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Virtueller Impfgipfel - Berlins Regierender Bürgermeister und Kanzlerin Angela Merkel im Kanzleramt

© Steffen Kugler/Bundesregierung/dpa

Was kann besser werden beim Impfen?: Hausaufgaben vom Impfgipfel

Der Impfgipfel im Kanzleramt soll überspannte Erwartungen korrigieren – aber auch aufzeigen, wo noch Luft nach oben ist beim Impfen in Deutschland.

Eine Impfstoffproduktion, sagt Franz-Werner Haas, sei „keine Brezelbackmaschine“. Haas ist Chef des Tübinger Impfstoff-Entwicklers Curevac. Er weiß also, wovon er redet.

Genau deshalb hat ihn Jens Spahn am Montag noch vor dem „Impfgipfel“ eingeladen. Zusammen mit Bayer-Vorstand Stefan Oelrich soll er nicht nur eine neue Erfolgsmeldung von der Impfstofffront verkünden, sondern vor allem etwas mehr „Realismus“ im Sinne des Gesundheitsministers in die aufgeheizte Debatte bringen.

Nach dem Videotreffen wird rasch deutlich: Der Plan ist aufgegangen. „Wir haben alle miteinander auch voneinander gelernt“, räumt Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) ein – zum Beispiel, wie kompliziert so eine Produktion doch sei. Die neu aufzubauen dauere "Monate".

Auch der Bayer Markus Söder (CSU) redet plötzlich nicht mehr von staatlichen Zwangslizenzen, sondern leicht verschwiemelt davon, dass man wohl die „Kommunikation des Erwartungsmanagements“ verändern müsse. Zu Deutsch: Weniger ins Blaue hinein fordern und nicht so tun, als sei mehr Impfstoff nur eine Frage des Willens.

Trotzdem lässt sich manches an der Impfkampagne verbessern - und zwar in der Zuständigkeit aller Beteiligter an Angela Merkels Impfgespräch.

Hochfahren der Produktion

Für die nächsten Wochen, sagt Industriepräsident Siegfried Rußwurm, kann die Branche keine Besserung versprechen: Der Aufbau neuer Produktionen sei zu komplex und zeitaufwändig. Doch mittel- und langfristig sieht das anders aus.

Für den Biontech/Pfizer-Impfstoff ist seit kurzem ein weiteres Werk in Marburg im Betrieb, das im ersten Halbjahr 250 Millionen Impfdosen liefern soll. Die sind im Biontech-Kontingent allerdings bereits eingerechnet.

Genehmigung und Umbau in Marburg gingen schnell, weil im früheren Novartis-Werk die nötigen High-Tech-Einrichtungen und geschulte Mitarbeiter schon vor Ort waren.

Neu hinzukommen soll gegen Monatsende eine Produktion der Biontech-Vakzine in einem Werk im westfälischen Halle. Der US-Konzern Baxter hat dort bisher Krebsmedikamente hergestellt. Demnächst soll auch das Mittel der Firma Novavax dort produziert werden.

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Möglicherweise zum Jahresende will Bayer in die Impfstoffproduktion einsteigen. Vorstand Oelrich kündigte an, dass der Pharmariese ein Wuppertaler Werk für die Herstellung der Curevac-Vakzine umrüsten könne.

Dieser Impfstoff, wie das Biontech-Präparat ein neuartiges mRNA-Mittel, durchläuft gerade die Studien für ein Zulassungsverfahren. Haas stellt bis Jahresende mehrere hundert Millionen Impfdosen in Aussicht und für das Jahr 2022 - mit Hilfe von Bayer und anderen Kooperationspartnern wie der Wacker-Chemie - mehr als eine Milliarde.

Bayer hilft dem Tübinger Startup schon seit Januar bei der Logistik und in Verfahrensfragen. Der Weltkonzern war bisher selbst kein Impfstoffproduzent.

Ob weitere Chemiefirmen in die Impfstoffproduktion einsteigen könnten, war eine der Fragen, die beim Impfgipfel besprochen werden sollte.

Mehr Flexibilität

Etwas mehr lokale Eigenverantwortung kann helfen, damit kein Impfstoff weggeworfen werden muss. Wenn abends im Impfzentrum noch geringe Mengen in Ampullen sind, können Rettungskräfte oder Polizisten damit geimpft werden. Das wird auch schon reihenweise praktiziert.

