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Diverse Sexualität reklamiert eine Subgruppe der Identitätspolitik - sie konkurriert teilweise mit der von People of Colour.

© Paul Zinken/dpa

Widersprüche der Identitätspolitik: Ist seit Adorno Sexualität nicht das Überschreiten von Identität?

People of Color können nicht immer mit sexueller Diversität etwas anfangen. Zu starkes Beharren von Subgruppen schwächt die Anliegen. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Caroline Fetscher

Aktuell durchschwirren identitätspolitische Begriffe den öffentlichen Raum. „Ich bin eine nicht-binäre Person und wurde misgendered!“ beklagte sich ein junger Mensch, der seinen weiblichen gegen einen männlichen Vornamen eingetauscht hatte, während einer Diskussion. In der Gesellschaft wird darauf unterschiedlich reagiert, mit Milde und Respekt, Empörung und Abwinken.

Je lauter Forderungen nach mehr Anerkennung geäußert werden, desto lauter wird die Kritik, und sie wirkt teils aufs Neue diskriminierend. Doch so legitim viele Forderungen sein mögen, fragt es sich auch, wohin das Beharren auf Identitäten tragen soll.

Aus einem großen, deutschen Verlag ist zu hören, dass dort mittlerweile täglich Beschwerden anlanden, weil sich Leute bei der Lektüre von Büchern rassistisch oder sexistisch beleidigt fühlten.

Es gebe eine Kakophonie der Klagen, unter anderem über kulturelle Appropriation, falsche Identität von Übersetzerinnen, Cancel Culture oder fehlendes Gendern. Wollte man allen gerecht werden, müssten Millionen von Büchern nach je spezifischen Kriterien umgeschrieben oder eingestampft werden.

Akademiker in die Produktion - das war Revanche, nicht Gerechtigkeit

Widersprüche der Identitätspolitik – kurz „Idpol“– leuchten auf, stellen wir uns einige der Anliegen aus dem Mund von Rechten vor, die fordern würden: „Schwarze dürfen nur von Schwarzen übersetzt werden!" Oder, dass die Anzahl der Schwarzen, Sinti, Roma oder Transgender-Personen im Land staatlich erfasst werden solle. Derlei Ideen sind aktuell schon aufgetaucht, mit dem Ziel bessere Repräsentation durchzusetzen.

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Auch Ansprüche, wonach Privilegierte ihre Positionen für Nicht-Privilegierte räumen sollten, haben ihre Tücken. In der DDR lautete die Parole: Akademiker in die Produktion, Proletarier an die Hochschulen – als habe Gerechtigkeit nur jene revanchistische Option. Gedient hat ihr das kaum.

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Derzeit lenkt die Schlacht um Sichtbarkeiten ab vom Blick auf die starken Gefälle in der Gesellschaft: Mehr Ungleichheit durch Armut, der klaffende Canyon bei Einkommen und Renten, die Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern in der Pandemie.

Identitätspolitk beschädigt das Anliegen der Solidarität auch durch die Konkurrenz von Subgruppen um Aufmerksamkeit. Besonders gepocht wird auf die Vielzahl sexueller, geschlechtlicher Identitäten, abgebildet in Akronymen wie LGBTQI für lesbische und queere Menschen und so fort.

Laut Adorno richtet sich Sexualität gegen das Prinzip der Identität

Hier könnte einer der tiefsten, aufzulösenden Widersprüche sitzen. Das utopische Moment des Sexus, hatte Theodor Adorno in einem Vortrag über „Sexualtabus und Recht“ ,erläutert, sei all das, was im „Betrieb der Zwecke nicht aufgeht“, es liege in der „Nicht-Identität“, im Überschreiten von Identität, dort, wo Zweckfreiheit, Lust, Glück und kindlich Spielerisches sein dürfe. Sexualität, so Adorno, richte sich „gleichsam gegen das Prinzip der Identität“. Der Überlegung wert sind seine Worte durchaus.

Nicht zuletzt wird ein weiterer Widerspruch verdrängt. Zwei große Fraktionen der „Idpol“, nämlich People of Color (PoC) und sexuell diverse Gruppen, sind sich oft alles andere als einig.

Während das legitime Anliegen, rassistische Diskriminierung zu bekämpfen von der Mehrheit der PoCs begrüßt wird, ist die Freude bei anderen Themen in traditionellen Milieus, nicht nur bei Menschen mit Migrationsgeschichte, weniger eindeutig. Dass Kinder schon in der Grundschule über die Vielfalt sexueller Identitäten informiert werden begeistert nicht alle. Auch das wirft Fragen nach den Fallen von „Idpol“ auf.

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