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Jugendliche wählen an der Herbert-Hoover-Schule, Pankstraße 18 in Berlin-Wedding. (Archivbild)

© Thilo Rückeis

Wahlrecht für Jugendliche: 16 oder 18 Jahre – ab wann soll man wählen dürfen?

Die Klimastreiks an Schulen zeigen ein wachsendes politisches Interesse. Justizministerin Barley fordert ein Wahlrecht ab 16. Ist das machbar und was bringt es?

Jeden Freitag demonstrieren Schüler in Deutschland und Europa für mehr Klimaschutz. Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) findet dieses politische Engagement „großartig“ und fordert ein Wahlrecht ab 16 Jahren. Was das Wahlrecht hergibt, was geändert werden müsste, wo Wählen mit 16 Jahren möglich ist und was das für Jugendliche bedeutet – ein Überblick.

Das Grundgesetz

„Wahlberechtigt ist, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt“, bestimmt das Grundgesetz in Artikel 38. Wer das Alter senken will, muss die Verfassung ändern. Dafür ist im Bundestag eine Zweidrittelmehrheit nötig. Gegner einer solchen Änderung argumentieren mit der politischen Mündigkeit. „Wenn Wahlen kein Spiel sind, wenn ihr Ergebnis nicht dem Zufall überlassen bleibt, also zum Beispiel nicht ausgewürfelt werden darf, sondern auf einen öffentlichen, nach Möglichkeit mit rationalen Argumenten zu führenden Diskurs zwischen Wählern und zu Wählenden zurückführbar sein muss, dann setzt das subjektive Wahlrecht auf beiden Seiten die Fähigkeit voraus, an einem solchen Kommunikationsprozess mit einigem Verständnis teilzunehmen“, schreibt der Rechtswissenschaftler und frühere CDU- Politiker Hans Hugo Klein im führenden Grundgesetzkommentar Maunz/Dürig. Ein solcher Grad an Verstandesreife könne bei den über 18-Jährigen vorausgesetzt werden, bei 16- oder 17-Jährigen eher nicht.

Befürworter einer Absenkung können indes ebenfalls auf das Grundgesetz verweisen. „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, heißt es in Artikel 20, und sie werde „vom Volke in Wahlen und Abstimmungen“ ausgeübt. Von einem Mindestalter steht da nichts. Rund 13,5 Millionen Minderjährige leben in Deutschland. Gehören sie nicht zum Volk? Konservative Juristen wie Klein sehen die „Verstandesreife“ dennoch als demokratisch nötige Voraussetzung. „Der dialogische Prozess zwischen Wählern und zu Wählenden ist wie der zwischen Repräsentierten und Repräsentanten ein personaler Prozess“. Eine Absenkung ist deshalb für ihn ausgeschlossen – sie verstieße gegen Artikel 79 Absatz 3 des Grundgesetzes, der die wesentlichen Prinzipien der Demokratie für unveränderbar erklärt.

Wahlrecht ab Geburt

Wie das Verfassungsgericht eine solche Frage beurteilt, ist offen. Da es hier aber eher auf Ansichten zu demokratietheoretischen Konzepten ankommt, dürfte dem Gesetzgeber ein Spielraum zugestanden werden. Für jeden ist nachvollziehbar, dass Verstandesreife nicht zwingend mit Lebensalter einhergeht. Dass junge Leute am politischen Diskurs teilnehmen, ist mit sozialen Netzwerken sichtbar und vermutlich durch sie befördert worden.

Auch andere Möglichkeiten sind denkbar. Der Deutsche Familienverband hatte vor zwei Jahren einen Vorstoß unternommen: „Nur wer wählt, zählt“, proklamierte die Organisation. Für Minderjährige soll es künftig ein „Wahlrecht ab Geburt“ geben, das die Eltern stellvertretend ausüben können – so lange, bis die Minderjährigen selbst wählen möchten. Dazu müssten sie sich in das Wählerverzeichnis eintragen lassen, dann fiele die Stellvertretung weg. Die Volljährigkeit wäre die Höchstgrenze. Wer die nötige „Verstandesreife“ besitzt, um sich persönlich amtlich zu melden, könnte demnach mitwählen. Gegner argumentieren auch hier mit der Verfassung. Das Wahlrecht sei höchstpersönlich, man könne und dürfe es nicht stellvertretend ausüben.

Die Rechte der 16-Jährigen

16-Jährige haben viele Rechte. Sie dürfen ihr Testament machen, können einer Organspende zustimmen, Führerscheine erwerben und an Kommunalwahlen teilnehmen. Auch das Strafrecht schützt sie nicht mehr so wie Jüngere, etwa bei Missbrauchsdelikten. Minderjährige dürfen Parteien gründen. „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei“, heißt es in Artikel 21 Grundgesetz. Soll die Partei aber als rechtsfähiger Verein eingetragen werden, wäre es anders. Minderjährige, die mindestens sieben, aber noch nicht 18 Jahre alt sind, können einen Verein nur mit Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter, also der Eltern, gründen.

