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Kein Ersatz für einen zentralen Pandemie-Krisenstab: Jede Behörde hat einen eigenen "Krisenstab" - hier ein Archivbild von 2020 aus dem Auswärtigen Amt.

© ThomasxImo/ imago images/photothek

Wie es mit der Pandemie-Politik klappen könnte: Deutschland braucht endlich einen echten Krisenstab

Ein hauptamtliches Koordinierungsgremium statt Zuständigkeitsmikado - das könnte den nervösen Aktionismus der Exekutive beenden. Ein Gastbeitrag.

Hans-Peter Bartels (SPD) war 2015 bis 2020 Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages. Wolfgang Schroeder ist Politik-Professor an der Universität Kassel, Fellow am WZB und Mitglied der Grundwertekommission de SPD.  Bernhard Weßels ist kommissarischer Leiter der Abteilung Demokratie und Demokratisierung am Wissenschaftszentrum Berlin und lehrt Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität. 

Wie gut Deutschland durch die Coronakrise kommt, hängt wesentlich davon ab, wie wirksam geeignete Schutzmaßnahmen umgesetzt werden. Wissen, Planung und gute Organisation entscheiden über den Erfolg. Wer also kümmert sich darum?

Auf die Einrichtung eines speziellen Corona-Krisenstabs angesprochen, entgegnete Bundeskanzlerin Angela Merkel im Fernsehinterview mit Anne Will Ende März 2021, dafür gebe es das sogenannte „Corona-Kabinett“.

Dieser Kabinettsausschuss ist aber genau so wenig ein Krisenstab wie die Konferenz der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin. Beides sind Abstimmungsgremien politischer Entscheidungsträger. Alle Teilnehmer haben neben ihrer Mitwirkung am staatlichen Coronamanagement vielfältige andere Aufgaben und unterschiedliche regionale oder Ressort bezogene Interessen.

Ein echter Krisenstab arbeitet kontinuierlich interdisziplinär

Tatsächlich gibt es darüber hinaus eine Vielzahl regelmäßig tagenden Gremien, die als Krisenstab bezeichnet werden und die Bundesregierung oder einzelne Landesregierungen beraten. Ein echter Corona-Krisenstab dagegen wäre monothematisch und würde Tag für Tag, zur Not rund um die Uhr, hauptamtlich arbeiten.

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Der Stab wäre fokussiert auf ein täglich umfassendes Lagebild und die wirksame Koordination geeigneter Maßnahmen und Projekte, auf Vorausplanung und Folgenabschätzung.

Charakteristisch für die Arbeit eines echten Krisenstabs ist das kontinuierliche interdisziplinäre Zusammenwirken von Fachleuten aus unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen. Erst die besondere Organisationsform als Stab rechtfertigt die Verwendung im Namen. Die Mitglieder eines Stabes stehen jenseits von Hierarchien und Abhängigkeitsverhältnissen einer Linienorganisation. Sie haben, da Krisenstab, unmittelbare Zugriffe auf andere Einheiten der Verwaltung, Behörden und Ämter jenseits des Amtswegs.

Wenn richtig zusammengesetzt, weiß ein Krisenstab was er fragen muss, um die Informationen zu erhalten, die als Grundlage für Empfehlungen nötig sind. Durch die direkten Zugriffsrechte kann er schnell sein. Durch seine fachliche Kompetenz kann er festlegen, welches Wissen für Entscheidungen relevant ist und welches nicht.

Ein Krisenstab macht Vorschläge, ersetzt die politische Entscheidung aber nicht 

Bei der Einrichtung eines Krisenstabes geht darum, dass lagerelevante Daten überhaupt erhoben, eingeordnet und genutzt werden, um  Entscheidungen im föderalen Mehrebenensystem tatsächlich umsetzen zu können und Maßnahmen zu synchronisieren. Der Krisenstab macht Vorschläge zum weiteren Vorgehen. Er ersetzt die politische Entscheidungsebene nicht.

Im Moment scheint es so, als wären alle Corona-Engagierten irgendwie „Krisenstab“. Gleichzeitig zieht die Leistungsfähigkeit des staatlichen Maßnahmenmanagements immer mehr Kritik auf sich: von Maskenbeschaffung, Warn-App und Schutz der vulnerablen Gruppen über allgemeine Kontakteinschränkungen und Stilllegungen des öffentlichen Lebens bis hin zum verschleppten Testregime und zur verspäteten Impfkampagne. Die Durchführungsverantwortung bleibt diffus.

Ein Krisenstab könnte koordinierbare Maßnahmen entwickeln, deren Umsetzung in entsprechende Verordnungen und Gesetzen der Politik überlassen bliebe. Bei klaren Maßnahmen würde sich auch die Verantwortungsdiffusität in Wohlgefallen auflösen.

Derzeit sehen wir nervösen Aktionismus der Exekutive

Der Eindruck, dass Deutschland sich in der Krise kräftig blamiert, verstärkt den Trend zum nervösen Aktionismus der Exekutive. Symbolische Befreiungsschläge oder eine Verschärfung des Dauerlockdowns durch noch „härtere“ Verbote ändern an dem Managementproblem, an der Durchführungsmisere, am unzureichenden „Doing“ der staatlichen Organisation nichts.

Ein zentraler Corona-Krisenstab, den es seit einem Jahr geben könnte, muss unbedingt von der politischen Entscheidungsebene getrennt arbeiten. Er braucht erfahrenes Fachpersonal aus allen betroffenen Ressorts und Verbänden, von Bund, Ländern und Kommunen, aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft, auch von den klassischen Institutionen des Katastrophenschutzes, und eine klare Leitungsstruktur.

Jemand wie der ehemalige Präsident des Technischen Hilfswerks, Albrecht Broemme, konnte innerhalb von sieben Wochen ein großes Reservekrankenhaus in Berlin errichten mit allen technischen Funktionalitäten und rechtlichen Genehmigungen. Es geht. Erfahrung zählt viel, Verantwortungsfreude auch. Der juristische Rahmen lässt mehr zu, als das eingespielte bürokratische Zuständigkeitsmikado im Normalbetrieb glauben macht.

Unser Plädoyer für die Einrichtung eines Corona-Krisenstabs soll im übrigen kein Votum für mehr zentralstaatliches „Durchregieren“ (wie in Frankreich) sein, sondern ein überfälliger Vorschlag für ein koordinierteres, föderales Staatshandeln in der Krise.

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