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Hat gute Aussichten auf den Posten als EU-Kommissionschef: Frans Timmermans.

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Update

Wer wird EU-Kommissionschef?: Der große Personalpoker

Der Gipfel in Brüssel hat mit Verspätung begonnen, es wird über die neue EU-Führung verhandelt. Die Visegrad-Gruppe lehnt Timmermans als Kommissionschef ab.

Von Robert Birnbaum

Heute Abend hat mit dreistündiger Verspätung der große Personalpoker um die Führungspositionen in der EU begonnen. Im Streit um den künftigen Präsidenten der EU-Kommission ist der CSU-Politiker Manfred Weber offenkundig aus dem Rennen. Ratspräsident Donald Tusk schlug am Sonntag einen Sozialdemokraten für die Nachfolge von Jean-Claude Juncker vor.

Damit ging der sozialdemokratische Spitzenkandidat Frans Timmermans als Favorit in den Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs, der am Abend in Brüssel begann. Nach dem Personaltableau, das Tusk den Fraktionschefs im EU-Parlament vorstellte, könnte Weber stattdessen Parlamentspräsident oder Vizepräsident der Kommission werden, außerdem könnte das Amt der Außenbeauftragten an die konservative EVP-Parteienfamilie fallen.
Weber war als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP) als Sieger aus der Europawahl hervorgegangen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte sich aber nicht nur gegen das ungeschriebene Prinzip gestellt, dass nur Kommissionschef werden kann, wer sich vorher den Wählern als Spitzenkandidat präsentiert hat.

Macron hatte Weber auch persönlich attackiert und als ungeeignet für den Posten bezeichnet. Weber wies die Attacke zwar öffentlich zurück. Doch schon nach einer Runde bei Kanzlerin Angela Merkel mit den Parteichefs Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Markus Söder (CSU) Ende letzter Woche war klar, dass Weber gegen eine von Frankreich angeführte Front nicht durchsetzbar war.

Allerdings wollte auf deutscher Seite auch niemand zulassen, dass Macron das Spitzenkandidaten-Prinzip aushebeln kann. Das Prinzip ist nirgendwo festgeschrieben. Die großen Fraktionen im EU- Parlament drohten aber damit, jeden anderen Vorschlag der Staats- und Regierungschefs abzulehnen.

Großer Einigungsdruck

Merkel setzte sich dann bei Gesprächen unter anderem mit Macron am Rande des G-20-Gipfels im japanischen Osaka dafür ein, am Prinzip festzuhalten. Da der erste Gipfel kurz nach der Europawahl ergebnislos geblieben war, stand das Treffen an diesem Sonntag unter großem Einigungsdruck.

Macron bezeichnete beim Eintreffen in Brüssel Timmermans neben der dänischen Liberalen Margrethe Vestager als geeigneten Kandidaten. Er forderte zudem, zwei der vier in Rede stehenden Spitzenposten müssten an Frauen gehen. CSU-Chef Söder kritisierte vor einem Treffen der EVP-Spitzen indirekt Macrons Vorgehen. Nach diesem Verfahren seien „dicke Brocken“ zu verdauen. Offenen Widerstand gegen den früheren niederländischen Regierungschef Timmermans leisteten osteuropäische Staaten. Er hatte als bisheriger Vizepräsident der EU-Kommission die Rechtstaatsverfahren gegen die Regierungen in Polen und Ungarn vorangetrieben.

Ein Sprecher der ungarischen Regierung erklärte, alle vier Staaten der Visegrad-Gruppe – Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei – lehnten den Niederländer ab.

Theoretisch könnte der Gipfel das Quartett überstimmen. Im Kreis der anderen Staaten gab es aber die Hoffnung, einige Staaten durch personelle oder inhaltliche Zugeständnisse umstimmen zu können. Der Personalpoker ist zusätzlich kompliziert, weil Konservative und Sozialdemokraten nach ihrem schlechten Abschneiden bei der Europawahl im Parlament keine Mehrheit mehr bilden, sondern auf andere Fraktionen wie Liberale und Grüne zugehen müssen. Nach Tusks Vorschlag könnte sein eigener Nachfolger oder die Nachfolgerin aus der liberalen Parteienfamilie kommen. Noch nicht entschieden werden sollte am Sonntag über den künftigen Chef der Europäischen Zentralbank. Als ein Favorit auf die Nachfolge des Italieners Mario Draghi gilt Bundesbankpräsident Jens Weidmann. Würde Weber Kommissionspräsident, wären seinen Chancen allerdings gering. Unklar war vor Gipfelbeginn, ob als Kompensation für Webers Verzicht zusätzlich ein deutscher Politiker für das Amt des Außenbeauftragten in Frage kam. In Berlin halten Beobachter Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) für eine mögliche Kandidatin. Leyen hat in den letzten Jahren den Aufbau einer gemeinsamen europäischen Verteidigung vorangetrieben. Auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gilt als in Brüssel gut vernetzt.

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