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Wasserdampf steigt aus den Kühltürmen vom Kernkraftwerk Grohnde auf.

© dpa/ Julian Stratenschulte

Wann kommt der Atomausstieg?: Das letzte Geschäft mit der Kernenergie

Einigen Atomkraftwerken droht die Abschaltung vor den gesetzlichen Fristen. Einen Ausweg bietet der Transfer von Reststrommengen – zum Ärger der Grünen.

Wie schnell der deutsche Atomausstieg Wirklichkeit werden kann, zeigt selbst ein Blick auf die noch laufenden Atomkraftwerke. Sieben Akw sind in Deutschland noch in Betrieb. Mit Isar II, Emsland und Neckarwestheim II sollen die letzten von ihnen erst Ende 2022 vom Netz gehen. Doch könnten einige der sieben Kraftwerke schon vor der im Atomausstieg geregelten Frist abgeschaltet werden – nicht zur Zufriedenheit der Betreiber, für die der Atomstrom ein gutes Geschäft ist. Die Energiefirmen wollen die abgezahlten Kraftwerke noch möglichst lange am Netz halten.

Was den Energiefirmen Probleme bereitet, ist eine Regelung im Atomgesetz, die die rot-grüne Bundesregierung 2002 auf den Weg gebracht hat. Neben dem finalen Ausstiegsdatum wurden für alle Kraftwerke individuelle Abschaltfristen und feste Strommengen vereinbart, die sie noch erzeugen dürfen. Als Beispiel dienen die Meiler des Energiekonzerns Preussen Elektra.

Die Eon-Tochter betreibt mit Isar II, Brokdorf und Grohnde derzeit noch drei deutsche Akw. Während die Kraftwerke in Bayern und Baden-Württemberg jeweils noch mehr als 10.000 Gigawattstunden aufweisen, lagen die Mengen in Grohnde Ende 2018 bereits bei unter 4000 Gigawattstunden.

Grüne und BUND kritisieren Transfer von Reststrommengen

Lange vor der gesetzlichen Abschaltfrist könnte im niedersächsischen Werk Schluss sein – nicht aber, wenn Reststrommengen bereits abgeschalteter Akw transferiert werden. Umweltverbände und Politiker üben erneut Kritik an der Praxis. „Das ist ein Biegen und eine Verschiebung des Atomausstiegs, wenn auch ein Arbeiten im vereinbarten System“, sagte Thorben Becker, Atomexperte vom Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND). Man habe sich allerdings einen schnelleren Ausstieg gewünscht.

Die Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag, Sylvia Kotting-Uhl, hat ebenfalls ihre Probleme mit der Regelung. „Leider hat die Koalition im letzten Jahr meine Forderung abgelehnt, keine (Rest)Strommengen mehr auf Akw im Netzausbaugebiet zu übertragen“, sagte die Grünen-Politikerin Tagesspiegel Background.

„Reststrommengen und deren Übertragungen von älteren auf jüngere Kernkraftwerke wurden bereits im ersten Atomkonsens zwischen der rot-grünen Bundesregierung und den Betreibern von Kernkraftwerken in Deutschland vereinbart“, sagte Almut Zyweck, Sprecherin von Preussen Elektra. Von den Atomgesetznovellen und durch das Bundesverfassungsgericht seien diese bestätigt worden.

Um Kraftwerke wie Grohnde länger betreiben zu können, ist vor allem ein Transfer aus Meilern denkbar, die kurz nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 abgeschaltet wurden.

Erst kürzlich wurde dem Bundesamt für kerntechnische Entsorgungsischerheit eine Übertragung der Reststrommengen der Akw Unterweser, Grafenrheinfeld und Isar I an das Akw Grohnde angezeigt - ein Transfer von 4674 Gigawattstunden innerhalb desselben Unternehmens.

Thematik landete 2018 auch im Bundesrat

BUND-Mann Thorben Becker sieht in dem Transfer von Strommengen ein konkretes Problem: eine Ausbremsung des Ausbaus erneuerbarer Energien. Bei jeder Starkwindphase müssten im Norden Windkraftanlagen abgeregelt werden, so Becker. Bei Atomkraftwerken wie Brokdorf und Grohnde in Norddeutschland sei das schwieriger.

