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Die vier Parteichefs der Groko.

© REUTERS/Andreas Rinke

Was aus AKKs Ankündigung für die Groko folgt: „Die CDU-Spitze muss dringend ihren Laden in Ordnung bringen“

Der angekündigte Rückzug Annegret Kramp-Karrenbauers stürzt die Groko in ihre dritte große Krise. Zum ersten Mal aber steht die CDU vor der Zerreißprobe.

Andrea Nahles schweigt auch an diesem Tag. Als SPD-Chefin hat sie sich nie wieder von der zwischenzeitlichen Beförderung des umstrittenen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen durch sie und die anderen Spitzen der großen Koalition erholt. Es folgten Wahlniederlagen und missglückte Auftritte. Als sie sich offenem Widerstand gerade in der SPD-Bundestagsfraktion ausgesetzt sah, schmiss sie hin. Und schwieg fortan. Die, die noch Kontakt zu ihr haben, berichten, wie schwer es sei, von 100 auf Null zu gehen.

Es passt zu diesen, die Demokratie in ihren Grundfesten erschütternden Zeiten, dass das CDU-Mitglied Maaßen mit seinen dauernden Spitzen gegen die Linie der Parteiführung auch beim Rückzug von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer eine Rolle spielt. Wo die SPD zuletzt als Unsicherheitsfaktor galt für diese große Koalition, als eine mit sich selbst beschäftigte Partei, ist das nun die CDU.

[Wie es jetzt in der CDU weitergehen soll, könnten Sie hier lesen. Das ist Kramp-Karrenbauers Plan für Ihre Nachfolge.]

Es ist die dritte schwere Krise der Groko, und alle hängen sie mit der AfD zusammen. Erst der Asylstreit, der fast zur Spaltung von CDU und CSU geführt hätte, dann der Streit um Maaßen, der die rechten Übergriffe von Chemnitz relativiert hatte, nun die Wahl von Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten mit Stimmen von AfD und CDU.

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Diese Krise ist anders, weil sie nicht durch ein paar klärende Gespräche oder Personalrochaden zu lösen ist. Die Volkspartei CDU zerreißt es bei der Grundsatzfrage, wie halten wir es mit Linken und AfD, wo besonders im Osten Koalitionen gegen beide Parteien schwieriger werden.

Mit dem Hirte-Rauswurf hat sich Merkel weitere Feinde in der CDU gemacht

„Wer auch immer neuer Parteivorsitzender der CDU wird, muss dafür sorgen, dass die Partei ein verlässlicher Partner bleibt“, meint Außenminister Heiko Maas (SPD). Hätte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht durchgegriffen und auf SPD-Wunsch als erstes nach ihrer Rückkehr von einer Afrikareise den Ostbeauftragten Christian Hirte rausgeworfen (der Kemmerichs Wahl gelobt hatte), hätte eine neue Koalitionskrise gedroht. Zugleich hat sich Merkel damit noch mehr Feinde in der ostdeutschen CDU gemacht.

Kurz nach Kramp-Karrenbauers unerwarteter Ankündigung am Montag betreten die SPD-Chefs Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken im Willy-Brandt-Haus das Podium. Unterhalb der Mikrofone steht „In die neue Zeit“. Sie ist so ungewiss wie die alte, nur jetzt andersherum.

Als hätte es das Jahr 2019 bei der SPD nicht gegeben, sagt Walter-Borjans, die SPD sei „der Garant für Stabilität“. Die Turbulenzen in der CDU seien sehr besorgniserregend, man habe großen Respekt vor der Entscheidung Kramp-Karrenbauers, auf eine Kanzlerkandidatur zu verzichten und sich später auch von der Parteispitze zurückzuziehen.

„Kramp-Karrenbauers Taktieren hat den rechten Kräften Raum gelassen“

Aber Borjans sagt auch: „Ihr Taktieren hat den rechten Kräften erst den Raum gelassen, der die akute Krise der CDU heraufbeschworen hat.“ Die CDU müsse ihr Verhältnis zu den Rechtsextremisten klären. Die SPD war und sei das „Bollwerk gegen Rechtsextremismus“.

Die Koalition will man erstmal fortsetzen. Walter-Borjans verweist auf den für den 8. März geplanten nächsten Koalitionsausschuss. Da könnte es nach bisherigem Plan etwa auch um Lösungen im Streit um die Kassenbons gehen - wie klein wirkt diese Debatte im Vergleich zu dem, was gerade los ist.