Wählen ab 14

Wenn es nach dem Jugendforscher Klaus Hurrelmann ginge, dürften bereits Zwölfjährige wählen. Er verweist auf die derzeitigen Schülerdemos gegen den Klimawandel. „Wie die aktuellen Ereignisse zeigen, ist heute schon bei den Zehn- und Zwölfjährigen ein politisches Interesse vorhanden“, sagte er. Nach Meinung des Sozialwissenschaftlers, der an der Berliner Hertie School of Governance lehrt, können junge Leute von diesem Alter an einschätzen, „worum es bei einem Thema geht und worauf es bei einer Wahl ankommt“.

Deshalb spiele das Alter der Volljährigkeit keine Rolle für die Festsetzung dieses Bürgerrechtes. „Entscheidend ist die Urteilsfähigkeit, die Fähigkeit einzuschätzen, worum es bei einem Thema und bei einer Wahl geht“, sagte Hurrelmann. „Ich bin der Auffassung, dass man einen gesellschaftlichen Konsens herstellen könnte, auf 14 Jahre herunterzugehen.“ Von diesem Alter an lasse das Grundgesetz die Religionsmündigkeit zu – ein Fakt, der für die Diskussion um das Wahlalter von großer Bedeutung sei.

Die Wahlergebnisse würden nicht sehr stark beeinflusst, weil die jungen Leute eine demografisch kleine Gruppen bildeten. „Aber die Parteien müssten die Themen der jungen Leute aufnehmen, das wäre das Entscheidende.“ Rund 1,5 Millionen Jugendliche wären bei einer Absenkung des Wahlalters um zwei Jahre zusätzlich wahlberechtigt, sagen Experten. Das Ungleichgewicht zwischen Älteren und Jüngeren würde etwas korrigiert. So standen im Jahr 2015 immerhin 21,3 Millionen Wahlberechtigte im Alter von mehr als 60 Jahren nur 9,8 Millionen Wahlberechtigten gegenüber, die 30 Jahre alt oder jünger waren.

Vier Landtagswahlen ab 16

Das Wahlrecht mit 16 Jahren gibt es bereits – auf Landes- und Kommunalebene. In Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein dürfen 16-Jährige bereits den Landtag wählen. Das passive Wahlrecht ausüben, nämlich selbst gewählt werden, dürfen sie nicht. Bei Kommunalwahlen ist das Wahlalter in Baden-Württemberg, Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt auf 16 Jahre gesenkt worden. Das Bundesverwaltungsgericht hat dies 2018 für mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt.

Erfahrungen aus den Ländern

Erfahrungen aus Brandenburg zeigen: 16- und 17-Jährige nehmen ihr Wahlrecht gern wahr. Bei der Landtagswahl 2014 lag die Wahlbeteiligung in dieser Altersgruppe bei 41,5 Prozent – und damit deutlich höher als bei älteren Altersgruppen. Bei den 18- bis 20-Jährigen waren es 34 Prozent, bei den 21- bis 24-Jährigen nur 26,2 Prozent. Insgesamt lag die Wahlbeteiligung bei 48,5 Prozent. In Schleswig-Holstein haben Wissenschaftler des Mainzer Zentrums für empirische Demokratieforschung 3 800 Jugendliche im Alter von 15 bis 18 Jahren dazu befragt. Denn im Mai 2017 durften sie den Landtag in Kiel wählen. Bei der Bundestagswahl vier Monate später blieb allen unter 18 Jahren die Stimmabgabe dann verwehrt.

Die Umfrage zeigte, die jungen Wähler hätten gern auch bei der Bundestagswahl mitgemacht. Die Forscher stellten fest, dass gerade jüngsten Wahlberechtigten besonders stark für Politik interessieren und sich auch selbst informieren. Das vorhandene Interesse werde durch die Möglichkeit verstärkt, wählen zu dürfen. Die soziale Herkunft spielt jedoch eine Rolle: Gymnasiasten aus Elternhäusern, die sich für Politik interessieren, wählten häufiger als Jugendliche mit geringerem Bildungsniveau. Dieses Muster könnte sich verfestigen. Die Mainzer Forscher warnen zudem: Das uneinheitliche Wahlalter in Bund und einigen Ländern könnte die Motivation jener aushöhlen, die gerade dabei sind, interessierte Wähler zu werden.

Die Chancen

Trotz aller Erfahrungen und Argumente: Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die SPD mit ihrem Vorschlag in dieser Legislaturperiode gegen den Widerstand der Union durchsetzt, ist äußerst gering. Im 2018 geschlossenen Koalitionsvertrag kommt das Wahlrecht mit 16 nämlich nicht vor.

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