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Die deutsche Botschaft in Kabul wurde bei einem Autobombenanschlag schwer beschädigt.

© dpa/ Rahmat Gul

Wie der deutsche Krisenstab arbeitet: Immer auf Posten

Markus Potzel war bis August 2016 Botschafter in Afghanistan. Heute leitet er den Krisenstab im Auswärtigen Amt.

„KABUL, dpa, 31.05.17, 11:17 h - Bei einem Anschlag in der afghanischen Hauptstadt Kabul mit Dutzenden Toten sind am Mittwoch auch Bedienstete der deutschen Botschaft verletzt worden. Ein afghanischer Sicherheitsmitarbeiter (...) wurde getötet.“

Es sind Meldungen wie diese am gestrigen Mittwochvormittag, die den Krisenstab des Auswärtigen Amtes alarmieren. Entscheidend ist dabei nicht die Tatsache, dass es sich um die Botschaft selbst handelte, die bei dem Attentat massiv beschädigt wurde, sondern die Gefährdung deutscher Staatsbürger. Markus Potzel, seit dem vergangenen Spätsommer Leiter des Krisenstabes im gut gesicherten und streng bewachten „Krisenkeller“ des Außenministeriums fasst die Aufgabenstellung in einem klaren Satz zusammen: „Oberste Priorität hat für uns die Sicherheit deutscher Bürger. Im Krisenfall müssen wir darauf vorbereitet sein, weltweit rasch handeln zu können.“

Markus Potzel, Jahrgang 1965, kennt gerade die Situation in der afghanischen Hauptstadt sehr gut. Von August 2014 bis August 2016 war er deutscher Botschafter in Kabul, bei einem Gespräch vor wenigen Wochen erinnerte er sich genau an diese Zeit. „Wer in Kabul war, ist krisengestählt“, sagte er damals. „Man lernt, wie man mit Explosionen umgeht, das ist handfeste Diplomatie.“ Ein einschneidendes Erlebnis für ihn war der wenige Monate zurückliegende Angriff auf das deutsche Generalkonsulat in Masar e Sharif. „Ich kannte die Liegenschaft, ich kannte die betroffenen Menschen“, erinnerte er sich bei der Recherche für die Tagesspiegel-Reihe „Unser Mann in/Unsere Frau in...“, die auf den Agenda-Seiten deutsche Diplomaten und ihre Einsatzorte porträtiert.

"Da hilft militärisches Grundverständnis"

Markus Potzel hat die innere Anspannung über seine Zeit in Kabul inzwischen verarbeitet, signalisierte er. Aber: „Ich habe ein halbes Jahr gebraucht, um mich runter zu dimmen (...), ich war sozusagen im Abklingbecken.“ In Kabul habe man viel mit Militär zu tun, beschrieb er seine Tätigkeit als Botschafter vor Ort. „Da hilft es, wenn man militärisches Grundverständnis hat.“

Und daran gebrach es ihm wirklich nicht. Denn Potzel diente nach dem Abitur drei Jahre bei der NVA, um seine Chance auf einen Studienplatz zu verbessern. Vom Vater, der Sportjournalist war und deshalb reisen durfte, hatte er die Sehnsucht nach der Ferne geerbt. Japanologie, das war sein Traum. Es wurde Iranistik und Anglistik.

Markus Potzel, hier 2015 in Kabul neben Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, leitet heute den Krisenstab des Außenministeriums.
Markus Potzel, hier 2015 in Kabul neben Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, leitet heute den Krisenstab des Außenministeriums.

© Kay Nietfeld/dpa

An der Humboldt-Universität waren sie in diesem für DDR-Verhältnisse Orchideenfach nur drei Studenten gewesen. Aber es prägte sein berufliches Leben, denn nach der Wende und einer Zeit als selbstständiger Dolmetscher und Übersetzer trat er in den Auswärtigen Dienst, war Wirtschaftsreferent an der Botschaft in Teheran, zuvor für Kultur zuständig in der Vertretung in Singapur, dann drei so stress- wie lehrreiche Jahre persönlicher Referent von Außenminister Frank-Walter Steinmeier, schließlich Leiter des Referates Mittlerer Osten im Ministerium. Und dann kam Kabul. „Ich bin kein Krisenjunkie“, sagte er fast beschwörend, nach seiner Eignung für die Leitung des Krisenstabes befragt, aber: „Wer schon mal auf einem Krisenposten war, ist grundsätzlich geeignet, und es gibt ein umfassendes Fortbildungsprogramm.“

Krisenstäbe arbeiten immer Ressort- und Nationen-übergreifend. Im Keller des Auswärtigen Amtes sind dann Vertreter von Kanzleramt, Verteidigungs- und Innenministerium, das Ressort für wirtschaftliche Zusammenarbeit, das BKA, die Bundespolizei und der BND präsent. Und in Krisensituationen hilft man sich gegenseitig. „Die Bundeswehr hat beispielsweise im Juli 2016 aus dem Südsudan auch Angehörige anderer Nationen ausgeflogen“, nennt Markus Potzel als Beispiel.

Im Krisenfall kann es vorkommen, dass der Krisenbeauftragte nachts aus dem Schlaf geklingelt wird, liest man auf der Homepage des Auswärtigen Amtes. Das scheint eher die Regel als die Ausnahme zu sein. „Deswegen bin ich auch in die Stadt gezogen“, erzählt er. Krisen kommen oft aus dem Nichts, gerade bei Naturkatastrophen gibt es keine Vorwarnzeit. Das Erdbeben in Italien, der Tsunami in Südostasien – das ist Schicksal, sagt Potzel.

Verhandlungen mit den Taliban

In Spannungsgebieten – und der Mittlere Osten, in dem sich Potzel so gut auskennt, gehört dazu – muss man jedoch jederzeit mit dramatischen Zuspitzungen rechnen. Wohl auch, um das Gespür für die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und Umwälzungen nicht zu verlieren, bereist Markus Potzel die Region immer wieder. Vier mal war er in Bagdad, zwei mal im kurdischen Erbil, natürlich auch in der Golfregion.

Die Taliban trachten generell nach dem Leben, ist eine allgemeine Erfahrung, auch, dass Verhandlungen kaum Chancen haben. Es gibt aber terroristische Attacken, bei denen das anders sein kann. Der Fall des deutschen Seglers, den der Krisenstab auf den Philippinen aus den Händen seiner Entführer freibekam, schien so einer zu sein. Doch dann wurde er erneut entführt – und diesmal ermordet. „Wenn Hilfsmaßnahmen nicht klappen, ist man natürlich sehr deprimiert."

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