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Eine Wahlrechtsreform ist nicht gelungen.

© Jens Wolf/dpa

Wahlrecht für den Bundestag: Weniger ist mehr

Das Wahlrecht für den Bundestag ist zwar ein unglücklicher Kompromiss, aber eine Katastrophe ist es nicht. Das nächste Parlament muss es dennoch reformieren. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Albert Funk

Im September wird der neue Bundestag gewählt. Er wird möglicherweise deutlich größer sein als der jetzige. Eine Änderung des Wahlrechts, um das zu verhindern, haben die Fraktionen im Bundestag bisher nicht hinbekommen. Die zuständige Arbeitsgruppe der Koalition vertagte sich im Dezember ins neue Jahr - ohne Aussicht auf eine Einigung. Manche rufen schon: Skandal! Die Parteien hätten versagt. Der Steuerzahler müsse wieder tiefer in die Tasche greifen. Die Kritik wird noch anschwellen, wenn die weiteren Wahlprognosen in diesem Jahr (und dann das Ergebnis im September) tatsächlich 670, 680, ja mehr als 700 Abgeordnete ergeben. Die gesetzliche Sitzzahl, also die Mindestgröße, liegt bei 598 Mandaten. Schon der aktuelle Bundestag kam aber wegen Überhangmandaten, zuteilungsbedingten Mehrmandaten und Ausgleichsmandaten auf 631 Abgeordnete.

In der Tat scheint es so, als ob neun Monate vor der Wahl alle Versuche gescheitert sind, die drohende (aber keineswegs sichere) „Aufblähung“ des Parlaments zu verhindern. Bevor man aber den Verantwortlichen mit Vorwürfen kommt, sollte man, um der Sachlichkeit willen, einige Dinge festhalten. Das aktuelle Wahlrecht ist verfassungskonform. Es wurde bei der letzten Reform versucht, Einwände der Karlsruher Richter mit der Wahlrechtstradition zu verbinden, und man kann lange streiten, ob das geglückt ist. Das aktuelle Wahlrecht ist auch gerecht. Es gibt das Verhältnis der (letztlich entscheidenden) Zweitstimmen der Parteien korrekt und unverzerrt wieder. Der Preis für diese von Karlsruhe verlangte Annäherung an die reine Verhältniswahl sind die Ausgleichsmandate, die das Parlament dann natürlich vergrößern. Gleichzeitig gibt es weiterhin Wahlkreise, die dafür sorgen, dass eine Anbindung der Abgeordneten an die Wählerbasis und eine breite Vertretung aller Regionen gegeben ist. Eine Katastrophe ist das aktuelle Wahlsystem somit nicht.

Es könnte längst eine neue Regelung geben

Dennoch könnte es längst eine Regelung geben, die den Nachteil der unkalkulierbaren Gesamtzahl der Sitze vermeidet. Aber all die Vorschläge, die gemacht wurden, hatten ihre Haken. Mal war der Regionalproporz gestört, mal sollten gewonnene Direktmandate aberkannt werden. Ein SPD-Modell zielte darauf, die Zahl der Direktmandate stark zu verringern – das ist immer noch zukunftsträchtig, aber machen da alle zu streichenden Wahlkreisgewinner im Bundestag mit? Und die Wähler in den Wahlkreisen? Die Deckelung der Sitzzahl bei etwa 630, der Vorschlag von Bundestagspräsident Norbert Lammert aus dem Frühjahr, war problematisch, weil davon wohl vor allem seine Partei, die CDU, profitiert hätte.

Die Sache ist nicht ganz einfach. Dass nach der vorigen Wahl kein Anlauf zur weiteren Reform gemacht wurde, hing auch damit zusammen, dass 2013 (als auch schon die 700er-Zahl kursierte) das Ergebnis am Ende weniger „skandalös“ ausfiel, als Kritiker prognostiziert hatten. So könnte es natürlich auch jetzt wieder sein. Aber wollen wir vor jeder Wahl die Debatte über das „aufgeblähte“ Parlament führen? Eher nicht. Also wird der nächste Bundestag die Reform neu angehen müssen. Nach dem Motto "weniger ist mehr". Wobei eines schon heute klar ist: Das ideale Wahlrecht gibt es nicht.

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