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Eine Krankenschwester bereitet eine Spritze mit einem potenziellen Impfstoff der US-Biotech-Firma Moderna gegen Covid-19 vor.

© Hans Pennink/AP/dpa

Exklusiv

Wer vertraut auf Biontech und Moderna?: Hälfte der Deutschen hat Bedenken bei Corona-Impfung

Die Zulassung eines Corona-Impfstoffs rückt näher. Doch die Hälfte der Deutschen fürchtet Nebenwirkungen – und könnte so die Schlagkraft des Impfstoffs gefährden.

Während die Menschen der nördlichen Hemisphäre auf steigende Infektionszahlen und drohende Überlastungen der intensivmedizinischen Ressourcen schauen, wächst neben der Angst gerade auch die Hoffnung, und sie erhält täglich neue Nahrung. Etwas mehr als eine Woche ist es her, dass die deutsch-amerikanische Impfstoff-Allianz BioNTech/Pfizer verkündete, demnächst die Zulassung für einen SARS-CoV-2-Impfstoff beantragen zu können, und vorgestern nun folgte das US-amerikanische Biotech-Unternehmen Moderna. Es wachsen damit die Hoffnungen, schneller als erhofft mit der größten globalen Impfkampagne aller Zeiten beginnen zu können.

Am Wochenende sagte der US-Immunologe Anthony Fauci, er rechne mit ersten Impfungen schon in einem Monat, mit einer Rückkehr zur „relativen Normalität“ schon im April 2021. Auch BioNTech-Chef Uğur Şahin prognostizierte eine Rückkehr zum „normalen Leben“ im Winter 2021. Sowohl Fauci als auch Şahin machten dabei eine wichtige Einschränkung: Voraussetzung für ein Ende der pandemischen Bedrohungslage sei eben auch eine hohe Durchimpfungsrate. Die hängt maßgeblich von der Impfbereitschaft der Menschen ab: Und hier gibt es gerade weniger ermutigende Signale.

Darauf jedenfalls deutet eine von Tagesspiegel Background in Auftrag gegebene repräsentative Civey-Umfrage hin. Laut dieser befürchtet jeder Zweite, dass ein demnächst zugelassener Coronavirus-Impfstoff aufgrund des nie da gewesenen Entwicklungstempos „mit unvorhersehbaren Risiken und Nebenwirkungen einhergehen wird“. Nur knapp vier von zehn Befragten beantworten diese Frage mit Nein. Der Stichprobenfehler liegt bei 3,3 Prozent.

Besonders hoch ist die Skepsis bei Frauen, von denen 56 Prozent ungeklärte Risiken fürchten (bei Männern: 42 Prozent). Ermutigend: Bei den Älteren, also jenen, die wahrscheinlich zuerst geimpft werden sollen, überwiegt die Hoffnung: 38 Prozent der über 65-Jährigen gehen von unabsehbaren Risiken aus, bei allen anderen Altersgruppen stellt diese Gruppe die Mehrheit, vor allem bei den 40- bis 49-Jährigen, hier sind es 60 Prozent. 

Es gab bereits mehrere Umfragen in Deutschland und Europa zur Impfbereitschaft. In denen erklärten maximal 60 Prozent der Befragten, sich gegen Corona impfen lassen zu wollen – manche Trends deuten auf eine Abnahme der Impfbereitschaft. Der Chef der Ständigen Impfkommission (STIKO), Thomas Mertens, sieht – neben der Infrastruktur – eine hohe Impfakzeptanz in der Bevölkerung als einen der wichtigsten Faktoren für die kommende Impfkampagne. Eine zentrale Rolle dabei spielten die Ärzte, meint Mertens. Sie seien es, die die Patienten über den Nutzen von Corona-Impfungen aufklären. 

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Allerdings scheint es auch in der Ärzteschaft mehr als vereinzelte Vorbehalte gegen Corona-Impfungen zu geben. So ergab eine nicht-repräsentative Umfrage des Fachärzteportals und -forums „Ärztenachrichtendienst“ in der vergangenen Woche, dass sich nur jeder zweite befragte niedergelassene Arzt selbst sofort nach Zulassung eines Corona-Vakzins impfen lassen wolle – und dies auch den eigenen Patienten nahelegen wolle. Umkehrschluss: Die Patienten der anderen Hälfte werden eine solche Empfehlung damit wohl erst einmal nicht zu hören bekommen.

