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Kinder leiden unter den Schulschließungen. Deshalb sollte der Unterricht unter keinen Umständen ausfallen, meint unser Kommentator.

© Jens Büttner/dpa

Widersprüche der deutschen Corona-Politik: Lasst die Schulen offen!

Solange noch Bars und Restaurants geöffnet sind, 2G hin oder her, verbietet sich jede Debatte über Schulschließungen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Thomas Trappe

Sie sind wieder da: die überproportional hohen Corona-Inzidenzzahlen bei Kindern. Zahlen aus einer Bevölkerungsgruppe, die als einzige flächendeckend und mehrmals wöchentlich anlass- und symptomlos getestet wird. Über die Schwächen der Inzidenz-Statistiken ist fast alles gesagt worden – trotzdem schauen dieser Tage viele Eltern wieder sehr besorgt darauf.

Nicht zuletzt, weil sie wissen, welche Debatte darauf fast automatisch folgt. Ob es nicht doch besser wäre, die Schulen und Kitas zu schließen? Die Antwort muss ohne Zögern kommen: Nein, die Bildungseinrichtungen bleiben auf. Und ja, um jeden Preis – und seien dies stillstehende Bänder in der heiligen Auto-Zulieferindustrie.

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Derzeit spricht kaum jemand über Schließungen, es gilt das Versprechen der angehenden Ampel-Koalitionäre, diese auf jeden Fall zu vermeiden. Es ist daher richtig, dass SPD, Grüne und FDP die legislative Krücken-Technologie der „epidemischen Lage“ nicht verlängern und Entscheidungen über Pandemiemaßnahmen dorthin zurückzuholen, wo sie hingehören: zum Gesetzgeber.

Aber es gibt eben keine Garantie, dass eine Mehrheit im Bundestag nicht doch wieder zu dem Schluss kommt, die Schulen und Kitas zuzumachen. Eine entsprechende gesetzliche Änderung könnte dort schneller umgesetzt werden, als es im pandemischen Ausnahmezustand über den Umweg der Bund-Länder-Runden möglich war. Deswegen ist es gut, sich dieses Mal abschließende Gedanken zu machen, bevor in überhitzten Debattenräumen entschieden werden muss.

Das schon vernommene Bekenntnis zur Offenhaltung der Schulen und Kitas ist ja nett – nach all den gebrochenen Versprechen der letzten anderthalb Jahre leider aber kaum etwas wert. Nötig ist daher nun eine klare, politisch verbindliche Priorisierung, die Kinder ganz nach oben setzt und alles andere drunter. Bevor wir über den Bildungs-Shutdown sprechen, das muss die Botschaft sein, reizen wir alle anderen Möglichkeiten aus: eine Impfpflicht für Personal in Schulen und Kitas zum Beispiel.

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Und auch das muss klar sein: Solange noch Bars und Restaurants geöffnet sind, 2G hin oder her, verbietet sich jede Debatte über Schulschließungen sowieso. Übrigens: Wären Corona-Tests für alle Besucher von Gastronomie und Freizeiteinrichtungen verpflichtend, also für Geimpfte wie Ungeimpfte, würde sich die Verteilung der Inzidenzen in den Altersgruppen wohl auch schnell anders darstellen.

Deutschland hat es zugelassen, dass Millionen Kinder im zurückliegenden Jahr zurückfielen, viele von ihnen unwiderruflich: Die Kinder- und Jugendpsychologen dürften noch lange die Corona-Schwemme abarbeiten, die in ihre Praxen strömt. Wir wissen heute recht sicher, dass die Folgen des Lockdowns für die Gesamtheit der Jüngsten schwerer wiegen als die Folgen von Corona.

Andere Länder, im Süden wie im Norden Europas, haben gute Erfahrungen gemacht, als sie Kitas und Schulen so lange wie möglich offen ließen und zuvor alle anderen Register zogen. Die Fehler, die Deutschland in den ersten drei Wellen im Bildungsbereich gemacht hat, lassen sich nicht mehr rückgängig machen. Aber würden sie nun wiederholt, hätten die Erwachsenen noch weniger gelernt als ihre über Monate weggesperrten Kinder. Eine Koalition, in der zwei Partner auf einen starken Rückhalt bei den jüngsten Wählern bauen, sollte dies bedenken.

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