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2012

© picture-alliance / dpa

Politik: Was anziehen im Alter?

Über Gruppen von Senioren in Beige wird oft gelästert. Dabei könnte man neidisch sein. Die haben für ihre Generation einen Dresscode gefunden. Für die Alten von morgen gibt es keinen mehr. Nur Wenns und Abers.

Im Frühjahr war Elke Giese eingeladen zum Markenforum „Mrs. Profit“ der Fachzeitschrift „Textilwirtschaft“. „Mrs. Profit“ als Synonym für Frauen ab 50, denen eine Gesamtkaufkraft von 120 Milliarden Euro angerechnet wird – und deren Bedürfnisse im Unklaren lägen. Darüber sollte auf dem Forum diskutiert werden. Aber längst nicht alle Marken kamen. „Die haben immer Angst davor, mit Alter und großen Größen in Verbindung gebracht zu werden“, sagt Elke Giese, die bis 2011 Trendforscherin am Deutschen Modeinstitut war. „Die kämpfen alle um eine modische Allüre.“

Was daraus bereits folgte: eine große Unsicherheit in Fragen der altersgerechten, angemessenen Bekleidung. Wer sich mit 50 fühlt wie 30, kleidet sich auch so. Die im Internet verbreitete Durchhalteparole der Betroffenengeneration lautet: Wenn die Figur stimmt, geht alles.

Aber stimmt das? Wie kurz dürfen die Röcke von Endvierzigerinnen noch sein? Wie hoch die Absätze von 50-Jährigen, wie knapp die T-Shirts von 60-Jährigen, wie eng die Jeans von 70-Jährigen?

Was heute oft die Uniform der Rentner genannt wird, der beige- oder sonst wie pastellfarbene Unauffälligkeitslook, ist vermutlich die letzte Generationenübereinkunft zur Frage „Was anziehen im Alter?“. Es ist eine Übereinkunft, die uneitel ist, die aussagt: Der Krieg ist aus, die Trümmer sind weg – jetzt können wir uns endlich zur Ruhe setzen. Wie schön ist es, wenn die Äußerlichkeiten klar erkennen lassen: „Ich bin alt und fühle mich auch so.“ Das gibt es für die nachkommenden Senioren nicht mehr. Heute gilt, es gibt tausende Möglichkeiten, sich optisch dem Altern zu entziehen. Zumindest vorübergehend. Push-up-BHs halten die Silhouette in Form, Fingernägel werden künstlich verstärkt, die Haare werden dünner, macht nichts, es gibt ja Extensions, also Haarverlängerungen. Heute kann eine 50-Jährige wie eine 20-Jährige die Kleidung von Billigketten wie Primark oder H&M mit Flohmarktstücken kombinieren, aber jedoch sieht das an ihr deutlich weniger erfrischend aus als anbiedernd. Und natürlich kann eine 50-Jährige sich modisch anziehen, aber von sichtbarer Billigkeit darf es nicht sein. Das ruiniert bei ihr, anders als bei einer 20-Jährigen, alles.

Was man also anzieht, und wie man damit aussieht, ist mit steigendem Alter mit vielen „Wenns“ und „Abers“ versehen. Und mit vielen Leerstellen.

Die hat auch Elke Giese gesehen, und sie wollte sie füllen. Die 63-Jährige ist eine elegante Frau, sie trägt einen locker fallenden, hellgrauen Pullover über einer schmalen Hose, die in flachen Stiefeln steckt. Ihre Lippen sind geschminkt. Sie passt in die gediegene Atmosphäre der Hotellobby des Hotels am Monbijoupark in Berlin-Mitte. Als sie sich in ihrem Sessel zurücklehnt, holt sie tief Luft und schaut ernst. Jetzt spricht sie über ihr Thema, aber leicht ist es nicht.

