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Kanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Donald Trump beim Nato-Gipfel

© AFP/Brendan Smialowski

Westliches Verteidigungsbündnis: Deutschland ist das Problem der Nato - nicht Trumps USA

Der US-Senat bekennt sich zum westlichen Verteidigungsbündnis Nato - gegen den eigenen Präsidenten. Warum geschieht Ähnliches nicht auch in Berlin? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Als Donald Trump in den Tagen um den Nato-Gipfel in Brüssel wie ein Rüpel auftrat und den Sinn des Bündnisses in Frage stellte, geschah etwas Bemerkenswertes in Washington: Das Parlament bekannte sich in seltener überparteilicher Einmütigkeit zur westlichen Militärallianz und stellte sich gegen den eigenen Präsidenten. Mit 97 zu 2 Stimmen verabschiedete der Senat eine Resolution zur Unterstützung der Nato. Niemand dürfe die Entschlossenheit der USA zur gemeinsamen Verteidigungsallianz in Frage stellen. 

97 zu 2 pro Nato, gegen Trump

Dieselbe Botschaft kam aus dem Repräsentantenhaus. Paul Ryan, der republikanische „Speaker“ – das Amt entspricht dem des Bundestagspräsidenten – verteidigte die Nato und kritisierte Trump. Das Bündnis mit den Europäern sei unverzichtbar für die nationale Sicherheit. Das war auch die Botschaft der Demokratin Nancy Pelosi, Vorsitzende der Minderheitsfraktion. Und ebenso der überwältigenden Mehrheit der US-Medien. Die USA bekennen sich zur Nato. Es gebe da zwar ein Problem: Manche Bündnispartner in Europa tragen nicht ihren fairen Anteil zu den Kosten der gemeinsamen Verteidigung bei, und sie nennen meist Deutschland. Das könne aber kein Grund sein, den Sinn der Allianz anzuzweifeln.

Warum hört man nicht ähnlich klare Bekenntnisse in ähnlich überwältigender Mehrheit in Deutschland? Wo bleibt die Bundestagsresolution pro Nato? Die peinliche Realität: Es ist nicht populär, sich offen zu militärischen Fragen zu äußern. Die Mehrheit der Politiker möchte beides zugleich haben, die garantierte Sicherheit und die Befreiung von der Notwendigkeit, das auszusprechen.

Wieso bekennt sich kaum einer in Berlin zur Allianz?

Die Bundesrepublik ist ein Land, das weit überdurchschnittlich von der Nato profitiert. Wer hält die Seewege und die Handelswege über Land für die Waren des Exportweltmeisters frei? Die sind wiederum die Grundlage unseres Wohlstands und unseres Sozialstaats. Wer schützt, wenn die Konflikte näher kommen und eskalieren, unsere Grenzen? Und wer außer der Nato investiert nach Kriegen in den Wiederaufbau zerstörter Länder, baut Schulen und Brücken, bildet Polizei und Militär aus, damit allmählich wieder Sicherheit entsteht – zum Beispiel Russland in Syrien oder China in Afghanistan oder Afrika?

Die Existenz der Nato gehört zum Kern der nationalen Interessen Deutschlands. Und gewiss doch, sie kostet Geld. Es gibt eine Vereinbarung, wie die Kosten verteilt werden: Alle Mitglieder haben sich verpflichtet, mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung auszugeben. Deutschland hat dieser Regel in wechselhaften Parteienkoalitionen mehrfach zugestimmt. So einfach ist das. Eigentlich.

Doch das Land sucht immer neue Ausreden, warum es seine Zusage nicht einhalten könne, müsse, wolle. Die jüngste anlässlich des Nato-Gipfels: Man dürfe das „nicht Trump zuliebe“ tun.

Das Richtige nicht tun, weil der Falsche es fordert

In einer verwunderlichen Gedankenakrobatik versuchten es viele Kommentatoren des Nato-Gipfels – von der Süddeutschen über den Spiegel bis zum ZDF – mit dieser Begründung. Sie empörten sich ausführlich über Trump; irgendwann folgte das Eingeständnis, dass er möglicherweise in einem Punkt Recht habe: Deutschland gebe zu wenig für Verteidigung aus, was man an den katastrophalen Ausrüstungsmängeln der Bundeswehr sehe; die Zwei-Prozent-Regel sei jedoch willkürlich, und überhaupt dürfe man potenzielle Mängel doch nicht Trump zuliebe abstellen; Deutschland und Europa entscheiden souverän.

Wo bleibt da die Logik? Wenn es richtig ist, dass Deutschland Sorge tragen muss, dass seine Flugzeuge fliegen, seine U-Boote seetüchtig sind und seine Soldaten die nötige Ausrüstung haben, wenn sie in den Einsatz gehen – wieso wird es angeblich falsch oder unerfüllbar, weil auch ein „Falscher“ das Richtige sagt?

