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Von der Pandemie getroffen. Derzeit ruht der EU-Parlamentsbetrieb in Straßburg.

© imago stock&people

Wanderzirkus zwischen Brüssel und Straßburg: Schlappe für Frankreich vor EU-Gericht

Viele EU-Abgeordnete sind angesichts regelmäßiger Umzüge von Brüssel nach Straßburg unzufrieden. Durch ein Urteil des EuGH können sie sich bestätigt fühlen.

Wenn es ein Thema in der EU-Politik gibt, über das Frankreich mit Argusaugen wacht, dann ist es die Bedeutung der Elsass-Metropole Straßburg als Hauptsitz des Europaparlaments. Wenn nicht gerade wie jetzt die Corona-Pandemie einen großen Teil der EU-Abgeordneten ins Homeoffice verbannt, finden ansonsten jeden Monat die Plenartagungen des Parlaments in Straßburg statt. Am Donnerstag entschied allerdings der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass auch Brüssel als zweiter Sitz des EU-Parlaments gewisse Rechte in Anspruch nehmen darf.

Schon seit Jahren grummelt es unter den EU-Abgeordneten, weil sie regelmäßig den teuren und logistisch aufwändigen Wanderzirkus von Brüssel nach Straßburg antreten müssen. Vor einem Jahrzehnt setzte sich eine Initiative von EU-Abgeordneten dafür ein, den regelmäßigen Umzug von Abgeordneten und Mitarbeitern mitsamt 1500 Metallcontainern mit Unterlagen von der belgischen Hauptstadt ins Elsass zu beenden. Doch die Initiative der Parlamentarier, die gesamte Parlamentsarbeit künftig in Brüssel zu bündeln, versandete. Denn nach den EU-Verträgen steht Frankreich der Parlamentssitz zu.

Die EU-Verträge sichern Frankreichs Anspruch

Der Anspruch Frankreichs auf die Plenarsitzungen des Europaparlaments entspringt der EU-Logik, die Institutionen der Gemeinschaft auf mehrere Länder zu verteilen. So beherbergt Frankfurt am Main die Europäische Zentralbank (EZB), in Luxemburg ist ein Teil der Parlamentsverwaltung untergebracht. Dennoch wird für den parlamentarischen EU-Betrieb Brüssel als Standort immer wichtiger. Dort finden seit Jahren regelmäßig zweitägige Mini-Plenumssitzungen statt, die den Abgeordneten die zeitraubende Reise nach Straßburg ersparen. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte vor der Europawahl von 2019, lediglich auf Brüssel als alleinigen Parlamentsort zurückzugreifen. Doch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron stellte sich quer.

Ende Oktober 2017 gab es nun in Brüssel eine Sitzung, die zum Streitfall vor dem EuGH geworden ist. Damals verabschiedete das EU-Parlament den EU-Haushalt für 2018. Frankreich erhob darauf hin vor dem EuGH Klage und begründete dies mit der Unterstützung Luxemburgs damit, dass die Haushaltsbefugnisse des Parlaments grundsätzlich in Straßburg auszuüben seien. Dem widersprach der EuGH nun am Donnerstag: Laut dem Urteil des Gerichts kann das EU-Parlament sehr wohl einen Teil seiner Etatbefugnisse in Brüssel wahrnehmen, wenn dies „für den reibungslosen Ablauf des Haushaltsverfahrens zwingend geboten ist“.

EU-Rechnungshof errechnete jährliche Mehrkosten von 110 Millionen Euro

Nach der Ansicht des SPD-Europaabgeordneten Jens Geier ist das EuGH-Urteil nur folgerichtig. „Die Aufteilung der Parlamentsarbeit auf Brüssel und Straßburg ist ineffizient und stammt aus der Zeit, als das Europäische Parlament nur eine gelegentliche Versammlung nationaler Parlamentarierinnen und Parlamentarier war“, sagte Geier dem Tagesspiegel. „Die Mehrkosten, der Zeitverlust und die Umweltbelastung durch die monatlichen Reisen zwischen Belgien und Frankreich sind den Menschen nicht zu vermitteln“, fügte er hinzu. Zur Begründung sagte er, dass laut einer Studie des EU-Rechnungshofs von 2014  die Aufrechterhaltung mehrerer Parlamentsorte und die Reisetätigkeit mehr als 110 Millionen Euro pro Jahr kosteten. „Populisten und Euro-Skeptikern wird damit billige Munition geliefert“, so Geier. Bei einer Revision der EU-Verträge, die zuletzt auch Merkel in Aussicht gestellt hatte, müsse der Weg für einen einzigen Sitz des EU-Parlaments freigemacht werden, forderte er.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog.  Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Die Corona-Pandemie hat ohnehin dazu geführt, dass Straßburg derzeit als Parlamentssitz ausgebootet ist. Straßburg liegt in der französischen Region „Grand Est“, die von der Ausbreitung des Virus besonders betroffen war. Seit März findet die Parlamentsarbeit entweder physisch in Brüssel oder per Videokonferenz statt. Doch wenn es nach dem Willen des Parlamentschefs David Sassoli und der französischen Europa-Staatsministerin Amélie de Montchalin geht, dann soll eine Rückkehr der EU-Vertreter nach Straßburg bald erfolgen. „Ich denke, dass dies im September möglich sein sollte, wenn es die Umstände erlauben“, sagte Sassoli jüngst.

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