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Im Mai hatte US-Präsident Donald Trump Facebook und Twitter bestraft – nach einem „New York Post“-Bericht.

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Wann wird Journalismus zu Manipulation?: Wie Twitter und Facebook die US-Wahl beeinflussen könnten

Twitter und Facebook haben die Weiterverbreitung eines US-Berichts über Joe Biden eingeschränkt. Das Problem: Es gibt keine Standards für solche Entscheidungen.

Womöglich war der reißerisch angekündigte Text in dem Boulevardblatt „New York Post“ eine jener heiß diskutierten „Oktoberüberraschungen“, auf die viele Beobachter des US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs lange gewartet haben.

Vor allem die Anhänger von Donald Trump, der in den vergangenen Wochen immer weiter in der Wählergunst abgerutscht ist. Von einer „Smoking Gun“ – also einen absolut wasserdichten Beweis – gegen den demokratischen Bewerber Joe Biden in der „Ukraine-Affäre“ war in dem Artikel die Rede.

Die Informationen sollen aus geraubten Emails stammen. Die Umstände: eher dubios. Die angeblichen Beweise: mehr als dünn. Normalerweise würde das die Anhängerschaft von Trump nicht davon abhalten, solche Inhalte im großen Stil zu teilen. 

In diesem Fall jedoch, kaum drei Wochen vor der Wahl, schritten die sozialen Netzwerke ein. Facebook schränkte die Weiterverbreitung des Textes erheblich ein, bis ein Faktencheck Klarheit über den Wahrheitsgehalt des Textes erbringt. Twitter verhinderte indes komplett, dass der Text geteilt werden kann.

Wie geht man mit erbeuteten Daten um? 

Man könnte den Vorgang als geglückte Verhinderung von Wahlkampfmanipulationen verbuchen. Der Fall ist jedoch etwas komplizierter, und er tangiert auch die Verbreitung von journalistischer Recherche in Wahlkampfzeiten. Wie entscheiden soziale Medien, was noch Journalismus ist und was bereits als Wahlmanipulation zu betrachten wäre?  

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Im konkreten Fall der „New York Post“ geht es dabei einerseits darum, ob und wie man über Informationen berichten sollte, die von Hackern oder Datendieben erbeutet wurden. Laut Angaben der „New York Post“ stammen die Daten von einem Laptop, der 2019 bei einem nicht näher genannten Reparaturladen in Bidens Heimatstaat Delaware von einer nicht näher genannten Person abgegeben wurde.

Darauf befanden sich vorgeblich Mails, die zeigen sollen, dass Hunter Biden seinen Vater mit einem ukrainischen Geschäftsmann bekannt gemacht haben soll – obwohl Joe Biden behauptet habe, nie mit seinem Sohn über dessen Ukraine-Geschäfte gesprochen zu haben. Ein Video, das sich angeblich auch auf dem Laptop befunden haben soll, zeige laut „New York Post“ Hunter Biden in eindeutig kompromittierenden Zusammenhängen.

Dubiose Umstände, zweifelhafte Beweise 

Unklar dabei ist, aus welcher Quelle die angeblichen Daten stammen, weder der Ladenbesitzer noch der Informant werden benannt. Es ist daher nicht nachprüfbar, auf wen die angeblichen Enthüllungen zurückgehen und welche Motive die Quelle gehabt haben könnte, die Daten öffentlich zu machen. Die in dem Artikel gezeigten Bilddateien in dem Text weisen darüber hinaus erhebliche Ungereimtheiten mit der Story der New York Post auf, wie Datenanalysten bereits kurz nach der Veröffentlichung aufzeigten.

Und die Art der angeblich vorgefundenen Daten trägt deutliche Züge dessen, was bereits zu Zeiten des sowjetischen Geheimdienstes KGB als „Kompromat“ bekannt war: Echtes oder erfundenes Material also, das gezielt dazu verwendet wird, die Reputation einer Person nachhaltig zu schädigen.

Es gibt also gute Gründe dafür, mit den Recherchen der New York Post äußerst vorsichtig umzugehen. Gerade nach den Erfahrungen des US-Präsidentschaftswahlkampfs von 2016, als Berichte über von Hackern geraubte Emails der demokratischen Kandidatin Hillary Clinton über Wochen die Berichterstattung dominierten. Es gilt als wahrscheinlich, dass die Emails mittels russischer Geheimdienste an die Öffentlichkeit getragen wurden, um den Ausgang der Wahl zu beeinflussen.

