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Michael Müller

© Thilo Rückeis

Was Michael Müller Theresa May sagen könnte: „Ihr Festhalten am Brexit, mit Verlaub, mutet fanatisch an“

Tegel-Referendum, das gab's auch: Was die britische Regierungschefin von Berlins Regierendem Bürgermeister lernen könnte. Ein fiktiver Brief

Am Montag vor der Brexit-Abstimmung haben über hundert EU-Parlamentarier in einem Brief an die Briten appelliert, auf einen EU-Austritt zu verzichten. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, hat das nicht getan. Er hat auch nicht an Theresa May geschrieben. Hätte er aber können. Und das hätte dann vielleicht so ausgesehen:

„Ich wende mich an Sie in großer Sorge um den Fortbestand der Europäischen Union. Als Demokraten müssen wir ungeachtet unserer parteipolitischen Präferenzen vereint für das große Ganze kämpfen. Ich bewundere Ihre Geduld und Ihre Ausdauer, die Sie an den Tag legen, damit der Austritt Großbritanniens aus der EU geregelt vonstatten gehen kann. Aber ich appelliere auch an den sprichwörtlichen britischen „common sense“ und Pragmatismus. Diese beiden Tugenden sind gerade bei der Umsetzung von zweifelhaften, aus situativ bedingten Launen und Stimmungen entstandenen Referenden bitter notwendig, wie ich aus eigener Erfahrung berichten kann.

"Auch das Tegel-Referendum war rechtlich nicht bindend"

Im September 2017, also ein gutes Jahr nach der äußerst knappen Brexit-Entscheidung in Ihrem Land, stimmten die Berliner Wähler, parallel zur Bundestagswahl, über den Weiterbetrieb des Flughafens Berlin-Tegel ab, 56 Prozent stimmten für den Weiterbetrieb, 42 Prozent dagegen. Auch dieses Referendum war rechtlich nicht bindend. Deshalb beschloss die von mir geführte Regierung, sich über das Ergebnis der Abstimmung hinwegzusetzen. Das führte, wie erwartet, zu vorübergehender Kritik, bisweilen auch zu Anfeindungen. Aber recht schnell ebbten die entfachten Leidenschaften auch wieder ab. Letztlich arrangiert sich der Wähler mit den von der Politik geschaffenen Realitäten. In keiner Sekunde habe ich daran gezweifelt, dass die buchstabengetreue Umsetzung des Wählerwillens für meine Stadt nicht gut gewesen wäre.

Sehr geehrte, liebe Frau May, ich halte es grundsätzlich für richtig, in zentralen politischen Fragen das Volk zu befragen. Aber nur bei Wahlen sollte das Volk auch das letzte Wort haben. Andernfalls würden die Säulen einer repräsentativen Demokratie beschädigt. Wir Politiker verfügen in der Regel über die tieferen Einsichten und stellen zukunftsorientierte Überlegungen an. Wir haben die Macht, tragen aber auch ein hohes Maß an Verantwortung. Vielleicht kann das von mir geschilderte Berliner Beispiel Ihnen und Ihren Landsleuten als Richtschnur dienen. Aus hiesiger Sicht mutet Ihr Festhalten am Brexit, bitte verzeihen Sie den Ausdruck, als etwas ideologisch, ja fanatisch an.

Ich möchte Ihnen daher Mut machen, sich in diesem Fall zum Wohle Ihres Landes über die sehr knappe EU-Austritts-Mehrheit hinwegzusetzen. Sollten politische Argumente dafür nicht ausreichen, könnten Sie zusätzlich juristische und ökonomische Expertisen in Auftrag geben, die Ihre Entscheidung stützen. Als Regierender Bürgermeister der deutschen Hauptstadt bin ich jederzeit bereit, Ihnen dabei mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.“

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