Nachdem sie lange Jahre als Trendforscherin am Deutschen Modeinstitut gearbeitet hatte, merkte sie irgendwann, dass etwas nicht mehr stimmte. „Mein Publikum wird immer jünger, ich werde immer älter“, war das eine. Und das andere war, dass die Branche männlich besetzt sei. „Wenn die darüber reden, wie sie Best-Ager glücklich machen, ist das sehr komisch.“ Also begann Giese vor zwei Jahren selbst damit, Frauen im Alter von 45 bis 70 nach ihrem modischen Empfinden zu fragen. Sie besuchte sie zu Hause, ließ sich zehn Lieblingsteile zeigen und sprach mit ihnen darüber, wie sie sich kleiden und was sich mit dem Alter verändert.

Elke Giese wählte völlig unterschiedliche Frauen aus, aber allen war – wie sich bei der Befragung herausstellte – eines gemeinsam: Sie haben klare Feindbilder und wissen mit zunehmendem Alter sehr genau, wie sie nicht aussehen wollen. Wie die Kunstgewerbefrau mit Filzklamotten, schrägem Haarschnitt und einem Ohrring, oder die prollige Alte mit gegerbtem Dekolleté und Glitzer auf der Jeans. Was daraus für den eigenen Schrank folgen sollte, war nicht so einfach auszumachen. Elke Giese stellte fest: „Wie man einen guten Ausdruck für sich findet, ist weitaus komplizierter. ‚Die Blicke gehen über einen hinweg’, das ist das Berühmteste, was alle sagen: ,Keiner reagiert auf mich.’ Also, wie werde ich noch wahrgenommen, ohne schrill, ohne lächerlich zu werden?“

In Deutschland gibt es mehr als 18 Millionen Frauen jenseits der 50. Aber die klassische Marktforschung hört bei der Altersgrenze von 66 Jahren auf.

Elke Giese hat mit begeisterten Reaktionen auf ihre Studie gerechnet. Aber nein, sie bemerkte schnell: Alter ist ein Tabuthema – keines, mit dem man einen Preis gewinnen kann. „Es ist wie eine Krankheit, alle haben Angst, das steckt an.“ So wollen auch die meisten Modemarken nicht darüber sprechen, dass sie ihre Kleidung nicht überwiegend an Frauen bis 35 verkaufen. Dabei ist die Forderung der Mode-Unsicheren ja nicht eine ausgewiesene Mode für die Frau um 50. Das funktioniere sowieso nicht, ist auch Elke Giese sicher. „Kleidung nur für eine bestimmte Zielgruppe spielt keine Rolle mehr, weil wir schon in jungen Jahren etwas gegen das Alter tun.“ Aber man müsse in den Designabteilungen um die Dinge wissen, die sich verändern: „Die meisten Frauen bekommen mit Mitte 50 ein wenig Bauch, also möchten sie etwas Längeres darüber tragen. Die Füße tun weh, und es dreht sich keiner mehr um, also kann man auf hohe Absätze verzichten“, sagt sie. Deshalb würden sich auch weite Hosen seit Jahren nicht auf dem Markt durchsetzen – denn dazu muss man hohe Schuhe tragen.

Eine der Marken, die bei der „Mrs. Profit“-Runde vertreten war, heißt Comma. Die deutsche Firma mit Sitz in Rottendorf geht offensiv damit um, dass 28 Prozent ihrer Kundinnen über 50 sind. Trotzdem: Man richte sich nicht dezidiert an eine ältere Zielgruppe, sagt der Geschäftsführer Armin Fichtel. Sondern: „Die Comma-Kundin ist nicht altersmäßig definiert, sondern modisch stilistisch und figürlich.“

Dass Modekundinnen „modisch stilistisch und figürlich“ noch top sein können, ohne aber in Teenagerklamotten herumlaufen zu wollen, haben auch Schweden von Hennes&Mauritz festgestellt. Oder anders formuliert: dass ihnen eine Zielgruppe einfach entwachsen könnte. Sie haben mit ihrer Kette Cos eine Marktlücke gefüllt. Dort sind die Schnitte oft klassisch, die Materialien hochwertiger, die Farben gedeckt und die Preise sind nur geringfügig höher als bei H & M. Spötter sagen, spätestens mit Cos sei Jil Sander überflüssig geworden. Vielleicht hat die Designerin auch deshalb vor ein paar Wochen – kurz vor ihrem 70. Geburtstag – nun schon zum dritten Mal ihr eigenes Label verlassen.