Damit ist klar, dass die berüchtigte „Impfskepsis“, die in Deutschland seit jeher überdurchschnittlich stark ausgeprägt ist, im Falle eines Corona-Impfstoffs auch Bevölkerungsteile erfasst, die ansonsten immun gegen solche Ängste sind. Der Grund dafür ist offensichtlich. Ein neuer Impfstoff ist ein neues Medikament, und kein Medikament kommt ohne Risiken und Nebenwirkungen aus – die Wahrscheinlichkeit, nach einer kaum einjährigen Zulassungsphase alle zu kennen, geht gegen Null, und umgekehrt proportional steigt die Angst vieler potenziellen Impflinge. Sie müssen sich auf Statistiken aus Zulassungsstudien verlassen, die auf einer sehr viel geringeren Grundgesamtheit an Daten beruhen als Impfstoffe, die seit Jahrzehnten im Einsatz sind. 

Aufgegriffen wird das Problem etwa auch im dritten Bevölkerungsschutzgesetz, das heute verabschiedet werden soll: Mit diesem wird unter anderem ein „Monitoring- und Surveillance-System mit Beginn der Verimpfungen“ am Robert Koch-Institut (RKI) eingerichtet. Dies sei, heißt es in der Gesetzesbegründung, „angesichts einer beschleunigten Entwicklung und aktuell noch nicht umfassender Daten zur klinischen Wirksamkeit und zum Nebenwirkungsprofil der Covid-19-Impfstoffe“, nötig.

15 Jahre für Ebola-Impfstoff

Die kurze Zeitspanne bis zur Zulassung eines Corona-Impfstoffes wird, kommt es so, wie es derzeit aussieht, in die Medizingeschichte eingehen. „Viele Impfstoffe scheitern bereits in der Phase 1 der klinischen Prüfung“, betont der Biochemiker Klaus Cichutek, Chef des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), das unter anderem für die Prüfung der Sicherheit von Impfstoffen zuständig ist. Bis zur Entwicklung des Ebola-Impfstoffes habe es 15 Jahre gedauert, vorangetrieben worden sei die klinische Entwicklung bis zur ersten Impfung 2018 letztlich durch die Epidemie in Westafrika. 

Bei den sich derzeit noch in der Entwicklung befindlichen SARS-CoV-2-Impfstoffen könne man sich zumindest in Teilen auf Forschungen stützen, sagt Cichutek, die im Zusammenhang mit dem ersten SARS- und dem MERS-Virus stattgefunden haben. Beschleunigt worden sei das Verfahren zudem durch internationale Kooperationen zur Immunantwort bei SARS-CoV-2, durch die Kombination sonst getrennt stattfindender klinischer Prüfungen und die parallel laufende Entwicklungsprojekte der Impfstoff-Kandidaten. 

 Eine Flüssigkeit tropft aus der Kanüle einer Spritze.
Eine Flüssigkeit tropft aus der Kanüle einer Spritze.

© Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Vor allem aber hätten die verschiedenen Pharmahersteller von vornherein mehr Menschen in die Phasen der klinischen Prüfungen eingebunden. „In der abschließenden Phase-3-Prüfung vor der Zulassung, in der statistisch signifikante Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit eines Impfstoffkandidaten ermittelt werden, sind bei früheren Impfstoffentwicklungen mindestens 3.000 Personen, bei Covid-Impfstoffen in diesem Jahr mehr als 20.000 Personen eingeschlossen worden“, sagt Cichutek. Auf diese Weise käme man jetzt sehr viel schneller zu validen Daten. Und auch unerwartete schwere Nebenwirkungen, die etwas seltener als in einem Promille der Fälle vorkommen, könnten auf diese Weise schon in Phase 3 erkannt werden. 

