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Dušan Reljic von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

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Update

Westbalkan-Konferenz in Berlin: "Thacis Position ist schwach"

Nach der Ansicht des Balkan-Experten Dušan Reljic ist der Kosovo-Präsident Thaci geschwächt. Das könnte Folgen für die Gebietstausch-Pläne mit Serbien haben.

Die Gespräche zogen sich bis in den späten Abend hin, und offenbar war es ein freimütiger Meinungsaustausch. Während des Abendessens bei der Westbalkan-Konferenz im Kanzleramt saßen am Montagabend mehr als ein halbes Dutzend Staatenlenker aus dem ehemaligen Jugoslawien und aus Albanien am Tisch. Nachdem der Kaffee serviert war, kam eine Abschlusserklärung heraus, in der immerhin eines deutlich wurde: Serbien und das Kosovo wollen sich wieder um eine Normalisierung ihrer Beziehungen bemühen.

Kanzlerin Merkel, CDU, Serbiens Ministerpräsidentin Brnabic, der Belgrader Präsident Vucic und Frankreichs Staatschef Macron (v.l.n.r.)
Kanzlerin Merkel, CDU, Serbiens Ministerpräsidentin Brnabic, der Belgrader Präsident Vucic und Frankreichs Staatschef Macron (v.l.n.r.)

© imago images / photothek

Wie viel die Selbstverpflichtung Belgrads und Pristinas wert ist, muss sich erst noch zeigen. Das Verhältnis zwischen Serbien und dem Kosovo ist belastet, weil Belgrad der ehemaligen Provinz, die sich 2008 für unabhängig erklärte, die Anerkennung verweigert. Seit 2011 gibt es Normalisierungsgespräche zwischen beiden Seiten, aber seit dem vergangenen November herrscht zwischen Belgrad und Pristina komplette Funkstille.

Frankreich steht bei EU-Erweiterung auf der Bremse

Das im Kanzleramt abgegebene Versprechen der serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic und seines kosovarischen Amtskollegen Hashim Thaci, die Normalisierungsgespräche wieder aufzunehmen, geht vor allem auf die Initiative von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zurück. Die beiden fungierten als Gastgeber bei der Berliner Konferenz. Sie signalisierten damit, dass Deutschland und Frankreich die Länder des Westbalkan (Serbien, Kosovo, Nordmazedonien, Albanien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina) nicht aus dem Blick verlieren wollen. Die Region ist längst zu einem geopolitischen Schachbrett geworden, auf dem nicht nur die EU ihre Interessen verfolgt, sondern auch Staaten wie Russland, China und die Türkei. Alle sechs Westbalkan-Staaten verfügen über eine EU-Beitrittsperspektive. Allerdings stehen viele EU-Mitgliedstaaten bei einer raschen Erweiterung auf der Bremse – vor allem Frankreich.

Ein Normalisierungsabkommen gilt als Vorbedingung für den EU-Beitritt

Während sich vor allem Serbien und Montenegro im kommenden Jahrzehnt auf einen möglichen EU-Beitritt hoffen können, wirkt für Belgrad das spannungsgeladene Verhältnis zum Kosovo wie ein Hemmschuh. Zuletzt hatten sich die Spannungen zwischen beiden Ländern noch erheblich verschärft. Weil Serbien mit Unterstützung Russlands und Chinas die Aufnahme des Kosovos in die Vereinten Nationen und die internationale Polizeiorganisation Interpol verhinderte, verhängte die Regierung in Pristina Zölle in Höhe von 100 Prozent auf Importe aus Serbien. In dieser Situation verpflichteten sich Thaci und Vucic in Berlin zumindest auf dem Papier, wieder zu einem Dialog zurückzukehren. In dem Abschlussdokument ist davon die Rede, dass ein rechtlich bindendes Abkommen über die vollständige Normalisierung zwischen Belgrad und Pristina „von zentraler Bedeutung für den Weg Serbien und Kosovos nach Europa“ ist.