Auch die Klassikabteilungen der Warenhäuser funktionieren nicht mehr. Die Frauen kaufen woanders. Die Frauen, die heute Mitte 50 sind, sind ganz anders aufgewachsen als ihre Mütter. Sie haben eine prägende Teenagerzeit hinter sich, mit eigener Musik, Politik und Zugehörigkeiten zu Gruppen, was sich in Mode ausdrückte. Zu unsichtbaren Alten in Beige und Pastell werden sie wahrscheinlich auch in 20 Jahren nicht werden.

Früher gab es eine klare Abgrenzung zur Jugend, heute will man ein Leben lang mitmachen. Was natürlich auch eine lästige Herausforderung werden kann. „Meine Generation will nicht alt werden, das ist schmerzlich. Es ist nicht freie Wahl und Lust, es gibt auch einen zunehmenden Zwang“, sagt Elke Giese. „Ich darf mich nicht aufs Sofa setzen und mit Pralinen und Sahnetorte genüsslich vor mich hin altern – das wird es zunehmend weniger geben.“ Nicht nur das Berufsleben dauert länger, auch gibt es heute viel mehr Singles, die sich für den Partnermarkt attraktiv halten müssen.

Das wird scharf beäugt. Auch wenn sich das Wegdenken des Alters erst einmal gut anhört: Es ist strengen Regeln unterworfen. Man kennt den Schreck, wenn man eine schmale Frau in Jeans, Ankleboots und Parka von hinten sieht, sie dieser Codes wegen als jung einordnet, und wenn sie sich dann umdreht, offenbart das Gesicht ihr Alter, und man fühlt sich auf den Leim gegangen. Wobei das heute – noch – Ausnahmen sind, wie es sie früher schon gab. Der böse Spruch: „Von hinten Lyzeum, von vorne Museum“ ist aus Großmutters Zeiten.

Richtig die Sau rauslassen, ist erst wieder erlaubt, wenn man so alt geworden ist wie die New Yorkerin Iris Apfel. Die bezeichnet sich mit 92 Jahren selbst als ältesten Teenager der Welt und ist für viele Designer und Blogger ein echtes Vorbild. Apfel wird für ihren modischen Mut bewundert, zu tragen, wonach ihr gerade der Sinn steht.

Für alle anderen gilt: Auf jeden Fall Strumpfhosen und BHs tragen und bloß keine Rucksäcke und Neonfarben.

Auch schwierig: Tuniken mit Leggings.

Oder: Chucks, Motorradjäckchen und Boyfriendjeans. Das ist der Jugend vorbehalten, weil nur auf sie die ausgedachte Werbe-Geschichte zu diesem Look passt.

Andererseits: Was älter codiert ist, das klassische Kostüm, Hosenanzüge, Schluppenblusen, also alles was zum Klischee der Damenoberbekleidung gehört, würde heute kaum noch eine ältere Frau tragen. Die ganz Jungen hingegen betonen mit dieser madamigen Kleidung ihre Unbeschwertheit, das lieben auch Designer.

Zu den alterslosen Kleidungsstücken zählen Jeans und Turnschuhe. Wobei es da natürlich auch Styles gibt, die mehr oder weniger direkt ans jugendliche Publikum adressiert sind, aber trotzdem. „Viele Frauen brauchen ihre Chucks, um zu zeigen, ,Ich weiß wo es langgeht’“, sagt Elke Giese. Zudem gilt, dass, wer sportlich daherkommt, nicht krank, nicht alt sein kann.

