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Muss der eine den anderen dulden? Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) lauscht im Landtag CDU-Chef Mike Mohring.

© Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Wer mit wem in Thüringen nach der Wahl?: Land der begrenzten Möglichkeiten

In Thüringen ist der Wahlausgang am Sonntag offen. Koalitionsoptionen gibt es zwar einige. Es droht jedoch ein Patt. Und was dann? Ein Überblick.

Von den "Weimarer Verhältnissen" ist zuletzt eigentlich bei jeder Wahl die Rede gewesen - aber dann mendelten sich die Ergebnisse so zurecht, dass doch eine Regierungsbildung möglich wurde. Zuletzt in Brandenburg mit einer rot-schwarz- grünen Koalition (wie zuvor schon in Sachsen-Anhalt, nur dort von der CDU geführt). Eine solche Konstellation wird es wohl demnächst auch in Sachsen geben: Schwarz-Grün-Rot.

Aber in Thüringen nun scheinen tatsächlich Weimarer Verhältnisse auf - die Situation nämlich, die in der ersten deutschen Republik zur Politikblockade geführt hatte: Zwei Parteien, eine links, die andere weit rechts, die koalitionspolitisch nichts voneinander wissen wollen, sind zusammen stärker als die Parteien dazwischen, also die breite Mitte. Bei Linken und AfD ist das der Fall. "Weimar" auch im übertragenen Sinne in Thüringen also?
Eines muss man natürlich festhalten: Die von Ministerpräsident Bodo Ramelow angeführte Linke ist keine extremistische, antidemokratische Partei. Die Linkspartei schleppt zwar noch Vergangenheitsgeruch mit sich herum, aber er prägt die Partei nicht mehr so, dass etwa Rote-Socken-Kampagnen seligen Angedenkens noch irgendjemanden hinterm Kohleofen hervorlocken könnten. Kooperationen auch der CDU mit der Linken werden auch weniger durch ostdeutsche Sperrigkeiten behindert als durch Widerstände in der Bundespartei, die wiederum auch stark auf westdeutsche Bedenken zurückgehen, wo die Linke eine etwas anders gepolte Partei ist.

Nicht reif für eine Koalition

Klar ist aber auch: Linke und CDU sind derzeit beide noch nicht reif für eine echte Koalition auf Landesebene. Hätten Ramelow und sein christdemokratischer Kontrahent Mike Mohring (der tatsächlich Ministerpräsidenten-Chancen hat) im Wahlkampf auch nur Andeutungen in der Richtung gemacht, die Umfragen wären etwas anders ausgefallen. Aber die Macht der Fakten könnte hier nach der Wahl zu neuen Einsichten führen. Zu denen allerdings definitiv nicht gehören wird, dass eine auch nur irgendwie geartete Einbindung der AfD möglich wäre. Ein halböffentliches Säuseln darüber wie in der sächsischen CDU hat es bei den thüringischen Christdemokraten nicht gegeben, schon wegen der Spitzenkandidatur des ultrarechten AfD-Mannes Björn Höcke.

Das aktuelle Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen, nahe an der Wahl, näher als früher, weil Wähler sich immer später entscheiden, deutet das mögliche Patt in Thüringen an. Demnach können die Linken als knapp stärkste Partei am Sonntag mit 28 Prozent rechnen. Die CDU liegt bei 26 Prozent, die AfD bei 21 Prozent. Die SPD bleibt mit neun Prozent bei ihrem Kleinparteistatus im Land, die Grünen werden mit sieben Prozent geführt - und die FDP mit fünf Prozent darf mal wieder bangen. Das ergibt nun die Konstellation, dass Linke und AfD auf 49 Prozent kämen, CDU, SPD, Grüne und FDP auf 47 Prozent.

Viel Spekulation

Und damit kann das Spekulieren beginnen, was denn nun an Möglichkeiten besteht in Thüringen, wenn es tatsächlich zu solch einem Ausgang käme. Die regierende rot-rot-grüne Koalition unter Ramelow wäre abgewählt - sie hätte zusammen 44 Prozent der Stimmen. Selbst wenn die FDP den Einzug in den Landtag verpassen würde, dürfte es so nicht reichen - immerhin könnte es knapp werden. Was allerdings auch für die Koalition der Mitte gilt: Schon kleine Bewegungen könnten aus den 47 Prozent ein bisschen mehr werden lassen und die Republik sähe vielleicht die erste schwarz-grün-rot-gelbe Viererkoalition mit Mohring als Regierungschef.

Ohne FDP im Landtag müsste sich allerdings noch einiges bewegen bei CDU, Grünen und SPD, um zu dritt etwas machen zu können. Andererseits: Würde eine erfolgreiche FDP sich zu Rot-Rot-Grün hinzugesellen, könnte es für eine etwas andere Viererkoalition reichen. Kurzum: Im Moment sind Mehrheitskoalitionen alles andere als sicher. Und eine Koalition mit der Linken hat Mohring ausgeschlossen - das einzige Bündnis, das ein sichere Mehrheit hätte, käme auf komfortable 54 Prozent.

Eine Minderheitsregierung?

Was zur Frage führt, ob eine Minderheitsregierung ins Haus steht. Streng genommen wird es, kommt keine handlungsfähige Mehrheit zusammen, eine solche sogar sogleich geben. Denn Ramelow bleibt zunächst im Amt, bis ein Nachfolger gewählt ist. Auch die Minister der jetzigen Koalition könnten bleiben, allerdings dürfte Ramelow als Chef der geschäftsführenden Regierung keine neuen Minister ernennen.

Hält Rot-Rot-Grün zusammen, wäre die CDU gezwungen, sich zu diesem Fortbestehen der bisherigen Koalition als Minderheitsregierung zu verhalten – denn im Landtag braucht es bei Gesetzen eine Mehrheit. Man kann natürlich wenig Gesetzgebung machen, in der Landespolitik geht das schon mal eine Zeit lang. Spätestens zur Beschlussfassung für einen neuen Etat im Herbst 2020 hin aber wäre dieser Schwebezustand nicht mehr zu halten. Dann müsste es wohl zu einer Koalitionsbildung kommen – oder zu Neuwahlen.

Vorbild Schweiz?

Eine ungewohnte Möglichkeit wäre, es nach der Wahl mit Schweizer Verhältnissen zu probieren. Also eine Art Allparteien-Regierung aller unzweifelhaft demokratischen Kräfte zu bilden ohne die AfD, mit oder ohne die Wackelkandidatin FDP. Eine Konsensregierung, um der Stabilität des Landes willen sozusagen. Aber ginge das? Müsste da nicht Mohring ein Versprechen brechen? Würden die Wähler das überhaupt wollen? Faktisch würde die CDU einer schon bestehenden rot-rot-grünen Koalition beitreten.

Die neue Partnerin in einer solchen erweiterten Regierungsgemeinschaft müsste natürlich starkes Gewicht bekommen – sie ist auf Augenhöhe mit der Linken. Und Mohring wäre es mit Ramelow. Läge Schwarz leicht vorn als knapp stärkste Partei, müsste Mohring auch Ministerpräsident werden. Macht die Linke das mit? Eine eher theoretische Spielerei also. Eines ist angesichts der Gemengelage sicher: Es wird mal wieder eine ziemlich spannende Wahl.

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