„Das ist ein grundsätzliches Problem, das sich eher noch verschärfen wird“, sagte Becker. „Das sorgt nicht gerade für Akzeptanz.“ Eine Regelung zur Einschränkung des Transfers, gerade dort, wo es um den Netzausbau für erneuerbare Energien gehe, wäre bei der Novelle des Atomgesetzes im vergangenen Jahr sinnvoll gewesen.

Auch auf Landesebene hatte die Praxis bereits für Dissens gesorgt. Die schleswig-holsteinische Jamaika-Koalition brachte sich schon im vergangenen Jahr in Stellung, um einen Transfer der Meiler Brunsbüttel und Krümmel auf Brokdorf zu verhindern. „Eine Übertragung von Reststrommengen auf Brokdorf würde dazu führen, dass erneuerbarer Strom noch länger abgeregelt werden müsste“, sagte Robert Habeck 2018, damals noch Umweltminister in Schleswig-Holstein.

Die Landesregierung hatte die Thematik im vergangenen Jahr auch in den Bundesrat eingebracht. „Es wäre leicht möglich, Atomausstieg und Energiewende zu optimieren und dabei gleichzeitig Steuerzahler und Stromkunden zu entlasten. Wir brauchen schleunigst eine solche Reform“, sagte Umweltpolitikerin Kotting-Uhl nun Tagesspiegel Background.

Preussen Elektra verklagt Vattenfall auf Herausgabe von Reststrommengen

Doch über den Transfer besteht auch zwischen den Energieunternehmen Streit. Preussen Elektra hat Vattenfall erst im Januar auf Übertragung von Reststrommengen aus dem gemeinsam betriebenen Akw Krümmel verklagt. Anders als bei den zuletzt vom BfE genehmigten Transfers von 4674 Gigawattstunden geht es hier um größere Reststrommengen.

Das Akw Krümmel weist noch Kapazitäten von 88.000 Gigawattstunden auf. Beim Akw Brunsbüttel, das beide Energiekonzerne ebenfalls anteilig betrieben, sind es rund 11.000 Gigawattstunden. Mit Mengen aus diesen Akw soll der Weiterbetrieb von Grohnde bis Ende 2021 gesichert werden. Ohne eine Übertragung droht eine Abschaltung bereits im Herbst.

Anders steht es um die süddeutschen Kraftwerke von EnBW. Das Unternehmen teilte auf Anfrage mit, dass man sich nicht um die Übertragung von Reststrommengen aus anderen Akw bemühe. Philippsburg II und Neckarwestheim II stehen noch genügend Strommengen zur Verfügung. RWE hingegen hatte Ende 2018 noch fast 40.000 Gigawattstunden aus abgeschalteten Akw zu vergeben, jedoch noch über 10.000 Gigawattstunden in den zwei eigenen Meilern zu verbrauchen.

Eine außergerichtliche Einigung mit Vattenfall scheiterte laut einer Sprecherin von Preussen Elektra nicht nur an den wirtschaftlichen Konditionen, sondern auch an der Frage des Eigentumsrechts an den Strommengen. Eine Sprecherin von Vattenfall teilte auf Anfrage mit, dass man sich ernsthaft um eine Übertragung der ausgleichsfähigen Strommengen zu angemessenen Bedingungen bemühe.

Zu Interna könne man jedoch keine Angaben machen. Zuletzt hatte das schwedische Unternehmen vor dem Internationalen Schiedsgericht der Weltbank wegen des Atomausstiegs gegen die Bundesrepublik geklagt. Konkret geht es um die Stilllegung der Kraftwerke Brunsbüttel und Krümmel 2011. Der Konzern fordert eine „faire Kompensation“ für den finanziellen Schaden.

Ob es zu weiteren Transfers von Reststrommengen kommt, hängt nun nicht allein an der BfE. Das Verfahren der Energieriesen Vattenfall und Preussen Elektra vor dem Landgericht Hamburg ist nicht entschieden. Preussen Elektra rechnet mit einer zeitnahen Entscheidung. „Die Dringlichkeit liegt auf der Hand“, sagt Zyweck.

Dieser Artikel stammt vom Tagesspiegel Background Energie & Klima. Das Team veröffentlicht täglich Newsletter mit höchster Relevanz für Top-Entscheider, Kommunikationsprofis und Fachexperten. Hier können Sie die Newsletter vom Tagesspiegel Background abonnieren.

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