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Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wehrte ab, was nicht aufzuhalten war: Ein Grundrecht auf Tod

© imago images/Future Image

Wann ist ein Leben am Ende?: Warum Jens Spahn keine Debatte über Sterbehilfe will

Der Bundesgesundheitsminister will sich aus Regelungen heraushalten und hält Informationen zurück. Dass passt nicht zueinander. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Jenseits der Pandemie drängt ein Thema auf die Agenda des Bundestags, das mit der gegenwärtigen Situation vielleicht mehr zu tun hat, als man sich eingestehen möchte. Vor einem Jahr hat das Bundesverfassungsgericht ein Grundsatzurteil zum Recht auf Sterbehilfe gefällt. Ein Recht, das in einem Grenz- und Graubereich siedelt, der auch im Zusammenhang mit den vom Virus ausgelösten Leiden täglich beängstigend vielfach durchmessen wird.

Wann ist Leben am Ende? Darf es zum Ende gebracht werden? Und wenn ja, wie?

Das Urteil ist vielen, allen voran Parlamentarierinnen und Parlamentariern, damals wie ein Schock in die Glieder gefahren. Nach langen Debatten hatten sie sich geeinigt, das Tätigwerden von Sterbehelfern als „geschäftsmäßige“ Suizidhilfe strafrechtlich verfolgen zu lassen. Gewissermaßen also das Gegenteil von dem, was das Verfassungsgericht dann später als Grundrecht auf ebendiese Hilfe propagiert hat.

Selten standen sich Staatsgewalten derart konträr gegenüber, und in dieser Verblüffung und dem gegenseitigen Unverständnis dürften wesentliche Gründe dafür liegen, weshalb es mit neuen gesetzgeberischen Überlegungen so lange dauert, wie es jetzt dauert.

Alles in allem ein Tod auf Rezept

Doch nun gibt es erste Entwürfe. Sie binden die Sterbehilfe eng an ärztliche Betreuung und wollen mit begleitender, teils verpflichtender Beratung sicherstellen, dass Leben, wenn es beendet wird, aus freien Stücken und in Bedacht aller Folgen beendet wird. Alles in allem ein Tod auf Rezept, nach einem staatlich angeleiteten Diagnoseverfahren. Kein Wunder, dass sich mit den ersten Entwürfen erste Kritik erhebt.

Das ist es, was viele gerade nicht wollen, Politiker nicht aus ethischer oder religiöser Überzeugung, viele Ärztinnen nicht, weil sie solche Art der Therapie als nichtärztlich ablehnen; in ihren unterschiedlichen Berufsrechtsregelungen spiegelt sich der ganze Zwist.

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Hier strebt vieles auseinander, was zusammengefügt werden müsste. Und da käme kraft Amtes ein Minister ins Spiel, der jedoch ausgerechnet auf diesem Feld Rückstand aufzuholen hat. Jens Spahn ist jahrelang über ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hinweggegangen, das ein Grundrecht auf menschenwürdigen Suizid früher als die Karlsruher Richter und ebenfalls mit Rechtskraft für den Staat festgestellt hat. Man hat es ignoriert, weil es politisch nicht passte.

Spahn ist niemand, der Konsens stiften könnte

So überraschend kann der Moment vor einem Jahr also für manche nicht gewesen sein. Nach außen wird nun signalisiert, die Regierung überlasse alles dem Parlament; derweil aber werden im Gesundheitsministerium fleißig Informationen und Stellungnahmen gesammelt und man ließ, wie zum Erstaunen vieler bekannt wurde, dort ebenfalls einen Entwurf ausarbeiten.

Kurzum, niemand weiß so viel über die Situation von Sterbenden und legislative Möglichkeiten zur Hilfe wie Spahn und seine Verwaltung. Allein, man möchte es nicht teilen. Die Regierung, heißt es, habe sich noch nicht zu einer Position durchringen können.

Doch wer braucht diese Position? Im Prinzip niemand; eine Lösung soll schließlich aus der Volksvertretung kommen, und Spahn scheidet als einer, der glaubwürdig Konsens stiften könnte, ohnehin aus. Er müsste, ginge es demokratisch zu, alles Wissen in die beginnende Debatte bringen. Doch das geschieht nicht, weshalb der Eindruck entsteht, dass hier einer eine Debatte entscheiden möchte, bevor sie geführt werden kann.

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