PEI arbeitet an Aufklärung

Zwar erfolgt die Begutachtung und Prüfung der Tests durch das PEI sehr viel schneller als gewöhnlich, dennoch müssen Entwickler die gleichen Tests durchführen und Ergebnisse präsentieren, wie bei jedem anderen Impfstoff zuvor. Das betont Klaus Cichutek, Leiter des PEI, seit Monaten immer wieder. Gesundheitsgefahren aufgrund einer Covid-19-Impfung seien bisher nicht erkennbar, so Cichutek, man werde aber Wert darauf legen, die in den Studien geimpften Personen auch in den kommenden ein, zwei Jahren weiter zu beobachten, um eventuelle Langzeit-Risiken der Impfung auszuschließen. Bislang seien jedenfalls keine gravierenden, gegen eine Zulassung sprechenden Nebenwirkungen aufgetreten. Die am Mittwoch veröffentlichten Daten der jetzt abgeschlossenen Tests des Covid-19-Impfstoffs von Biontech/Pfizer an 44000 Probanden nennen “Müdigkeit” bei 3,7 Prozent und “Kopfschmerzen” bei zwei Prozent der Teilnehmer.

Gerade mit Blick auf die potenziellen Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna dürfte es in weiten Bevölkerungsteilen gehörige Skepsis geben. Schließlich beruhen beide Vakzine auf der völlig neuen mRNA-Technologie, für die Erfahrungswerte bei Menschen fast völlig fehlen. Befürchtungen, dass sich die RNA-Moleküle aus dem Impfstoff irgendwie ins menschliche Erbgut verirren und dort Probleme verursachen könnten, sind indes unbegründet. Weder Labor- noch Tierversuche und auch nicht die peniblen Phase-I-Studien an den ersten Menschen, denen RNA-Impfstoffe verabreicht wurden, deuten darauf hin. Das betonen nicht nur die Firmen, auch PEI-Chef Cichutek sieht keine Hinweise darauf. Auffällige oder besondere Nebenwirkungen sind in den aktuellen Covid-19-Studien ebenfalls nicht aufgetreten, auch nicht beim dritten RNA-Impfstoff gegen Covid-19 der Tübinger Firma Curevac, den der Infektiologe Peter Kremsner, Direktor des Tübinger Tropeninstituts der Universität, derzeit testet. “Bisher sind keine Besonderheiten aufgetreten.” 
Dennoch handelt es sich bei RNA-Impfstoffen um ein neuartiges Konzept und ob es genauso sicher ist, wie herkömmliche, wird man erst wissen, wenn vergleichbar viele Studiendaten vorliegen. 

Das PEI, sagt Cichutek, arbeite unter anderem wegen solcher Befürchtungen derzeit intensiv mit dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) daran, „die Menschen so umfassend wie möglich über die kommenden Covid-19-Impfstoffe aufzuklären“. Auch in der vom BMG Ende Oktober vorgelegten Nationalen Impfstrategie wurde ein „Steuerungskreis Kommunikation“ angekündigt, dem neben BMG, PEI und dem RKI auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und „beteiligte Agenturen“ angehören sollen, und dessen Auftrag es ist, vor allem die vulnerablen Gruppen, aber auch die breite Bevölkerung zu erreichen. Auch das „Impfquotenmonitoring“ und die „Evaluierung von Wirksamkeit und Sicherheit der Covid-19-Impfstoffe“ werden in der Strategie als Prioritäten aufgelistet.

Ob das reicht, wird sich erst noch zeigen müssen. Auf jeden Fall ist der Erfolg einer jeden kommenden Kommunikationskampagne so wichtig wie wohl bei keinem Impfstoff zuvor. Sollten sich nämlich zu viele Menschen gegenüber einer Corona-Impfung verschließen, weil sie Nebenwirkungen und Risiken fürchten, und sich von dieser Haltung auch nicht durch staatliche Appelle abbringen lassen, brächte dies auch eine in den vergangenen Monaten immer wieder aufflammende Debatte auf die Agenda: die der Corona-Impfpflicht. 

