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Der Euro leuchtet auf die Südfassade der Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main.

© Arne Dedert/dpa

Welche Rolle spielen die Zentralbanken in der Inflation?: Im Vergleich von EZB und Fed heißt es: Vorteil Amerika

Die US-Notenbank hat mit einem Land zu tun, die Europäische Zentralbank mit 19 Euroländern. Das ist von Nachteil - besonders, wenn es kritisch wird. Ein Gastbeitrag.

Ein Gastbeitrag von Jörg Rocholl

Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben. Heute ein Beitrag von Jörg Rocholl, Präsident der internationalen Wirtschaftshochschule ESMT in Berlin und und stellvertretender Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium. Regelmäßige Autoren und Autorinnen sind Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Sigmar Gabriel, Günther Oettinger, Prof. Dr. Bert Rürup und Prof. Dr. Renate Schubert.

Die Inflation ist zurück. Global und mit Macht, wie das jüngste Protokoll der US-Zentralbank Fed eindringlich vor Augen führt. Dabei ist nicht nur die US-Inflationsrate von fast sieben Prozent im November bedenklich – immerhin die höchste Teuerung seit 40 Jahren. Es ist vor allem der ökonomische Ausblick, der den Notenbankern Sorgen bereitet. Sie erwarten, dass die gegenwärtigen Lieferengpässe bei vielen Produkten deutlich länger als erwartet die Wirtschaft beeinflussen und damit die Preise in die Höhe treiben werden.

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Neue Corona-Varianten könnten neben steigenden Energiepreisen ihr Übriges tun, um die inflationäre Dynamik der vergangenen Monate weiter anzutreiben. Diese globalen Effekte betreffen auch die EU. Die Statistikbehörde Eurostat verzeichnete im Dezember mit geschätzten 5,0 Prozent die höchste Rate seit Beginn der Inflationsmessung 1997.

Die Augen richten sich also auf die Zentralbanken, vor allem in Europa und den USA. Das gilt nicht nur für die Zinspolitik, sondern auch für die Strategie der „quantitativen Lockerung“, also vor allem der durch die Pandemie noch verstärkten Wertpapierkäufe. Jetzt zeigt sich besonders der hohe Wert unabhängiger Zentralbanken. Denn die Wissenschaft hat theoretisch wie empirisch umfassend belegt, dass unabhängige Notenbanken besonders wirksam Preissteigerungen bekämpfen können.
Aber wie unabhängig sind die Zentralbanken heute noch, vor allem im internationalen Vergleich?

Die gefühlte Unabhängigkeit ist noch größer als die rechtliche

Die formale Antwort ist klar: Notenbanken in Europa und den USA genießen rechtliche Unabhängigkeit. Die gefühlte Unabhängigkeit geht sogar darüber hinaus. Kaum ein Politiker wagt es, diesen Status öffentlich infrage zu stellen, sonst droht öffentliche Entrüstung. Aber jenseits dieser zunächst beruhigenden Erkenntnis lauern zwei Gefahren. Die erste: fiskalische Dominanz. Wenn Staaten sich übermäßig verschulden und damit eine sehr hohe Zinslast tragen, könnten Zentralbanken sich genötigt sehen, die Kosten für diese Zinslast und damit für den finanzpolitischen Handlungsspielraum der Staaten in ihre Entscheidungen einzubeziehen.

Sie wollen ja nicht riskieren, dass Länder durch höhere Zinsen in Schwierigkeiten geraten und sich eine Situation wie in der europäischen Staatsschuldenkrise vor zehn Jahren wiederholt. Damals geriet nicht nur Griechenland in Turbulenzen, vielmehr stiegen die Renditen für mehrere europäische Staaten so stark, dass nur teure Rettungspakete gravierendere Auswirkungen wie ein Auseinanderfallen des Euro-Raums verhindern konnten. Ab einem bestimmten Zeitpunkt droht also die Fiskalpolitik geldpolitische Entscheidungen der Zentralbanken zu dominieren.

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Die zweite Gefahr: Marktdominanz. An den internationalen Kapitalmärkten hat sich die Erwartung gebildet, die Notenbanken würden es im Fall der Fälle „schon richten“. Man denke nur an den Crash der internationalen Aktienmärkte im März 2020. Damals gab es panikartige Warnungen, die Corona-Pandemie werde in einer Weltwirtschaftskrise münden.

Regierungen und Zentralbanken intervenierten damals zu Recht und massiv, um die Folgen für die Weltwirtschaft abzumildern. Es gibt aber Fälle, in denen Intervention der Regierungen und Zentralbanken weniger oder gar nicht hilfreich sind. Greifen sie zu häufig und nach unklaren Kriterien ein, verfestigt sich die Erwartung, Notenbanken würden die immer sorgloseren Kapitalmärkte zur Not ja ohnehin „rauspauken“.