Grünen-Osteuropaexperte Sarrazin: "Die Idee des Gebietstauschs ist tot"

Keine Rede ist in dem Kommuniqué indes von einem möglichen Gebietstausch zwischen zwischen Serbien und dem Kosovo, von dem im Vorfeld der Konferenz viel die Rede gewesen war. Im vergangenen August hatten Vucic und Thaci die Idee ins Spiel gebracht, ohne dabei konkrete Details zu nennen. Dennoch wird häufig die Variante erwähnt, dass ein Teil des Nordkosovos, der von Serben bewohnt wird, Serbien zugeschlagen wird. Im Gegenzug könnte das Presevo-Tal im Südwesten Serbiens, wo überwiegend Albaner zu Hause sind, dem Kosovo angegliedert werden. Dass von der Möglichkeit eines Gebietstausch im Kommuniqué der Berliner Konferenz keine Rede ist, sieht der Grünen-Osteuropaexperte Manuel Sarrazin als einen Erfolg. „Die Idee des Gebietstauschs ist damit tot“, sagte Sarrazin dem Tagesspiegel.

Unions-Fraktionsvize Wadephul: "Entscheidender Schritt nach vorne"

Nach den Worten des stellvertretenden CDU/CSU-Fraktionschefs Johann Wadephul hat die Westbalkan-Konferenz einen "entscheidenden Schritt nach vorne" gebracht. Mit dem Treffen würden nun wieder die Kernthemen im Verhältnis im Verhältnis zwischen Serbien und dem Kosovo in den Mittelpunkt gerückt, sagte er dem Tagesspiegel. Zu diesen Themen zählte Wadephul unter anderem den Umgang mit den serbischen Gemeinden im Kosovo, die Energieversorgung des Kosovo und nicht zuletzt die Frage eines Sitzes für Pristina bei internationalen Organisationen wie der UNO. "Das alles hat brachgelegen, weil man die Hirngespinste eines Gebietstauschs verfolgt hat", kritisierte Wadephul.

Balkan-Experte Reljic erwartet Diskussion um Strafzölle

Auch der Balkan-Experte Dušan Reljic von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sieht Indizien dafür, dass aus den im vergangenen August ins Spiel gebrachten Plänen für den Gebietstausch nichts mehr wird. "Thacis Position ist inzwischen so schwach, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit seinen ursprünglichen Gebietstausch-Plan nicht mehr durchsetzen kann", sagte Reljic dem Tagesspiegel mit Blick auf den Widerstand der Regierung in Pristina gegen den Vorstoß des Präsidenten. Reljic vermutet, dass die geplante Wiederaufnahme der Normalisierungsgespräche zwischen Belgrad und Pristina wohl von beiden Seiten an Voraussetzungen geknüpft wird. Vermutlich werde Belgrad darauf bestehen, dass die vom Kosovo verhängten Strafzölle vom Tisch kommen. Auf der anderen Seite werde die Regierung in Pristina sich vermutlich von der Bundesregierung die Zusage einholen, dass die Gespräche keine Grenzänderungen zum Ziel haben werden.

Folgekonferenz Anfang Juli in Paris

Zu denen, die den Plan einer neuen Grenzziehung zwischen Serbien und dem Kosovo vorangetrieben hatten, gehört auch die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Die Italienerin, deren Mandat in Brüssel nach der Europawahl endet, war in Berlin ebenfalls bei der Konferenz dabei. Auch bei einer Folgekonferenz, bei der Anfang Juli in Paris die Bedingungen für eine Wiederaufnahme des Dialogs zwischen Belgrad und Pristina erörtert werden sollen, wird Mogherini erwartet. Die entscheidende Rolle dürften bei dem Folgetreffen in der französischen Hauptstadt im Namen der EU aber Merkel und Macron spielen, erwarten Beobachter.

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