgeordneten nicht zu machen

Dass es auch zum Ende der gegenwärtigen Brexit-Frist in einer Woche keine Lösung geben wird, liegt daran, dass sich die Abgeordneten im Unterhaus berechtigterweise am Dienstagabend quer gestellt haben. Johnson hatte sie zwingen wollen, innerhalb von drei Tagen über ein Austrittsgesetz zu beraten, das die Scheidung mit der EU besiegelt.

Etliche Punkte in diesem Austrittsgesetz – etwa die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien und eine Übergangsperiode nach dem Brexit – sind seit langem bekannt. Andere Details, vor allem die Nordirland-Regelung, sind neu. Deshalb ist es nur allzu verständlich, dass sich die Abgeordneten mehr Zeit nehmen wollen für die Beratungen.

Die endgültige Zustimmung des Unterhauses ist keineswegs sicher

Das eigentliche Problem für Johnson besteht allerdings darin, dass auch am Ende einer längeren Diskussion über das Austrittsgesetz die Zustimmung des Unterhauses keineswegs gesichert ist. Der Ausgang der Brexit-Saga in London ist nach wie vor völlig offen. Johnson gibt sich zwar überzeugt davon, dass Großbritannien die EU demnächst mit seinem Deal verlassen wird.

Er kann darauf bauen, dass er am Dienstagabend nicht nur eine Niederlage kassierte, sondern auch einen Teilerfolg erzielte: Zum ersten Mal fand sich im Unterhaus eine Mehrheit für einen auf dem Tisch liegenden Austrittsvertrag. Die vorläufige Zustimmung zum Deal in zweiter Lesung kann aber nicht darauf hinwegtäuschen, dass Johnson den weiteren Beratungsprozess im Unterhaus kaum noch kontrollieren kann.

Der Premierminister muss vielmehr damit rechnen, dass die Opposition die Chance ergreifen wird, um ihre Forderung nach einem zweiten Referendum durchzudrücken. Als Druckmittel bleibt Johnson nur die Drohung, das Gesetz komplett zurückzuziehen.

Neuwahlen und Fortschritt im Unterhaus - beides ist möglich

Wer die Geduld mit den Briten noch nicht verloren hat, muss daher jetzt zwei Handlungsstränge gleichzeitig im Auge behalten. Da sind zum einen die Gesetzesberatungen im Unterhaus, die nach der Aussage von Johnson wieder aufgenommen werden sollen, sobald die EU eine Entscheidung zur Brexit-Verlängerung über den 31. Oktober hinaus getroffen hat.

Und da sind zum anderen die Vorgeplänkel des kommenden Wahlkampfes. Eben weil Johnson trotz seines Teilerfolges vom Dienstagabend nicht unbedingt von einer endgültigen Zustimmung zur vorliegenden Fassung des EU-Deals ausgehen kann, setzt er parallel auf eine Neuwahl.

Aber auch in diesem Punkt hat der Premierminister den weiteren Gang der Dinge nicht selbst in der Hand. Er kann zwar das Austrittsgesetz zurückziehen, was ein Votum der Wähler zwingend erforderlich machen würde. Allerdings fehlt Johnson im Parlament die nötige Zweidrittelmehrheit, um selbst Neuwahlen herbeizuführen. Der Weg zu Neuwahlen müsste schon über einen Misstrauensantrag der Opposition führen.

Die EU wird wohl eine Verlängerung ermöglichen

In dieser vertrackten Lage richten sich nun alle Augen zunächst auf die EU. Dass die Gemeinschaft der verbleibenden 27 EU-Staaten demnächst eine Verlängerung möglich macht, gilt als sicher. EU-Ratschef Donald Tusk hat bereits einen neuen Aufschub bis zum 31. Januar empfohlen.

Die nächste Wende hängt indes von Johnson ab – und seiner Einschätzung, ob der vorliegende Deal im Unterhaus noch zu retten ist oder nicht.

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