Im pünktlich zu dem Impftreffen vorgelegten neuen Entwurf einer aktualisierten Coronavirus-Impfverordnung findet sich zugleich eine Öffnungsklausel, die Einzelfallentscheidungen ermöglicht.

Bundesweit Schlagzeilen machte der Fall des 30-jährigen Benni Over aus dem Kreis Neuwied. Der an schleichendem Muskelschwund leidende Over ist an den Rollstuhl gefesselt und wird beatmet. Eine Corona-Infektion würde er wohl nicht überleben.

Auf Drängen seiner Eltern willigte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) in vorgezogene Impfungen für ihn und seine Eltern ein.

Overs Vater kämpft nun dafür, dass bundesweit von der neuen Härtefallklausel Gebrauch gemacht werden kann, auch wenn es dafür wieder Kommissionen braucht. „Vom Land Bremen haben wir bereits erfahren, dass eine Härtefallkommission gebildet wurde“, berichtet Over. Aber zugleich drohen hier Klagewellen. Nach Beschlüssen des Berliner Verwaltungsgerichts wurde zwei Berliner Krebskranken kein Anspruch auf eine vorgezogene Impfung zugebilligt.

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Bessere Hotlines

Ewigkeiten in der Warteschleife hängen, kein Durchkommen bei der Telefon-Hotline – das hat in den letzten Wochen bei vielen Menschen für Frust gesorgt, die für sich oder ihre Angehörigen einen Impftermin vereinbaren wollten. Der Hinweis der Kassenärzte, ein „Wettrennen“ um Termine sei nicht nötig, half da auch nicht weiter.

Eine Aufstellung der Kassen für den Impfgipfel fasst das Problem in Zahlen: Rund 6,8 Millionen Hotline-Anrufe sind insgesamt erfasst. 4,9 Millionen davon reichte die Bundes-Hotline an die Länder weiter. Von denen kamen 1,7 Millionen zumindest technisch auf eine freie Leitung durch - ob die Anrufer dort wirklich auf einen Gesprächspartner trafen, lässt sich nicht überprüfen.

Der Impfgipfel vereinbarte jetzt eine Art atmenden Impfplan. Auf den Tag genau ist er nur für die zwei bis drei Wochen, für die die Hersteller seriöserweise präzise Liefertermine zusagen können. Für die Zeit danach sollen jeweils mehrere Szenarien modelliert und Impftermine entsprechend vorgeplant werden.

Kämpfende Kommission

Bis Ende dieser Woche kann die EU die ersten Lieferungen des britisch-schwedischen Herstellers Astrazeneca erwarten. Das kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unter Berufung auf ein Gespräch mit dem Unternehmenschef Pascal Soriot an. Als weitere gute Nachricht verkündete von der Leyen, dass die Firma bis Ende März die Lieferung von weiteren neun Millionen Dosen angekündigt habe.

Damit wird Astrazeneca im ersten Quartal wohl 40 Millionen Dosen liefern. Das ändert aber nichts daran, dass das Unternehmen den 27 EU-Staaten ursprünglich bis Ende März 80 Millionen Dosen zugesagt hat.

Unklar ist derweil, woher die neun Millionen zusätzlichen Dosen kommen werden: aus den britischen Werken der Firma oder aus einem anderen in Europa? Der Sprecher der EU-Kommission erklärte am Montag, dies sei Sache des Unternehmens. Die Frage ist aber insofern von Belang, als der Kampf um den Impfstoff am Wochenende zwischenzeitlich eskalierte und zu erheblichen Irritationen in Großbritannien und beim EU-Mitglied Irland führte.

Die EU-Kommission hatte am Freitag Kontrollen für mögliche Vakzin-Ausfuhren zwischen Irland und dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland ermöglicht. Die Regelung wurde nach einem Proteststurm in Dublin und London schnell wieder zurückgezogen. Der britische Premierminister Boris Johnson erklärte hinterher, trotz des „Hin und Her“ der EU sei die Versorgung der britischen Bevölkerung mit Impfstoffen sichergestellt.

Brüssel macht unter Verweis auf den Vertrag mit dem Unternehmen wiederum geltend, dass auch zwei Astrazeneca-Produktionsstätten in Großbritannien für die Belieferung der EU herangezogen werden können.

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