Turnschuhe und Chucks sind aber schon da. Doch warum sollte man von einem jungen Designer erwarten, dass er die nötige Empathie oder Weitsicht hat, um sich vorzustellen, wie man sich im Alter modisch kleiden möchte. „Uns wurde immer suggeriert, es geht immer noch jünger, aber irgendwann wird das künstlich“, sagt Peter Schramm, der gerade seinen Master an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Technik macht. Jetzt wo er kurz vor dem Abschluss stehe, denke er darüber nach, an wen er eigentlich verkaufen wolle. Deshalb hat er sich auf ein Experiment eingelassen. Auf „Utopia“.

Für „Utopia“ sollten die Studenten Mode für zwei unterschiedliche Zielgruppen entwerfen, für 16-Jährige und für 60-Jährige. Dafür suchten sie Testpersonen. Die Jungen kamen aus ihren eigenen Reihen, und auch die Alten fanden sie an ihrer eigenen Hochschule: die Schwestern Sibylle und Evelyn Einholz, Professorin der Museumskunde und Lehrbeauftragte. Sibylle Einholz, 65, sagt: „Ich bin alt, klein und eine Frau – ich werde unsichtbar.“ Sie will sich damit aber keineswegs abfinden. „Empört euch!“, ruft sie aus und erzählt, wie wichtig es ist, Stil zu einer inneren Angelegenheit zu machen. „Es geht nicht darum, mit 67 halb nackt herumzulaufen, es geht um persönlichen Stil.“ Sie trägt eine bunte Paisleybluse, dazu eine grüne Hose.

Ein riesiges Problem sei der Mangel an Vorbildern. Auch für Sibylle Einholz ist deshalb Iris Apfel da eine leuchtende Ausnahme. Für „Utopia“ mussten die Schwestern sich mit einem Bodyscanner vermessen lassen. Und spätestens da hat auch Peter Schramm gemerkt: „Auch wenn die Frauen sehr schlank sind, das verteilt sich am Körper anders, das hat uns überrascht.“ Auch deshalb, weil die Vorlieben für Einzelteile, grafische Muster und gute Schnitte der jungen und alten Testpersonen sich recht ähnlich waren. Nur bei Rocklänge, grellen Mustern, freien Oberarmen und freizügigem Dekolleté unterschieden sich die Geschmäcker.

Immer wieder werden auch alte Frauen von Modefirmen oder Agenturen oder Magazinen engagiert. Models jenseits der 60, die zeigen: ‚Seht her, wie man noch aussehen kann.’ Grau- oder weißhaarige Models wie Eveline Hall, 68, und Carmen Dell’Orefice, 82, zieren Titelseiten und Laufstege und werden dazu interviewt, wie sich Modeln mit 50 plus anfühlt. Auf der September-Ausgabe der „Elle“ ist ein Foto von Lauren Hutton. Darunter steht, sie sei alterslos. Sie hat es also geschafft. Sie hat das Altern einfach abgeschafft. Einfacher Trick, laut Text: Charakter und Ausstrahlung.

Oder vielleicht doch ein paar der üblich gewordenen Eingriffe chirurgischer Art? Ein bisschen Glätten, Straffen, Spritzen. Mehr als 23 Millionen Mal weltweit wurde das Nervengift Botox gespritzt, seit es 2002 auf den Markt kam. Egal! Bei Frauen steht Alter an erster Stelle, beim Mann ist das nicht so. Oder wie es Silvia Bovenschen in ihrem Buch „Älter werden“ ausdrückt: „Frauen sind mit 60 älter als Männer mit 60.“

Und wie spielt Gleichberechtigung da rein, die Individualisierung? Was bei allen Anstrengungen nicht funktionieren wird, ist die erotische Ausstrahlung. Die kann man nicht halten. Ein älterer Mann hat immer noch eine erotischere Ausstrahlung als die Frau. Für Elke Giese war das eine der schwersten Erkenntnisse ihres eigenen Älterwerdens: „Wir müssen uns von etwas verabschieden, von dem sich Männer nicht verabschieden müssen, das ist meine Erkenntnis, und das tut weh.“

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