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Tausend Kaninchen können nicht irren: Die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) in einer Werbeanzeige für die FAZ.

© promo

Wie die FAZ zu einer Institution wurde: Dahinter steckt immer ein kluger Kopf

Der Historiker Peter Hoeres schildert auf lebendige Weise die unwahrscheinliche Erfolgsgeschichte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Eine Buchbesprechung.

Von Hans Monath

Der Text ist 70 Jahre alt und atmet noch immer Aufbruchstimmung. In fesselnder Sprache entwirft der Leitartikel der ersten Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) vom 1. November 1949 Ziele für den damals neuen Titel. „Wir haben genaue Vorstellungen von einer neuen Art Zeitung, die wir schaffen möchten“, schrieb Gründungsherausgeber Paul Sethe darin. Sie müsse „eine Stimme Deutschlands in der Welt sein“, ihr müsse „die Wahrheit der Tatsachen heilig sein“, sie müsse „auch den Andersmeinenden gegenüber immer Gerechtigkeit walten lassen“.

Vieles davon haben die „FAZ“-Gründer und ihren vielen Nachfolgern erreicht, auch wenn ihnen „eine beträchtliche Volkstümlichkeit, ein Ansprechen breiter Schichten“ - so ein weiterer Wunsch Sethes - damals so wenig gelang wie heute. Warum der Autor des ersten Leitartikels erklärte, er wolle „nachdrücklich bestreiten“, dass das Vorhaben „unmöglich sei“, erfährt der Leser nun aus dem Buch „Zeitung für Deutschland. Die Geschichte der FAZ“ von Peter Hoeres.

„Ihre Erfolgsgeschichte war unwahrscheinlich“, urteilt der Würzburger Historiker, denn ihre Gründung kam spät, die Claims auf dem deutschen Pressemarkt waren längst abgesteckt, die Anzeigenmärkte aufgeteilt. Schon im ersten Jahr wäre sie fast in Konkurs gegangen. Wie es ihr dennoch gelang, zu der heutigen Bedeutung aufzusteigen, zeichnet Hoeres in seinem knapp 600 Seiten starken Werk nach, in dem er auch neue historische Methoden wie Wort-Datenanalysen nutzt.

Weil die „FAZ“ bald aufs Engste mit dem politischen, wirtschaftlichen und geistigen Leben in der jungen Bundesrepublik verknüpft war, weil Akteure aus diesen drei Bereichen in die Zeitung hineinwirkten und deren Journalisten die Welt außerhalb der Zeitung nicht nur erklären, sondern oft beeinflussen wollten, geht es in diesem Buch nicht nur um die „FAZ“, sondern um deutsche Geschichte und Mentalitätsgeschichte nach 1949. Dass ihr Wirtschaftsteil manchmal einen dogmatischen Ordoliberalismus vertritt, mag auch damit zusammenhängen, dass die „FAZ“ in ihrer Frühzeit gegen das damals verbreitete staatswirtschaftliche Denken in Deutschland ankämpfte - mit Erfolg. Sieger, das kann man auch an der Geschichte der 68er sehen, tun sich oft schwer mit Kritik.

"Nie eine homogene konservative Zeitung"

Vielleicht ist es ein Erfolgsrezept der „FAZ“, dass sie von Anfang an nicht einen Chefredakteur hatte, sondern in einer Kollegialverfassung geführt wurde. Von harten Kämpfen in den Gremien der Zeitung, aber auch mit ihren Geldgebern aus der Wirtschaft weiß Hoeres zu berichten. Die geistige Spannung der Zeitung, die sie bis heute auszeichnet, mag auch in diesen Auseinandersetzungen angelegt sein. Das Bild dieser Zeitung in der linksliberalen Öffentlichkeit sieht anders aus, doch für Hoeres ist sie „eine homogene konservative Zeitung nie gewesen“.

Sethe, der Autor des ersten Leitartikels, schied auf Druck seiner vier Mitherausgeber schon 1955 aus der „FAZ“ aus. Dabei spielte es eine Rolle, dass sich Konrad Adenauer immer wieder über ihn beschwert hatte. Sethe erklärte die Entscheidung des Kanzlers für die Westbindung für falsch und wollte Stalins Angebot für ein vereinigtes, neutrales Deutschland („Stalin-Note“) wenigstens prüfen. Politischen Einfluss hatte die „FAZ“ immer. Selten war er allerdings so durchschlagend wie Anfang der neunziger Jahre, als Herausgeber Johann Georg Reißmüller die Bundesregierung im Alleingang zur Anerkennung Kroatiens und Sloweniens trieb.

Eine Grundspannung bestand die meiste Zeit auch zwischen den wichtigen Ressorts Politik, Wirtschaft und Feuilleton - und sie sorgte laut Hoeres für „ein plurales Bild der Zeitung“. Besonders um und nach 1968 gab es heftige Auseinandersetzungen zwischen dem Politikressort und linken Intellektuellen, die im Feuilleton arbeiteten oder für es schrieben. Kein anderer Kulturteil in Deutschland sollte später mehr Bücher pro Jahr besprechen als der der „FAZ“. Sie ist bis heute einer der wichtigsten Orte für intellektuelle und wissenschaftliche Debatten. Den Historikerstreit löste Ernst Nolte mit einem Artikel („Vergangenheit, die nicht vergehen will“) in der Zeitung aus, die wichtigsten Gegenpositionen wurden allerdings dann in der „Zeit“ veröffentlicht.

Das Buch bietet Zeitgeschichte, wie sie kaum besser und unterhaltsamer denkbar ist. Der Autor scheint unstillbar neugierig, ihn interessieren viele Aspekte, auch der Umgang der „FAZ“ mit Rockmusik oder Comics. Es gelingt ihm, aus vielen Quellen zu schöpfen, aus Zeitungsartikeln, Büchern, persönlichen Gesprächen - und als Erster aus dem FAZ-Archiv, in dem Protokolle von Herausgeber- und Redaktionssitzungen und Korrespondenzen lagern. Seine Erkenntnisse arrangiert er zu einem höchst lebendigen Panorama.

Hoeres hat ein Händchen für das sprechende Detail, in knappen Skizzen zeichnet er Menschen mit ihren Schwächen und Stärken, die diese Zeitung prägten und prägen. Er hat Sinn für Komik und Sinn für Tragik - beides kommt etwa im Porträt des früh verstorbenen Feuilletonchefs Frank Schirrmacher zusammen.

Wer sich für die Wechselwirkung von Journalismus und Wirtschaft, Politik sowie Kultur in Deutschland interessiert, kann in diesem Buch viel lernen. Was Peter Hoeres vorlegt, ist eine auf Tatsachen gestützte Liebeserklärung an eine große Zeitung, die längst eine deutsche Institution geworden ist.

Peter Hoeres: Zeitung für Deutschland. Die Geschichte der FAZ. Benevento, Elsbethen (Österreich) 2019. 596 S., 28 €.

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