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Kroatische Fans beim Achtelfinale ihrer Mannschaft gegen Spanien in Kopenhagen

© Imago/Ritzau Scanpix/Claus Bech

Warnung vor EM als Corona-Superspreader: „Machen uns alles kaputt, was wir uns an niedrigen Fallzahlen aufgebaut haben“

Der Blick auf die Zuschauerränge bei der EM vermittelt den Eindruck, die Pandemie sei vorbei. Ins Wembley-Stadion dürfen 45.000. Politiker sind fassungslos.

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat die Zuschauer-Aufstockung für das Wembley-Stadion in London und die bisherigen Bilder von vollen Stadien bei der Fußball-Europameisterschaft scharf kritisiert. „Die UEFA und der DFB müssen dringend dafür sorgen, dass die Regeln eingehalten werden.

Der Plan, jetzt noch mehr Leute in die Stadien zu lassen, wie in Wembley, ist unverfroren“, sagte der 73-Jährige dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Der Grünen-Politiker warnte eindringlich vor einer weiteren Lockerung der Corona-Regeln für das Turnier.

Schon einige der bisherigen Bilder vermittelten den Eindruck, dass die Pandemie vorbei sei. „Das ist ein absolut falsches Signal“, sagte Kretschmann. Bei den Spielen in Ungarn oder Dänemark seien die Stadien „knallvoll“ gewesen, die Zuschauer hätten weder Abstand zueinander gehalten noch Masken getragen. Dies sei „verantwortungslos“. Jedes dieser Spiele könne zum Superspreader-Event werden. „Dieser Leichtsinn macht mich fassungslos“, sagte Kretschmann dem RND.

Dass die Halbfinals und das Endspiel im von der Delta-Variante des Coronavirus' besonders betroffenen Großbritannien ausgetragen werden sollen, bezeichnete er als „eigentlich nicht zu verantworten“. Dies ginge „nur mit harter Einhaltung der Regeln und der Abstände“.

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Söder möchte nicht, „dass es uns einholt“

Auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) mahnt wegen der Corona-Krise weiter Vorsicht bei der Fußball-Europameisterschaft an. Am Spielort München und in Deutschland allgemein sei es bislang „gut gelaufen“, sagte Söder der „Bild“. Man habe sich „ganz bewusst dafür entschieden, so lange abzuwarten, bis klar war, wie sich die Inzidenzen bei uns entwickeln“, sagte er mit Blick auf eine Zulassung von Zuschauern im Stadion und betonte: „Ich möchte halt nicht, dass es uns einholt.“

Dass in Budapest mehr als 55.000 Zuschauer in das Stadion durften, hält Söder für einen Fehler. „Ich hätte das in Ungarn so nicht gemacht, hätte das nicht verantworten wollen. Ausgangspunkt für ein Superspreader-Event zu sein, das ist der Fußball in dem Verhältnis nicht wert. Genießen ja, aber genießen mit Verstand“, sagte Söder.

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Dessen Vorgänger und jetzige Innenminister Horst Seehofer (CSU) übte mit Blick auf die Delta-Variante Kritik an der Zuschauer-Regelung. Vor allem in Großbritannien seien Zehntausende Fans im Stadion „unverantwortlich“, sagte Seehofer der „Süddeutschen Zeitung“. Er appellierte an die Europäische Fußball-Union UEFA und die britische Regierung, Zuschauerzahlen „deutlich nach unten zu korrigieren“.

Die Auslastung von 20 Prozent der Plätze in München sei „ein Maßstab, der auch für die anderen Austragungsorte gelten könnte, denn man muss in den Konzepten auch die An- und Abreise berücksichtigen“, sagte Seehofer der „Augsburger Allgemeinen“ und nannte es „unverantwortlich, wenn in Ländern, die als Virusvariantengebiet der hoch ansteckenden Delta-Mutation gelten, zigtausende Menschen auf engem Raum zusammenkommen“. Das sei auch die Auffassung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, mit der er sich dazu abgestimmt habe.

„Fußball sollte Vorbild sein“

Vor dem Achtelfinale der deutschen Nationalmannschaft im Wembley-Stadion in London fordert der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen ebenfalls mehr Corona-Vorsicht bei der Europameisterschaft. „Es besorgt mich als Gesundheitspolitiker und Arzt gleichermaßen, wenn trotz des rasanten Anstiegs gefährlicher Virusvarianten an den dicht-gedrängten Fußballstadien, oftmals ohne ausreichenden Abstand und Maske, festgehalten wird“, sagte der Bundestagsabgeordnete am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Bei dem Achtelfinale gegen England erlaubt die britische Regierung erstmals während der Europameisterschaft 45.000 Zuschauer in Wembley. Wegen der Corona-Reiserestriktionen aufgrund der Delta-Variante werden nur wenige deutsche Fans erwartet. Großbritannien ist als Virusvariantengebiet eingestuft.

[Lesen Sie hier alle wichtigen Entwicklungen der EM im Tagesspiegel-Liveblog]

Dahmen wandte sich generell gegen den derzeitige Corona-Kurs der EM-Verantwortlichen. „Inzwischen sind ja sogar Nationalspieler mehrerer Mannschaften infiziert“, sagte er. „Wir machen so alles kaputt, was wir uns an niedrigen Fallzahlen aufgebaut haben.“ Der Politiker und Arzt forderte: „Fußball sollte Vorbild sein und nicht in trügerischer Sorglosigkeit selbst zum Pandemietreiber werden.“

Vor dem Hintergrund der EM und der Reisemobilität brauche es verschärfte Testregeln für Rückkehrer und eine konsequente Durchsetzung der Quarantäne, forderte Dahmen. „Sonst werden am Ende des Sommers ausgerechnet Kinder und Familien die Leidtragenden von Sorg- und Rücksichtslosigkeit sein.“

Auch in Deutschland greift die ansteckendere Delta-Variante immer mehr um sich. Sie macht mittlerweile einen Anteil von mindestens 35 Prozent an untersuchten Proben aus, wie der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, am Montag in einer Schalte der Gesundheitsminister von Bund und Ländern gesagt hatte. Da die Daten bereits einige Tage alt seien, sei der Anteil derzeit tatsächlich sogar auf rund 50 Prozent zu schätzen. (dpa)

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