Andererseits berührt der Fall jedoch auch die Frage, wie soziale Medien generell mit den Recherchen von klassischen Medienhäusern umgehen sollen. Dass beispielsweise Tweets von Donald Trump mit Warnhinweisen gekennzeichnet wurden, kam bereits häufiger vor. Dass eine potenziell für den öffentlichen Diskurs relevante Rechercheleistung eines Printmediums – noch vor Beendigung eines Faktenchecks – in ihrer Reichweite gedrosselt wird, ist jedoch neu.

Durch ihre Marktmacht sind die sozialen Netzwerke faktisch zu Infrastrukturanbietern in der politischen Kommunikation geworden. Mit Blick auf die Bundestagswahl im kommenden Jahr könnten jene Kriterien auch für die deutsche Politik relevant werden, nach denen Twitter und Facebook ihre Schutzmechanismen gegen Wahlmanipulationen aktivieren und notfalls auch gegen Recherchen von hiesigen Medienhäusern anwenden.

Twitter legt Kriterien offen 

Twitter ist in dieser Frage sehr transparent: Bereits einige Stunden, nachdem der Artikel der „New York Post“ an der Weiterverbreitung gehindert wurde, postete der Konzern über den Account @TwitterSafety die Gründe für den Schritt.

So seien in den Artikel persönliche Informationen veröffentlicht worden, wie zum Beispiel Email-Adressen oder Telefonnummern, was gegen die Twitter-Regeln verstoße. Ferner wende sich Twitter seit 2018 generell gegen die Weiterverbreitung von gehacktem Material. Der Artikel mache Bilder und Links direkt der Öffentlichkeit zugänglich. Die reine Berichterstattung über einen Hack – ohne das Zugänglichmachen der Daten – sei dagegen erlaubt.

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Für eine Anfrage, welche Rolle solche Regeln beim Schutz der Bundestagswahl 2021 vor Manipulationen spielen, war Twitter Deutschland nicht erreichbar.

Andy Stone, Sprecher von Facebook in den USA, verwies für sein Unternehmen auf die bereits 2019 festgelegten Standardverfahren zur Verhinderung von Wahlmanipulationen, die unter anderem vorsehen, dass die Verbreitung von Artikeln gedrosselt wird, so lange ein Faktencheck anhängig ist. 

Wann jedoch ein solcher Faktencheck beschlossen wird und welche Indikatoren dazu führen, geht aus den Richtlinien nicht hervor. Facebook Deutschland bezeichnete die Frage nach Kriterien für die Bundestagswahl 2021 gegenüber Tagesspiegel Background als „spekulativ“ und wollte sich nicht weitergehend zu dem Thema äußern.

Reporter ohne Grenzen arbeitet an Standards

Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (RSF) in Deutschland, sagt gegenüber Tagesspiegel Background, dass seine Organisation grundsätzlich für eine Einordnung von Informationen seitens der sozialen Medien sei. Das gelte auch für die „Depriorisierung“ von Inhalten, also das weniger prominente Präsentieren und gebremste Verbreiten.

„Dies ist aus Sicht von Reporter ohne Grenzen der deutlich bessere Umgang mit dem Phänomen als die Löschung solcher Inhalte“, so Mihr. „Es bleibt allerdings das Problem, dass die Plattformen in Ermangelung einer unabhängigen Aufsicht oder unabhängiger Standards zum Richter über Wahrheit und Falschaussage werden.“

Derzeit beschäftige sich eine Arbeitsgruppe im Rahmen des von RSF gegründeten Forums für Information und Demokratie  mit der Frage, wie eine solche unabhängige Aufsicht aussehen könnte und nach welchen Standards mit Inhalten umgegangen werden soll.

Die Gruppe wird von der philippinischen Medienunternehmerin Maria Ressa, Gründerin des Nachrichtenportals „Rappler“, und der ehemaligen niederländischen Politikerin und Internetrechtexpertin Marietje Schaake geleitet. Laut Mihr wird das Gremium bald Ergebnisse vorlegen.

Twitter legt indes nach: Am Donnerstagnachmittag sperrte der Kurznachrichtendienst den Account von @teamtrump, nachdem versucht worden war, darüber ein Video mit Inhalten aus dem „New York Post“-Artikel zu teilen. Der Grund dafür sei ein Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards bezüglich der Verbreitung von persönlichen Daten gewesen.

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