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Männer, die auf Panzer starren: Präsident Wladimir Putin und russische Militärführer bei der Parade am 9. Mai.

© Mikhail Metzel/Kremlin PooI/MAGO/ZUMA Wire

Was aus Putins 9.-Mai-Rede folgt: „Mehr Realismus, aber kein Millimeter Kompromiss“

Der russische Präsident verzichtete beim historischen Anlass auf Eskalation. Experten raten trotzdem zur Vorsicht: Auch eine Generalmobilmachung kann noch kommen.

Von Hans Monath

Im Kanzleramt in Berlin herrschte eine gewisse Erleichterung, nachdem Wladimir Putin am Montag in Moskau seine Rede auf der Parade zum 9. Mai gehalten hatte. Denn der russische Präsident erklärte entgegen den Befürchtungen von vielen im Westen zumindest keinen neuen Eskalationsschritt. Er kündigte weder die Generalmobilmachung an, noch stieß er Vernichtungsdrohungen mit dem Hinweis auf seine Atomwaffen aus.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich reagierte am Dienstag vorsichtiger auf Putins Auftritt. Er wage nicht zu beurteilen, ob der Auftritt „ein kleines Fenster für diplomatische Verhandlungen“ geöffnet habe, sagte er vor Beginn der SPD-Fraktionssitzung.

Aber sehen auch Expertinnen und Experten, welche die russische Politik beobachten und analysieren, Grund zu Erleichterung? Der Tagesspiegel hat zwei von ihnen gefragt.

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„Putin hat deutlich gemacht, dass die Nato und die USA der Hauptfeind sind und er in der Ukraine einen Stellvertreterkrieg führen“, sagte Stefan Meister, Russlandexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), dieser Zeitung. Indem er erstmals die Kriegsopfer auf russischer Seite anerkenne, gehe er nicht nur auf die wachsenden Diskussionen über Opfer in Russland ein, sondern mache auch deutlich, dass es mehr Opfer geben werde und der Krieg weitergehe.

Putin habe „erstmals bestätigt, dass das aktuelle Ziel der Donbass ist und er diesen als Teil Russlands ansieht“, analysiert Meister weiter. Für mögliche Verhandlungen bedeute dies: „Hier ist kein Kompromiss mit der russischen Führung zu erwarten.“ Die Botschaft bringt der Experte auf die Formel: „Mehr Realismus, aber kein Millimeter Kompromiss.“ Misserfolge habe er nicht anerkannt, stattdessen die Bevölkerung auf einen fortdauernden Krieg eingeschworen.

Putin erwähnte in seiner Rede gefallene russische Offiziere und Soldaten - hier ein zerstörter russischer Panzer in der Ukraine.
Putin erwähnte in seiner Rede gefallene russische Offiziere und Soldaten - hier ein zerstörter russischer Panzer in der Ukraine.

© REUTERSVitalii Hnidyi

Ähnlich urteilt die die russischstämmige Politikwissenschaftlerin und Historikerin Oxana Schmies, die in Deutschland lebt. „Es ging Putin offensichtlich darum, die russische Gesellschaft verbal zu mobilisieren“, sagt sie. Das habe er mit einer „Vermischung der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg mit dem heutigen Angriffskrieg gegen die Ukraine“ versucht. Sein Ziel sei, die Erinnerung an den Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland und seinen Mythos über den vermeintlichen „Nazismus“ in der Ukraine gleichzusetzen.

Zudem habe sich der Präsident darum bemüht, den heutigen Krieg gegen die Ukraine als einen „Präventivkrieg gegen eine künftige unvermeidliche Nato-Aggression“ zu „framen“, also in einem verfälschenden Rahmen darzustellen. Er habe versucht, Russland als Opfer der Nato beziehungsweise der USA und ihrer „Satelliten“ hinzustellen, als einen Staat, der zu einem Präventivkrieg gezwungen sei, um eine geplante Aggression zu vereiteln. „Eine an sich mehr als logisch fragliche Konstruktion“, urteilt Schmies, die für den US-amerikanischen Think Tank „Center for European Analysis“ (CEPA.org) schreibt.

Die Wissenschaftlerin schlägt ein Gedankenexperiment vor: Denke man sich die gewaltige Kulisse der Parade mit den greisen Veteranen des Zweiten Weltkrieges auf den Tribünen weg und auch die Rhetorik der Erinnerung, dann würde sich ihrer Meinung nach „die Rede äußerst schwach und noch unlogischer anhören“. Der Grund: „Es bliebe dann praktisch nur die Opfer-Rolle Russlands ,nach dem Zerfall der Sowjetunion’, aus der heraus Russland einen ,Präventivkrieg’ gegen einen unklaren Feind führt“.

Schmies hält es für wichtig, dass Putin nur kurz den Donbass als Kriegsziel nannte, eher von dieser ukrainischen Region als dem Schauplatz der aktuellen Kriegshandlungen sprach. Zentraler für den russischen Präsidenten sei, was er „die Sicherheit des Vaterlandes“ nenne. Das sei keine beruhigende Botschaft, denn dieses abstrakte Ziel könnte „künftig von Putin grundsätzlich nach Belieben interpretiert werden“.

Zeigte sich nach der Putin-Rede skeptisch: Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion.
Zeigte sich nach der Putin-Rede skeptisch: Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion.

© Imago/Bernd Elmenthaler

Wie auch Stefan Meister kann die Historikerin und Politikwissenschaftlerin Anzeichen dafür erkennen, dass der Präsident seine militärischen Misserfolge zur Kenntnis nimmt. „Ein erstes Realismus-Zeichen“ sei es, wenn er die russischen Opfer erwähne, vom „Tod der Soldaten und Offiziere“ spreche und finanzielle Unterstützung für ihre Angehörigen verspreche. „Überraschend fiel in der Rede kein Mal das Wort von der ,speziellen militärischen Operation’“, sagte Schmies.

Indem er die russische Attacke auf die Ukraine mit der Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg koppelte, habe Putin deutlich gemacht, dass es ihm sehr wohl um einen Krieg und nicht etwa nur um Spezialoperationen gehe. „Das könnte beunruhigend wirken in Anbetracht einer doch noch möglichen Mobilisierung“, meint die Thinktank-Beraterin.

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Grund zur Entspannung für die Ukraine oder den Westen habe der russische Präsident deshalb nicht geliefert. Es sei „überhaupt nicht auszuschließen“, dass Putin womöglich bald „eine neue Botschaft“ verkünden werde. „Putin belässt sich die Freiheit, das Narrativ vage zu belassen und auch die Feindbilder je nach Bedarf zu wählen“, meint die Analytikerin. Dies sei im Übrigen typisch auch für totalitäre Herrscher und Gesellschaften. Deren Feindbilder seien „kumulative Konstruktionen“, könnten der Situation auf dem Schlachtfeld und auch möglichen Verlusten angepasst werden. So könne etwa auch die Aggressivität sich steigern, bis sich „doch eine Lösung im Krieg in irgendeine Richtung“ abzeichne.

Auch DGAP-Experte Meister sieht keinen Hinweis auf eine Entspannung: Putin habe seine veränderten Ziele bestätigt, meint er und warnt: „Aber das heißt keineswegs, dass es in einer Woche nicht doch eine Teilmobilisierung geben kann, sollten die aktuellen Truppen zum Erreichen dieses Zieles nicht ausreichen.“ Auch im Kanzleramt müssen die Arbeitsstäbe deshalb wohl weiter wachsam bleiben. 

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