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Der ESM-Sparkurs hat in Griechenland zu sozialen Verwerfungen geführt. Das möchte kein Staatschef seinen Leuten zumuten. (Archivfoto von 2015)

© Fotis Plegas G./ANA-MPA/dpa

Was wurde eigentlich aus dem ESM?: Der EU-Rettungsfonds ist politisch tot

Die EU plant ihren Corona-Hilfsfonds - und hat noch 400 Milliarden im ESM-Rettungsfonds liegen. Das Geld will aber keiner. Zu böse die Erinnerungen. Eine Kolumne

Eine Kolumne von Harald Schumann

Erinnert sich noch jemand an den "Rettungsfonds” ESM? Jene umstrittene Konstruktion mit dem sperrigen Namen „Europäischer Stabilitätsmechanismus“, mit der die Finanzminister der Eurozone die Länder Irland, Portugal, Spanien, Griechenland und Zypern während der Finanzkrise zahlungsfähig hielten?

Eigentlich sollte die Institution bis heute eine wichtige Funktion haben. Immerhin schleusten die Eurostaaten damals Notkredite in Höhe von 450 Milliarden Euro in die Schuldenstaaten, damit diese ihre privaten Gläubiger auszahlen konnten. Noch immer stehen weitere 400 Milliarden Euro bereit, um Krisenländern beizustehen. Wäre es nach Bundeskanzlerin Angela Merkel gegangen, dann wäre der ESM sogar zu einem „Europäischen Währungsfonds“ ausgebaut worden, der jetzt zur Bekämpfung der Coronakrise hätte genutzt werden können. Doch das ging gründlich schief.

Niemand setzt heute noch auf den ESM. Selbst Regierungen in höchster Not wie die in Spanien oder Italien wollen nichts mit dem Laden zu tun haben, ganz gleich wie billig der seine Kredite anbietet. Und das mit gutem Grund. Auf dem ESM lastet der Fluch der bösen Tat. Denn damals, in den Jahren nach 2010, war die in Luxemburg angesiedelte Quasi-Staatsbank unter Leitung des deutschen Karrierebeamten Klaus Regling das zentrale Instrument der finanzstarken Regierungen unter Führung der deutschen, den überschuldeten Staaten eine ideologisch getriebene und ökonomisch unsinnige Sparpolitik zu aufzuzwingen – und das zu Lasten der schwachen Bürger in ihren Ländern.

Im Verein mit der Europäischen Zentralbank zwangen sie die Schuldenstaaten zu Lohn- und Rentenkürzungen, der Abschaffung von Tarifverträgen und sowie einem überzogenen Abbau im Gesundheitswesen. Das nannten sie beschönigend „Strukturreformen“, obwohl die Verantwortlichen so etwas in ihren eigenen Ländern niemals zugelassen hätten.

Gleichzeitig befreiten sie die deutschen oder französischen Banken von der Verantwortung und Haftung für ihre Fehlinvestitionen, ganz zu schweigen von den Konzernen, die durch Bestechung von Regierungsbeamten für den Kauf überteuerter Waffen und Infrastruktur wesentlich zur Überschuldung beigetragen hatten. Und obwohl es letztlich um eine zweite Bankenrettung ging, hängten sie der Operation auch noch den Mantel der „europäischen Solidarität“ um – eine Verharmlosung, die viele der Betroffenen als Verhöhnung empfinden mussten.

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Als dann in Griechenland schließlich die Wähler aufbegehrten, drohten die Finanzminister der Gläubiger der neu gewählten Regierung gar mit dem Rauswurf aus der Eurozone. Weil dies das Land endgültig in den Abgrund gestoßen hätte, mussten die griechischen Rebellen am Ende aufgeben. Ihr Land wurde de facto ein „Protektorat“, wie der Philosoph Jürgen Habermas urteilte. Fortan musste die Regierung in Athen sich ihre Gesetzentwürfe von den Gläubigern genehmigen lassen, noch bevor sie ans Parlament gingen.

All das ging nur, weil die verantwortlichen Minister unter Führung ihres deutschen Kollegen Wolfgang Schäuble die Konstruktion „intergouvernemental“ anlegten, also außerhalb der EU-Institutionen. So stellten sie das Europäische Parlament kalt, und demokratische Kontrolle im Sinne des europäischen Gemeinwohls fand gar nicht erst statt. Kein Wunder also, dass sich niemand jemals wieder einem solchen Regime unterwerfen möchte. Jeder Regierungschef, der heute einen ESM-Kredit aufnehmen wollte, könnte auch gleich seinen Rücktritt einreichen.

Beim Coronafonds werden nicht allein Technokraten entscheiden

So blieb den EU-Regierungen nun nichts anderes übrig, als den dringend benötigten Gemeinschaftsfonds für die Bekämpfung der Coronakrise ganz regulär innerhalb der EU und deren Verträgen aufzusetzen, unter voller Kontrolle durch das EU-Parlament. Auch von den dafür vorgesehenen 750 Milliarden soll die Hälfte als Kredit vergeben werden. Nur werden dieses Mal nicht ein paar Technokraten allein die Bedingungen hinter verschlossenen Türen festlegen, dafür werden Europas Parlamentarier sorgen.

In der Folge aber ist der ESM in seiner jetzigen Form „politisch nicht überlebensfähig“, wie der Politikwissenschaftler Lucas Guttenberg vom Berliner Jacques Delors Centre analysiert. Anstatt weiter mit Reförmchen daran herumzudoktern, sollten die Regierungen der EU den Fonds in den vertraglich feststehenden Rechtsrahmen der EU überführen. Das würde ihn dorthin zurückverlagern, wo er hingehört.

Der Nutzen wäre enorm. Die neue Behörde unter Führung der EU-Kommission könnte die fünf bisher einzeln verwalteten Kreditprogramme der EU unter einem Dach zusammenführen und die Erfahrung der ESM-Experten nutzen, um die geplante gemeinschaftliche Kreditaufnahme der EU für den Corona-Fonds zu managen. Käme es dazu, könnte der ESM doch noch das Stigma von gestern hinter sich lassen. Nur ein neuer Name müsste dann noch her.

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