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Altenhelfer Adam Chenaoui absolviert sein FSJ Hauswirtschaft im Seniorencentrum St. Konrad der CARITAS in Berlin-Köpenick; fotografiert beim Abwaschen in der Küche.

© Thilo Rückeis

„Was die Gesellschaft zusammenhält“: Ist ein Jahr Dienstpflicht eine gute Idee?

CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer will einen Pflichtdienst für junge Menschen einführen. Was sind die Hürden? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Robert Birnbaum

Annegret Kramp-Karrenbauer hat erkennbar gute Laune. Am Donnerstag hat die CDU-Vorsitzende zum „Werkstattgespräch Dienstpflicht“ ins Konrad-Adenauer-Haus geladen. Das Thema ist weniger aufgeladen als die erste Werkstatt zur Migrationspolitik, der Andrang geringer. Dafür macht der Termin der Chefin „wirklich ein besonderes Vergnügen“.

Geboren wurde er auf der „Zuhörtour“, mit der Kramp-Karrenbauer als Generalsekretärin den Weg zu einem neuen Grundsatzprogramm einleitete. Kein anderes Thema sei von der Basis so oft genannt worden wie die Rückkehr zur Wehrpflicht oder einem vergleichbaren Pflichtdienst. Kramp-Karrenbauer deutet das als Ausdruck eines Bauchgefühls, „dass wir etwas brauchen, was die Gesellschaft zusammenhält“.

In der „Werkstatt“ sollen Experten, Sozialverbände und Hilfswerke mit Politikern Konzepte entwickeln, die die CDU möglichst noch in dieser Wahlperiode in die Koalition einbringen will. Klappt das nicht, ist das Ziel klar: Dann kommt der Dienst für junge Männer und Frauen an der Gesellschaft ins Wahlprogramm.

Wie steht es heute ums Engagement?
Bis zur Aussetzung der Wehrpflicht war klar: Junge Männer mussten zum Bund oder Zivildienst. Zu den Hochzeiten nach der Einheit halfen Anfang des Jahrtausends jedes Jahr bis zu 135.000 junge Männer in Pflegeeinrichtungen oder auch im Umweltschutz mit. Dazu kamen weitere, die ihre Dienstpflicht bei Feuerwehr oder Technischem Hilfswerk ableisteten.

Doch seit 2011 die letzten rund 8000 Zivis eingezogen wurden, sind ihre früheren Arbeitgeber komplett auf Freiwillige angewiesen. Zum Ausgleich führte im gleichen Jahr der Bund den Bundesfreiwilligendienst (Bufdi) ein, als Ergänzung zu dem schon 1964 etablierten Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) oder dem seit 1983 bestehenden Freiwilligen Ökologischen Jahr (FÖJ).

Anders als diese älteren Angebote zielt der „Bufdi“ auf alle Altersgruppen; tatsächlich ist mehr als jeder Zehnte dort über 50 Jahre alt. 2015 kam ein spezielles Angebot „mit Flüchtlingsbezug“ dazu. Jährlich sind rund 40.000 Menschen als Bundesfreiwillige tätig. Insgesamt leisten bundesweit etwa 100.000 meist junge Männer und Frauen freiwillige Dienste. Das ist jeder Zehnte eines heutigen Geburtenjahrgangs.

Es mangelt auch nicht an Bewerbern – im Gegenteil. Etwa 150.000 Menschen pro Jahr würden sich gerne engagieren. Doch jeder Dritte findet keinen Platz. Oft fehlen den Hilfsdiensten die Mittel für weitere Stellen, auch wenn die Freiwilligen nur ein Handgeld bekommen. Eine Rolle spielt aber auch der Aufwand, den es kostet, Freiwillige in die oft stressigen und anspruchsvollen Aufgaben einzuarbeiten und sinnvoll zu integrieren.

Der Bundesfreiwilligendienstleistende Thomas Volk (r), übt an seinem ersten Arbeitstag, wie man einen Gehbehinderten in einen Transporter schiebt.
Der Bundesfreiwilligendienstleistende Thomas Volk (r), übt an seinem ersten Arbeitstag, wie man einen Gehbehinderten in einen Transporter schiebt.

© picture alliance / dpa

Auf der anderen Seite bleiben Stellen unbesetzt. In der Pflege fehlen rund 5000 Helfer. Die Freiwilligen Feuerwehren suchen tausende neue Mitglieder. Gerade auf dem Land fehlt es an Nachwuchs, aber auch das moderne Arbeitsleben macht Probleme: Pendler sind eben nicht daheim, sondern oft woanders, wenn es tagsüber brennt. List auf Sylt und anderen Gemeinden blieb schon nichts anderes übrig, als Bürger zum Löschdienst zwangsweise zu verpflichten.

Was wollen die Verbände?
Caritas-Vorstand Eva Welskop-Defaa unterstützte in ihrem Impulsreferat im Adenauer-Haus ausdrücklich die gesellschaftspolitische Zielrichtung der Dienstpflicht-Debatte. Der Staat sei berechtigt, „ja vielleicht sogar gehalten“, seinen Bürgern auch Pflichten aufzuerlegen – man sehe das am Beispiel der Schulpflicht oder der Pflichtmitgliedschaft in der Sozialversicherung. Zudem sei es wünschenswert, neben dem klassischen Versprechen „Wohlstand für alle“ ein „Wohlergehen für alle“ anzustreben.

