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Fethullah Gülen lebt seit langem in den USA. Die türkische Regierung bezichtigt ihn, im Sommer geputscht zu haben.

© dpa

Was ist die Gülen-Bewegung?: Die zwei Gesichter von Erdogans Sündenbock

Die Regierung in Ankara hat die Gülen-Bewegung zur Erzfeindin erklärt. Wie ist sie wirklich? Ein Podiumsdiskussion in Berlin versuchte Antworten.

Nicht erst seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 steht die Gülen-Bewegung am Pranger: Schon bevor der Staatspräsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, die Anhänger des Predigers Fetullah Gülen als Hinterleute des Putschs beschuldigte und sie seither mit Massenverhaftungen verfolgt, hatten sie auch in Deutschland keinen nur guten Ruf. Und das, obwohl die Bewegung des Predigers, der lange mit Erdogan verbündet war, sich vor allem die Verbreitung von Bildung auf die Fahnen geschrieben hat und keine Moschen, aber weltweit Schulen baut (in Deutschland bisher 30). Wissenschaftlerinnen sehen sektiererische Strukturen, Politiker wünschten sich eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Wie sei eine Bewegung zu bewerten, "deren Idol sich sowohl orthodox als auch reformistisch äußert und sowohl türkisch-nationalistische als auch internationalistische Positionen vertritt?", fragte vor drei Jahren der Türkeispezialist Günter Seufert in einer Studie für den Think Tank "Stiftung Wissenschaft und Politik", der auch die Bundesregierung berät.

Einst gemeinsam gegen die kemalistische Ideologie

Das bringt es womöglich auf den Punkt: Gülen oder Hizmet, wie die Bewegung sich selbst nennt, hat in der Tat zwei Gesichter. Sie strebt nicht nach politischer Macht. "Gülen will keinen politischen Islam", sagt Friedmann Eissler, Wissenschaftler der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, für die er Analysen zur Gülen-Bewegung verfasst hat. Er habe sogar politische Posten immer abgelehnt, ergänzt Florian Volm, Islamwissenschaftler an der katholischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt am Main und ebenfalls Gülen-Kenner. Beide saßen in der vergangenen Woche in Berlin auf einem Podium mit dem deutschen Vertreter der Bewegung, Ercan Karakoyun. In puncto Engagement für Bildung und Minderheitenrechte stehe man an auf derselben Seite, sagte Theologe Eissler. Kritisch sei aber zum Beispiel, dass Hizmet ihren islamischen Charakter verschleiere. "Es wäre klarer, die Schulen offen als islamische Schulen zu gründen." Auch die - verständliche - aktuelle Abgrenzung zu Erdogan verschweige, dass man über Jahre "das zivilgesellschaftliche Pendant zur Staatspolitik" in der Türkei Erdogans war. Karakoyun, der zum Thema eine Art Handbuch verfasst hat ("Die Gülen-Bewegung. Was sie ist, was sie will") gesteht ein, dass die Allianz mit der AKP ein Fehler war, wirbt aber um Verständnis für den Mangel an Offenheit: Der komme aus der langen Erfahrung in der Türkei, wo jede religiöse oder ethnische Minderheit "alle zehn Jahre" Verfolgung zu gewärtigen habe; das mache die Rede vorsichtig. Gegen den Kemalismus in der Türkei dessen Eliten "glaubten, der Staat sei ihr Eigentum", habe man gemeinsam dafür gekämpft, der Religion mehr Platz zu verschaffen. Erdogans Machthunger habe diese Allianz gesprengt.

Was sind die Rechte der Frau?

Die in westlichen Medien herrschende Formel "Machtkampf zwischen zwei Männern, aus Verbündeten werden Feinde" sei zwar "griffig", aber zu schlicht. Erdogan und Gülen hätten sich bestenfalls dreimal getroffen, und während der türkische Staatspräsident einen politischen Islam wolle, stehe Gülen für eine klare Trennung von Staat und Religion. Er sehe auch die Interessen religiöser Menschen in einem demokratischen System am besten aufgehoben. Eine junge Frau im Publikum wendet sich gegen Eisslers Einwand, Gülen spreche zwar von den Rechten der Frau, doch Menschenrechte leiteten sich für ihn von Gott ab und seien insofern für Frauen andere als für Männer. "Wie lange wird man wohl eine gebildete Frau im Haus einsperren können?" fragt sie unter Hinweis auf die starke Bildungsorientierung der Bewegung.

Deren Anteil am gescheiterten Putschversuch ist an jenem Abend in Berlin auch Thema: Karakoyun zufolge wurde der Putsch von Offizieren angezettelt, die Säuberungen in den Reihen der Armee fürchteten. Erdogan habe dies aber die Handhabe geliefert, sich nach kurdischen und liberalen Kritikern, von denen er seine Macht bedroht sah, auch der Kritik der Gülen-Bewegung zu entledigen.

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