Das Ziel der 60 Prozent

Zwar betonten zuletzt Bund und Länder in ihrem am Montag gefassten Beschluss erneut, dass eine „Impfpflicht gegen SARS-CoV-2 nicht sinnvoll“ sei. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wurde in den vergangenen Monaten nicht müde, dies zu tun. Allerdings stets mit einer wichtigen Ergänzung: Es müssten sich genügend Menschen freiwillig impfen lassen. Er sei davon überzeugt, so Spahn, dass mit einer Durchimpfungsrate von rund 60 Prozent die ersehnte Herdenimmunität erreicht sei. Das ist eine sportliche Größe, bei der es nötig sein wird, auch Menschen zur Impfung zu bewegen, die bis jetzt offenbar Vorbehalte dagegen haben. 

Erstmals eingeführt – und gegen Proteste nicht nur von Impfgegnern und -skeptikern durchgesetzt – hatte Jens Spahn die Impfpflicht im Falle der Masern. Im vergangenen Jahr kam die „Pflicht“, die aber nicht mit Zwang, sondern nur mit Sanktionen durchgesetzt wird – ein elementarer Unterschied mit Blick auf das Eskalationspotenzial einer solchen Vorschrift. Ziel war es, die für die Masern-Herdenimmunität nötige Durchimpfungsrate von 95 Prozent zu erreichen, zuvor lag man bei 93 Prozent. Spahn verwies bei der Erarbeitung und Verabschiedung des Gesetzes immer wieder auf die äußerst selten auftretenden Nebenwirkungen der Masern-Impfung, die diesen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte rechtfertigten. Die Impfpflicht ist damit als Ultima Ratio deutscher Gesundheitspolitik bereits eingeführt – und schwebt damit weiter auch über dem Corona-Komplex. 

In ihrer gemeinsamen Stellungnahme zur Priorisierung bei Covid-19-Impfstoffen betonten Leopoldina, STIKO und Ethikrat vor eineinhalb Wochen, dass eine „undifferenzierte, allgemeine Impfpflicht“ auszuschließen sei. Aber sie schrieben auch: „Wenn überhaupt, ließe sich eine Impfpflicht nur durch schwerwiegende Gründe und für eine präzise definierte Personengruppe rechtfertigen.“ Insbesondere kämen dabei Menschen infrage, die beruflich „als potenzielle Multiplikatoren in ständigem Kontakt mit Angehörigen einer Hochrisikogruppe sind, wenn nur durch eine Impfung schwere Schäden von dieser Personengruppe abgewendet werden könnten“. Auch der Ethikrat machte deutlich, dass die „dazu erforderlichen legislativen Festlegungen und deren konkrete Anwendung […] im Lichte der sich weiterentwickelnden Kenntnislage zu Wirk- und Risikoprofilen der neuen Impfstoffe getroffen und überprüft werden“ müssten.

Wie weiter?

Wie also geht es weiter? Im besten Fall bleibt die Debatte zur Impfpflicht eine theoretische. Dann nämlich, wenn sich im kommenden Jahr genügend Menschen gegen SARS-CoV-2 impfen lassen und sich nicht allzu viele vom Raunen der Corona-Impfskeptiker verunsichern lassen. Aber wer weiß, ob nicht etwa ein irrlichtender Donald Trump im kommenden Jahr seine altbekannte Impf-Gegnerschaft wie einst im Falle der Masernimpfung wieder öffentlich zelebriert und damit auch Nachahmer bei seinen politischen Gesinnungsgenossen in Europa findet? 

Im schlimmsten Fall sinkt die Bereitschaft in der breiten Bevölkerung. Aus der Debatte darüber, wer zuerst geimpft werden darf, würde dann für viele eine darüber, wer zuerst geimpft werden muss. Für den gesellschaftlichen Frieden einer von der Pandemie gebeutelten Gesellschaft wäre dies pures Gift. Entsprechend viel hängt am Erfolg der Kommunikationsbemühungen der Bundesregierung zu den bald zugelassenen Impfstoffen. Dass sie fähig ist, sich große Mengen eines neuartigen Vakzins zu sichern, hat das BMG zusammen mit der EU-Kommission in den vergangenen Wochen wiederholt bewiesen. Die größten Herausforderungen dürften aber noch bevorstehen.

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