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Laut? Wir doch nicht! Gegen mögliche Fahrverbote sind Motorradfahrer Anfang Juli schon mal vorsorglich auf die Straßen "gegangen".

© dpa

Wenn Motorradlärm zum Terror wird: Der Sound der Gestrigen

Mit einer Bundesratsinitiative geht Baden-Württemberg gegen laute Motorräder vor. Dabei sollte es nicht bleiben: Auch viele Autos machen zu viel Krach. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Werner van Bebber

Wer in der Nähe einer Landstraße wohnt, kennt das: Ab März, April hört man vor allem wochenends rasendes Röhren oder dumpfes Donnern: Die Saison der Biker hat begonnen. Wäre das ein seltenes Phänomen, müsste man kein Wort darüber verlieren.

Doch es gibt Regionen, in denen Landstraßen regelmäßig zu Rennstrecken werden oder zu Promeniermeilen zur Vorführung des maximalen Schalldrucks einer Harley Davidson mit einer Auspuffanlage, über die der Händler schreibt, sie solle mit zusätzlichen Dämpfern bestückt werden, „um den brachialen Sound etwas zu bändigen“. Die Anlage ist nicht zugelassungsfähig. Man sieht und hört sie trotzdem an mancher der Maschinen.

Es geht jetzt hier aber nicht gegen oder um Harley-Fahrer. Eindrucksvolle Motorräder italienischer, japanischer oder auch deutscher Herkunft sind nicht leiser in ihrem Auftritt und sollen das auch gar nicht sein. Hier geht es um den „Sound“ als Hobby oder besser: dessen Nebenwirkung. Es geht um die Penetranz von Bikern, die zum Politikum geworden ist: Baden-Württemberg hat einen Vorstoß gegen Motorradlärm unternommen.

Die entsprechende Initiative wurde Mitte Mai im Bundesrat zustimmend zur Kenntnis genommen. Sie will erreichen, das so genanntes Sounddesign untersagt wird. Sounddesign meint das Ausrichten einer Auspuffanlage auf möglichst imposanten Klang, der je nach Einstellung der Anlage lauter oder leiser werden kann, etwa beim Passieren einer Polizeistreife.

Zusätzlich soll an Biker appelliert, soll kontrolliert, soll härter bestraft werden. Auch Streckensperrungen sollen möglich sein. Die Polizei soll es richten, wie üblich.

Ausgegangen ist die Initiative von einem Bündnis von 29 Städten, Gemeinden und Landkreisen, so die Landesregierung. Mittlerweile gehörten 98 Teilnehmer der Initiative an. Sie repräsentierten „ein Viertel der Einwohner Baden-Württembergs“.

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Das Thema bewegt also nicht allein Kradfahrer, Bike-Optimierer, Custom-Schmiede, die noch aus einer ollen BMW K 100 einen donnernden Bobber machen, mit dem man andere BMW-Fahrer beeindruckt. Es bewegt das Publikum. Und das Donnern der Maschinen ist nur ein Teil des Themas.

Man kann die Initiative gesundheitspolitisch im Sinn der gestörten Ruhe von Dörflern und der Menschen begrüßen, die im Einzugsbereich von ein paar Kilometern Landstraße leben (denn soweit hört man eine schalloptimierte Honda 1000 CBR, deren Fahrer einen Beschleunigungstest auf 240 km/h macht). Man könnte aber auch grundsätzlich fragen, wie zeitgemäß ein Vergnügen noch ist, das im Verbrennen von Kraftstoff und der Produktion von Dezibeln besteht. Ist es nicht genauso ans Ende seiner Zeit gekommen wie das Skifahren auf Gletschern?

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Der Bundesverband der Motorradfahrer räumt auf seiner Internetseite ein: „Sicherlich ist es so, dass auf bestimmten, meist kurvenreichen Strecken von Einzelnen oder kleinen Gruppen rücksichtslos ‚geheizt' wird, und das zu (...) einer erheblichen Lärmbelastung führt.“ Trotzdem wehren sich die Biker. Sie fühlen sich kollektiv diskriminiert.

Nicht zu Unrecht: Lärmschutz kann man auch von Autoherstellern wie Mercedes, BMW, Audi und Porsche verlangen, deren PS-Protze sich ebenfalls gern soundoptimiert werden, damit auch ja jeder merkt, wenn jemand durch Kreuzberg brettert oder in einem Tunnel noch mal extra Gas gibt. Erziehung zur Mäßigung richtet sich also nicht nur an Biker, sondern auch an eine Menge Autofahrer. Ein schöner neuer Job für Baden-Württemberg – oder auch den Berliner Senat.

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