In der praktischen Ausgestaltung zögerte die Verbandschefin allerdings, den Begriff der „Pflicht“ allzu sehr herauszustellen. Credo aller Verbände sei es, dass gute Rahmenbedingungen für freiwilliges Engagement geschaffen werden müssten – bis hin zum „Rechtsanspruch auf freiwilligen Dienst“.

Tatsächlich zögern Helfer-Organisationen wie das Rote Kreuz beim Stichwort „Pflichtdienst“; andere wie der Paritätische Wohlfahrtsverband lehnen ihn rundweg ab. Zwangsverpflichtete Helfer, die keine Lust haben, wären für sie alle keine rechte Hilfe. Befürworter eines Pflichtdienstes, der dann auch bei ihnen abgeleistet werden könnte, finden sich hingegen im Umkreis der Pflicht-Tradition – dem Reservistenverband etwa, bei der Bundeswehr oder der Feuerwehr. Zwar will schon aus praktischen Gründen niemand die Wehrpflicht zurück. Aber als Schnupper-Rekrutierungsinstrument trauern ihr viele Uniformierte nach.

Wie ist die Rechtslage?

Vor einem Pflichtdienst steht eine große Hürde: Das Grundgesetz verbietet es dem Staat kategorisch, jemanden zu einer „bestimmten Arbeit“ zu zwingen. Die Bestimmung im Artikel 12 richtet sich gegen eine Wiederkehr des „Reichsarbeitsdienstes“ der Nationalsozialisten. Ausnahmen gibt es nur für Häftlinge oder „im Rahmen einer herkömmlichen, allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht“.

Das entscheidende Wort ist „herkömmlich“. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass damit nur Gemeinpflichten gemeint sind, die schon vor der NS-Zeit üblich waren – etwa bei der Deichsicherung, im Katastrophenschutz oder der Feuerwehr.

Unter Juristen umstritten ist, ob die europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und andere Völkerrechtsbestimmungen zusätzliche Hürden schaffen. Eine Ausarbeitung der Konrad-Adenauer-Stiftung kam 2018 zu dem Schluss, dass das internationale Recht einem Pflichtdienst nicht entgegenstehe, ihm aber inhaltlich Grenzen ziehe: Er müsse verhältnismäßig sein – zeitlich und inhaltlich – und dürfe nicht diskriminieren.

In den Staaten der Europäischen Union sind Pflichtdienste jenseits der Wehrpflicht übrigens bisher seltene Ausnahmen. In Frankreich experimentiert Präsident Emmanuel Macron gerade mit einem Kurz-Pflichtdienst für alle 15- bis 16-Jährige: Zwei, maximal vier Wochen bei striktem Handy-Entzug in einer Mischung aus Staatsbürgerkunde, Wehrertüchtigung, Sozialdienst und Pfadfinder-Lager. Macrons Begründung ist die gleiche wie die Kramp-Karrenbauers: Zusammenhalt stärken.

Zu welchem Schluss kommt die CDU?

Als die „Werkstatt“-Teilnehmer nach vier Stunden Diskussionen Bilanz ziehen, ist ein Ergebnis glasklar: Ohne eine Grundgesetzänderung, trägt der frühere Zivildienstbeauftragte Jens Kreuter vor, sei an Pflichtdienst nicht zu denken. Außer der AfD und einzelnen Sozialdemokraten ist aber derzeit niemand im Bundestag bereit, eine Dienstpflicht zu unterstützen. Auch im Bundesrat ist keine Zwei-Drittel-Mehrheit in Sicht.

Wie wär‘s mit einer Dienstpflicht für Politiker. Das erste Jahr im Amt wird ehrenamtlich geleistet und bei entsprechender Eignung kann man über eine Festanstellung reden.

schreibt NutzerIn FWE66

Die Verbandsvertreter sind damit nicht unglücklich. „Wir halten die andere Sache mit der Freiwilligkeit für reeller“, summierte der rheinland-pfälzische Fraktionschef Christian Baldauf als Sprecher der Verbände-Arbeitsgruppe. Dort wurden Vorschläge von einem „Deutschland-Tag“ bis hin zu anderen Wegen diskutiert, wie Freiwilligen-Dienste für alle Beteiligten attraktiver werden können.

Annegret Kramp-Karrenbauer aber hat hinterher immer noch gute Laune. Die Debatte zeige: Es gehe nicht um eine Idee aus irgendeiner „dumpfen Ecke“ oder um billige Ausbeutung der Jungen. „Ein Deutschlandjahr zum Nulltarif kann es nicht, wird es nicht geben“, versichert die CDU-Chefin. Sie will aber auch über das Grundsätzliche noch einmal reden.

Die Freiwilligkeit stärken, sagt die Saarländerin, wäre ein großer Schritt. Aber den Pflicht-Gedanken will sie noch nicht ganz aufgeben. Gewisse Gruppen seien nun mal selten unter Freiwilligen zu finden – und wüssten gar nicht, was ihnen an Erfahrung dabei entgehe.

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