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Prasident Joe Biden, hier beim Nato-Gipfel. möchte Russland aus den G20 ausschließen. Heute macht er sich in Polen ein Bild von den Folgen des Kriegs in der Ukraine.

© Evelyn Hockstein/REUTERS

Westen und Osten ticken unterschiedlich: Die Nato ist nicht ganz so einig wie behauptet

Balten und Polen wünschen härtere Reaktionen als Deutsche, Franzosen, Italiener. Das wird US-Präsident Bidens Besuch heute in Polen prägen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Viele loben Europas Geschlossenheit nach Russlands Angriff auf die Ukraine. Und es stimmt ja auch: Die Breite der Solidarität und die Schärfe der Sanktionen haben Wladimir Putin überrascht.

Aber wenn die Forderung des US-Präsidenten Joe Biden, Russland aus den G 20 auszuschließen, zur wichtigsten Nachricht vom Nato- und EU-Gipfel wird, dann lässt das tief blicken. Das wird, erstens, nicht so einfach. G-20-Mitglieder wie China und Indien weigern sich bisher, Russland zu verurteilen.

Zweitens, stand doch eigentlich das weitere Vorgehen des Westens in der nächsten Phase des Kriegs in der Ukraine ganz oben auf der Agenda in Brüssel. Da gab es keine Breaking News.

Ganz so einig, wie behauptet wird, sind EU und Nato nicht. Wie bei anderen Fragen – Verteidigungsbereitschaft, Rechtsstaat, Schutz der Außengrenzen, Flüchtlingsverteilung – reagieren die östlichen Mitglieder anders als die westlichen. Balten, Polen und andere Mitteleuropäer, die den russischen Imperialismus aus eigener Erfahrung kennen, fordern beim Nato- und EU-Gipfel härtere Sanktionen gegen Moskau und mehr Militärhilfe für Kiew als Deutsche, Franzosen oder Italiener.

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Die Gegenwehr hat das Baltikum vor Putins Durchmarsch gerettet

Wieder einmal zeigt sich: Die Nationen östlich von Deutschland sind anders sozialisiert. Sie bringen andere Erfahrungen und Geschichtsbilder in das gemeinsame Europa ein. Nun treten sie selbstbewusster auf. Denn ihre Warnungen vor Wladimir Putin, die die Westeuropäer lange nicht ernst nahmen, haben sich bewahrheitet.

Mehr zum Ukraine-Krieg bei Tagesspiegel Plus:

Esten, Letten, Litauer und Polen bewundern die Ukrainer nicht nur für ihre überraschend erfolgreiche Gegenwehr. Sie sind ihnen dankbar. Aus ihrer Sicht hat dieser Widerstandsgeist die Nato vor großer Gefahr bewahrt.

Wäre Putins Plan aufgegangen, die Ukraine in einem Blitzkrieg zu erobern und die Regierung Selenskyj in Kiew zu stürzen, hätte er die Panzer womöglich gleich weiter rollen lassen. Putin erhebt Anspruch auf alle ehemaligen Sowjetrepubliken. Dazu zählen die Baltischen Staaten, auch wenn sie heute in der Nato sind.

Das Bündnis hatte dort nur eine symbolische Präsenz – um Moskau nicht zu provozieren, wie die Verfechter einer Verständigung mit Russland lange dozierten. Verteidigung war so nicht möglich.

Deutschland und die Nato werden jetzt auch in der Ukraine verteidigt

Die Ukrainer haben Putins Vorstoß mit ihrem Kampfeswillen gebremst und der Nato die nötige Zeit geschenkt, um mehr Truppen an die Ostflanke zu verlegen. Um ein geflügeltes Wort des früheren Verteidigungsminister Peter Struck über den Einsatz am Hindukusch zu paraphrasieren: Deutschland und die Nato werden jetzt auch in der Ukraine verteidigt. Nicht von Nato- Soldaten, sondern von Ukrainern.

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Die Ukraine verteidigt Europa? Für viele Deutsche und Franzosen klingt der Gedanke fremd. Für ihre östlichen Nachbarn ist er sehr real. Auch darauf fußen die Meinungsverschiedenheit beim Gipfelmarathon in Brüssel, wie viel Hilfe der Westen der Ukraine schuldig ist.

US-Präsident Joe Biden hat diese unterschiedlichen Gefühlslagen im Blick, wenn er am Freitag nach Polen reist. Dort ist der Krieg ein direkter Nachbar. Je deutlicher die militärische Schlappe ausfällt, die die Ukrainer Putin mit westlicher Waffenhilfe bereiten, desto sicherer werden sich Polen und Balten in der Zukunft fühlen.

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