Die Angst vor heftigen Marktreaktionen ist ein Faktor

Für Zentralbanken wird es dann immer schwieriger, gegenzusteuern und auf einen „normalen“ Kurs zurückzukehren – jede Ankündigung eines Rückzugs würde die Kapitalmärkte schließlich beunruhigen. Die Angst vor heftigen Marktreaktionen droht die Geldpolitik zu dominieren. Die Notenbanken begeben sich in die Gefahr, Getriebene der Kapitalmärkte zu werden.

Was bedeutet das für die gegenwärtige Situation und die Bekämpfung der Inflation? Sowohl die Fed als auch die Europäische Zentralbank (EZB) haben angekündigt, die Zügel anziehen zu wollen. Die US-Notenbank wirkt dabei allerdings wesentlich entschlossener als die EZB, weil die Fed schon konkret mehrere Zinserhöhungen angekündigt hat und auch ihre Bilanz schneller reduzieren will.

Die EZB ist für 19 Staaten verantwortlich

Für die eher abwartende Haltung der EZB mag es gute und nachvollziehbare Gründe geben. Dazu gehören zum Beispiel Lehren aus früheren Krisen wie in den Jahren 2008 und 2011, als sie Zinssätze zu früh erhöhte und ihre Entscheidungen jeweils nach kurzer Zeit revidieren musste.

[Lesen Sie hier 20 deutsche Mythen zur EZB-Geldpolitik - von DIW-Chef Marcel Fratzscher.]

Aber die EZB hat einen strukturellen Nachteil gegenüber der Fed – und somit einen wesentlich schwierigeren Balanceakt zu bewältigen. Sie ist, anders als die Fed, verantwortlich für 19 Staaten mit unterschiedlichen ökonomischen Daten und vor allem staatlichen Finanzierungsbedingungen. Man kann sich leicht ausmalen, was passieren würde, wenn hoch verschuldete Staaten des Euro-Raums wieder höhere Zinsen für ihre Schulden zahlen müssten. Das Risiko der fiskalischen Dominanz ist wegen der Konstruktion des Euro-Systems damit für die EZB deutlich höher als für die Fed.

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Welche Folgen ergeben sich aus dieser Asymmetrie? Für die absehbare Zukunft dürfte die Normalisierung der Geldpolitik in den USA schneller voranschreiten als im Euro- Raum. Die schwache Entwicklung des Euros gegenüber dem Dollar spiegelt diese Erwartung wider. Das erfreut Unternehmen im Euro-Raum, die ihre Produkte in die USA verkaufen, und besonders die exportorientierte deutsche Wirtschaft. Diese Entwicklung hat aber gravierende Kehrseiten.

Erstens importieren wir durch den steigenden Dollarkurs weitere Inflation. Die aus den USA eingeführten oder in Dollar fakturierten Produkte werden durch den starken Dollar teurer und treiben damit die Preise für hiesige Konsumenten und Produzenten in Europa. Zweitens wird es der EZB selbst ohne die importierte Inflation durch die Gefahr der fiskalischen Dominanz schwerer fallen, den gegenwärtigen Preisauftrieb wirksam zu bekämpfen.

Die Vollendung der Kapitalmarktunion würde helfen

Dafür benötigt sie die strukturelle Unterstützung der Politik: Die nach wie vor bestehenden offenen Flanken bei der Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion müssen endlich geschlossen werden, beispielsweise durch die Vollendung der Kapitalmarktunion.

Die problematischste Kehrseite der gegenwärtigen Entwicklung ist aber, dass es dem Euro immer schwerer fallen wird, mit dem Dollar zu konkurrieren. Der Status des Dollars als Weltleitwährung erleichtert den USA traditionell den Zugang zu internationalen Kapitalmärkten, bei der staatlichen Verschuldung wie bei der Finanzierung von Unternehmen.

Die Bedeutung der Leitwährung hat darüber hinaus aber auch geopolitische Auswirkungen – Unternehmen im Euro-Raum können abhängig von Entscheidungen der US-Regierung werden. Iran und Nord Stream 2 sind dafür zwei illustre Beispiele. Einen einheitlichen Kapitalmarkt für die Euro-Zone zu schaffen, würde also nicht nur mehr wirtschaftliche Effizienz bedeuten, sondern auch mehr politische Souveränität. Der Anstieg der Inflation sollte uns deshalb ein Weckruf sein.

Jörg Rocholl

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