Bei der SPD rätselt man, wie die CDU zehn Monate lang bis zum Dezember die offene Führungsfrage durchhalten will. Denn erst dann, beim nächsten turnusmäßig angesetzten Bundesparteitag wollen die Christdemokraten eine neue Parteiführung wählen und die Kanzlerkandidatenfrage klären. „Dagegen war das bei uns noch ein geordneter Prozess“, heißt es mit Blick auf die SPD-Vorsitzenden-Suche mit 23 Regionalkonferenzen.

[Wer könnte auf Kramp-Karrenbauer nachfolgen? Warum Armin Laschet jetzt die besten Chancen hat, lesen Sie hier.]

Bauchschmerzen bereitet auch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ab Juli, es ist Merkels großes Ziel, zusammen mit Ursula von der Leyen noch einmal große Reformen für Europa anzuschieben. Doch die kommenden Wochen könnten eine weitere Dynamik entfalten, zumal in Thüringen nichts gelöst ist. Und Kramp-Karrenbauers Überraschung könnte sich so wenig als Befreiungsschlag entpuppen wie der Nahles-Rückzug.

Maxime der SPD war stets: Kanzlerin Merkel hat man mitgewählt, einen anderen Kanzler wird man nicht mitwählen. Wenn nun ein neuer Vorsitzender oder eine neue Vorsitzende bei der CDU zugleich die Kanzlerkandidatur übertragen bekommt, würde sich auch gleich die Frage nach dem Kanzleramt stellen. Ein Nachfolger Kramp-Karrenbauers dürfte wenig Lust auf ein zweites Experiment einer Merkel-Koexistenz im Kanzleramt haben. Das würde wohl zum Koalitionsbruch führen.

Olaf Scholz sieht für sich eine neue Chance auf die Kanzlerkandidatur

SPD-Vizekanzler Olaf Scholz hat mehrfach klargestellt, die nächste Bundestagswahl werde die erste, bei der niemand mit einem Amtsbonus ins Rennen geht. Übrigens könnte Scholz, der Walter-Borjans und Esken im Rennen um den SPD-Vorsitz unterlegen war, bei Neuwahlen durchaus der SPD-Kanzlerkandidat sein - sonst drängt sich bisher niemand auf. Er verhält sich jedenfalls demonstrativ konstruktiv zur neuen Spitze, wenngleich es gegen ihn, den nüchternen Pragmatiker aus Hamburg auch erhebliche Abwehrreaktionen gibt.

Der Stratege Scholz sieht folgendes Szenario: Bei der nächsten Bundestagswahl könnte eine Partei je nach Lage schon mit 20 bis 25 Prozent der Wählerstimmen den Kanzler stellen. Und sollte die FDP nach Christian Lindners zweitem schweren Fehler (erst das Jamaika-Aus, dann die Wahl Kemmerichs mittels AfD-Unterstützung) aus dem Bundestag fliegen, könnte es eine rot-rot-grüne Mehrheit geben. Mit einem SPD- oder einem Grünen-Kanzler.

Stabil ist jetzt nichts mehr. Im 6. Stock des Willy-Brandt-Hauses raucht Kevin Kühnert auf dem Balkon noch eine Zigarette, der Koalitions-Kritiker und SPD-Vizechef ist stolz, dass die SPD geschlossen sei wie lange nicht mehr. Es brauche „echte Klärungsprozesse in der CDU“ über das Verhältnis zur AfD.

„Ich habe nicht den Eindruck, dass alle schon den Knall gehört haben“, meint Kühnert. „Die CDU-Spitze muss dringend ihren Laden unter Kontrolle bekommen, das ist auch in unserem Sinne.“ Denn man koaliere nicht nur mit Merkel und Kramp-Karrenbauer, sondern mit der ganzen Partei. Er habe kein Interesse, „in Mithaftung genommen zu werden für Leute, die ein ungeklärtes Verhältnis zum rechten Rand haben.“ Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher ist so ziemlich der Gegenpol in der SPD zum linken Kühnert, er unterstützt Scholz und die Groko. Er ist an diesem Montag wegen Terminen in Berlin und liest ungläubig auf seinem Smartphone die Meldungen über Kramp-Karrenbauers Rückzug. Hamburg erscheint da geradezu als Hort politischer Stabilität. Mit diesem Tag ist ein rot-grüner Wahlsieg für Tschentscher am 23. Februar wieder wahrscheinlicher geworden.

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