zum Hauptinhalt
Noch in der Nacht versammelten sich Demonstranten vor dem Parlament, um gegen das neue Rundfunkgesetz zu protestieren.

© Czarek Sokolowski/AP/dpa

Warschaus Kampf gegen freie Medien: Polen legt sich mit USA und EU zugleich an

Das Mediengesetz macht eine Tragödie zur Farce. Doch wenn Europa und Amerika koordiniert und hart reagieren, wird die PiS nicht triumphieren. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Polens Regierungspartei PiS macht sich mit ihrem Demokratieverständnis zur Lachnummer. Abstimmungsniederlagen werden nicht akzeptiert. Dann wird eben neu abgestimmt, bis das Ergebnis passt – unter dem Vorwand, die von der PiS gestellte Parlamentspräsidentin Elzbieta Witek habe bei dem nicht genehmen Votum einen Formfehler begangen. So wird eine Tragödie zur Farce.

Die Versuchung ist groß, das peinliche Vorgehen der PiS in ihrem Rachefeldzug gegen tvn mit dem Ziel, den wichtigsten oppositionellen TV-Sender zum Schweigen zu bringen, als letzte Zuckung einer dem Tod geweihten Koalition zu interpretieren. Doch der turbulente Verlauf der Sejm-Sitzung ist auch eine Warnung. Es ist nicht ausgemacht, wer zuletzt lacht.

Auch wenn die Regierung auseinandergebrochen ist, ihre Mehrheit im Sejm verloren hat und in den sechs Jahren seit ihrem Antritt 2015 noch nie so nah am Machtverlust stand: Parteichef Jaroslaw Kaczynski ist es in der Nacht zum Donnerstag am Ende erneut gelungen, genug Abtrünnige aus anderen Parteien mit allerlei Versprechen auf seine Seite zu ziehen, um die Veränderungen am Mediengesetz zu erreichen, die ihm die Macht sichern sollen.

Er muss mit vorgezogenen Neuwahlen rechnen, aber das ist für ihn nur ein Grund mehr, die Voraussetzungen zu schaffen, damit die Regierung dem kritischen Sender im September die Verlängerung der Sendelizenz verweigern kann.

Ziel: Der Opposition den medialen Verstärker im Wahlkampf nehmen

Im Wahlkampf wird es um jede Stimme gehen. Ohne Unterstützung des unabhängigen Fernsehprogramms wird es für die Opposition schwieriger zu mobilisieren, während die PiS sich die Kontrolle über den staatlichen Rundfunk gesichert hat.

Zeit für klare Worte: Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU/CSU) und Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki Anfang August in Warschau.
Zeit für klare Worte: Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU/CSU) und Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki Anfang August in Warschau.

© Ralf Sondermann/Staatskanzlei NRW/dpa

Um tvn mundtot zu machen, muss die PiS sich mit den USA anlegen. Der US-Konzern Discovery ist Mehrheitseigner von tvn. Er soll durch die neue Klausel im Gesetz, dass auch die Geldgeber der Betreiber von Medien in Polen ihren Sitz im Europäischen Wirtschaftsraum haben müssen, zum Verkauf gezwungen werden; sonst wird die Lizenz nicht verlängert. Als Käufer sollen, das kennt man von polnischen Zeitungen, nur Investoren in Frage kommen, die der PiS nahestehen.

Die Verzweiflung der PiS muss groß sein, wenn sie den offenen Konflikt mit den USA wagt – dem Sicherheitsgaranten, der in Polen quer durch die politischen Lager populär ist. Präsident Joe Biden hat gedroht, er beobachte die Entwicklung genau und werde reagieren. Andererseits zeigt das Vorgehen, dass Kaczynski und die PiS zu allem bereit sind, um an der Macht zu bleiben.

Sich einmischen, ohne Partei zu ergreifen

Was tun? Deutschland und die EU sollten sich mit den USA absprechen und gleichermaßen hart wie koordiniert reagieren. Das gilt generell wie speziell für den Streitfall tvn. Ein in Europa ansässiger Medienkonzern kann treuhänderisch die nötige Anzahl von Discovery-Anteilen übernehmen, um dem Buchstaben des neuen Mediengesetzes für die Lizenzverlängerung zu genügen. Die USA können parallel die Klagemöglichkeiten aus ihrem Investitionsabkommen mit Polen nutzen und haben auch sonst beträchtliche Möglichkeiten, Warschau Druck zu machen.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Und Deutschland, Europa und die USA sollten sich aktiv in den Wahlkampf einmischen – freilich nicht, indem sie zur Wahl der Opposition und ihres aus Brüssel heimgekehrten Anführers Donald Tusk aufrufen. Sondern indem sie klar machen, dass sie mit Kräften, die die Medienvielfalt einschränken und freie Medien mit Willkürgesetzen zum Verstummen bringen wollen, nicht partnerschaftlich zusammenarbeiten können und deshalb vor deren Wahl warnen.

Ein Bündnis aus EU und USA kann die PiS schwerlich besiegen

Den Rechtsbruch bekämpfen, ohne selbst das Recht einseitig für sich zu instrumentalisieren und gegen Prinzipien der Fairness zu verstoßen: Das ist eine feine, aber für die Glaubwürdigkeit wichtige Trennlinie. Die EU beachtet sie im Umgang mit den Zweifeln an der Rechtsstaatlichkeit in Polen und Ungarn nicht immer und macht es der PiS damit leicht, gegen Brüssel zu polemisieren.

Gegen ein gut begründetes Bündnis Europas mit den USA zur Verteidigung von Demokratie und freien Medien wird es für die PiS schwer, eine Mehrheit unter Polens Wählerinnen und Wählern zu finden. Die wollen zum freien Westen gehören.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false