Der Geldmangel der Bundeswehr ist offensichtlich

Und: Ist es nicht ziemlich offenkundig, dass der peinliche Zustand der Bundeswehr auch mit Geldmangel zu tun hat? Es gebe ja einen Weg, wie man die Debatte, ob es exakt zwei Prozent sein müssen, entschärfen kann. Die Formel wird in dem Maße unwichtig, in dem Deutschland nachweist, dass es die notwendigen militärischen Beiträge zum Bündnis erfüllen kann. Heute kann es das nicht.  Der Großteil der Flugzeuge und Hubschrauber fliegt nicht, der Großteil der Panzer fährt nicht. Von sechs U-Booten ist nicht ein einziges einsatzfähig.

Wenn Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen alles täte, um das zu ändern, und eines nicht zu fernen Tages vermelden könnte, dass 80 oder gar 90 Prozent des Bundeswehrgeräts einsatzfähig sind, dann würde wohl kaum noch jemand fragen, ob das deutsche Verteidigungsbudget zwei Prozent vom BIP entspricht. Die Beweislast, dass es mit weniger geht, liegt bei den Kritikern der Zwei-Prozent-Regel, nicht bei ihren Befürwortern.

Nur dank Trump stand nicht Deutschland am Pranger

Warum tut sich Deutschland so schwer, einen unhaltbaren Zustand zu überwinden? Eine der Regierungsparteien, die SPD, hat 2017 ziemlich unverhohlen Wahlkampf geführt gegen das Bündnis mit Trumps USA und gegen die Zwei-Prozent-Vereinbarung. Die führenden außenpolitischen Köpfe der Partei sagen heute, dass dies, erstens, ein strategischer Fehler in der Positionierung war. Und dass es, zweitens, bei der Abrechnung nach Wählerstimmen nichts gebracht habe. Aber sie sagen das natürlich nur im vertraulichen Gespräch und nicht öffentlich.

Im Grunde darf Deutschland Trump dankbar sein für sein Auftreten in Brüssel. Dank Trumps Unverschämtheiten war er die Hauptfigur der Berichte und Kommentare in den Nato-Staaten. Das war der Hauptgrund, warum es nicht mehr Kritik an Deutschland gab – das einzige große Nato-Land, das sich weigert, seine Zusagen einzuhalten und nun 1,5 Prozent vom BIP bis 2024 anbietet – ohne freilich dazu zu sagen, wie es wenigstens diese Zahl erreichen möchte. Die meisten Partner sind die deutschen Ausreden leid. Wer mit den Regierungsvertretern in Frankreich, Großbritannien, Polen spricht, wird wissen, dass sie alle mehr von Deutschland erwarten. 

Sigmar Gabriel ist plötzlich für zwei Prozent - irgendwie

Ex-Außenminister Sigmar Gabriel hat inzwischen eine Kehrtwende gegenüber seinen Wahlkampfauftritten vollzogen. Er spricht sich jetzt für eine drastische Erhöhung der deutschen Verteidigungsausgaben aus, sogar für die Zwei-Prozent-Formel, gegen die er vor einem Jahr noch polemisiert hat. Es könne nicht dabei bleiben, dass die USA 70 Prozent der Nato-Last tragen. Die Europäer müssen selbständiger werden.

Er möchte die „Zwei Prozent“ neu interpretieren. 1,5 Prozent vom deutschen BIP für die Bundeswehr; plus 0,5 Prozent für einen europäischen Verteidigungsfonds. Den Vorschlag dürfte man uneingeschränkt begrüßen, wenn er nicht mit einer Schwindelei begründet würde. Angeblich stoße es auf Widerstand und Misstrauen bei den Nachbarn, wenn Deutschland die versprochenen zwei Prozent vom BIP für die Bundeswehr ausgebe. Denn dann würde die zur stärksten Armee Europas. Das wolle niemand außerhalb Deutschlands.

Deutschland bleibt bei seinen Ausreden

Gabriel sagt nicht, wer diese Länder denn sein sollen, die es angeblich ablehnen, dass Deutschland seine Zusagen erfüllt. Es fragt ihn ja auch niemand öffentlich danach.

Die USA haben auch unter Trump eine beeindruckende Gegenöffentlichkeit, wenn der Präsident einen Kurs einschlägt, der den nationalen Interessen entgegenläuft. Doch hierzulande fehlt vielen, die die Nato zum Kern unserer nationalen Interessen zählen, der Mut, das öffentlich zu sagen. So gesehen fällt es schwer, Jacques Schusters Befund in der „Welt“ zu widersprechen: Deutschland ist eine größere Bedrohung für den Zusammenhalt der Allianz als Trumps Amerika.

Christoph von Marschall ist erster Helmut-Schmidt-Fellow der ZEIT-Stiftung und des German Marshall Fund of the United States (GMFUS) und arbeitet derzeit in Washington an einer Studie über die Zukunft der Transatlantischen Beziehungen. Am 20. August erscheint sein Buch „Wir verstehen die Welt nicht mehr. Deutschlands Entfremdung von seinen Freunden“, Herder Verlag 2018.

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