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Männer, die ins Ungewisse starren. Wahlkampfplakate für den rechtskonservativen Likud und dessen Vorsitzender Benjamin Netanjahu (l), Premierminister von Israel, und Oppositionsführer Yair Lapid von der liberalen Partei Jesch Atid in Ramat Gan, unweit von Tel Aviv.

© Oded Balilty/AP/dpa

Wahlen in Israel: Stabile rechte Seitenlage

Benjamin Netanjahu wird alles tun, um bei den bevorstehenden Wahlen an der Macht zu bleiben. Ein Gastbeitrag.

Shimon Stein war Israels Botschafter in Deutschland (2001-2007) und ist zur Zeit Senior Fellow am Institut für Nationale Sicherheit Studien (INSS) an der Tel Aviv Universität. Moshe Zimmermann ist Professor emeritus an der Hebräischen Universität Jerusalem

Am 23. März werden die Israelis zum vierten Mal innerhalb von nur zwei Jahren zur Wahlurne gebeten. Dreimal nacheinander, im April und September 2019 und im März 2020, gab es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Benjamin Netanjahus Likud-Partei und Benny Gantz’ Blau-Weiß-Partei. Zweimal konnte weder der eine noch der andere eine Regierungskoalition bilden. Beim dritten Mal kam es zum überraschenden Durchbruch: eine große Likud-Blau-Weiß-Koalition mit einer klaren parlamentarischen Mehrheit auf paritätischer Basis.

Für die ersten 18 Monate war Netanjahu als Regierungschef vorgesehen, für die nächsten 18 Monate sollte Gantz antreten. Netanjahu hatte es geschafft, trotz eines wegen Bestechlichkeit geführten Prozesses im Amt zu bleiben. Alle Welt wusste, dass es für ihn nur eine Frage des Timings war, wann er die Koalition sprengen würde, bevor ihn Gantz als Regierungschef ersetzt.

Nun steht fest: Bei den bevorstehenden Wahlen wird es keinen Wettbewerb zwischen Likud und Blau-Weiß mehr geben. Netanjahu hat erreicht, dass Blau-Weiß höchstens eine Rumpfpartei bleibt, wenn sie denn überhaupt die Hürde von 3,25 Prozent schafft. Die Beteiligung von Blau-Weiß an der Regierung Netanjahu glich einem Selbstmordversuch. Doch muss man dieser Partei zugute halten, dass sie als mitregierende Partei den Trump-Köder der Annexion abwehrte und die Justiz nicht nur gegen Netanjahu als Person verteidigte, sondern auch den Versuch der „Orbánisierung“ Israels wenigstens für kurze Zeit erfolgreich aufhielt.

Aufspaltung des Likud

Selbstverständlich führt „Bibi“ Netanjahu auch in diesem Wahlkampf den Likud, der nach den Prognosen die bei weitem größte Partei bleibt. Und das, obwohl der Likud sich aufspaltete und trotz des Prozesses gegen Netanjahu. Bibis Erzrivale im Likud, Gideon Sa’ar, gründete die Neue Hoffnung, die aber eine geklonte Likud B ist, ein Sammelbecken für Likud und Blau-Weiß-Deserteure, die Bibi absetzen möchten. Allerdings bekommen beide Parteien gemeinsam, so die Prognosen, mehr als die 36 Sitze, die der Likud in der jetzigen Knesset, vor der Spaltung, hat.

Die Rechtsnationalisten, zu denen außer Likud und Neue Hoffnung drei weitere Parteien, aber auch die Parteien der Ultraorthodoxen gehören, werden eine deutliche Mehrheit in der Knesset erringen. Die weitere Schwächung des Links-Mitte-Blocks ist nicht aufzuhalten. Mehr als ein Viertel der Wähler können diese Parteien nicht für sich gewinnen. Auch die arabische Einheitsliste, die vor einem Jahr noch 15 Knesset-Sitze erringen konnte und zum Anti-Bibi-Lager gehört, ist gespalten und erwartet erhebliche Verluste.

Die Mehrheit steht rechts, die Linke ist k.o., weil die Grundhaltung der jüdischen Israelis jüdisch-national ist. Hinzu kommt, dass die Palästinafrage praktisch vom Tisch ist. Mit den „Abraham-Abmachungen“ scheint die traditionelle Gretchenfrage um die Zweistaatenlösung Makulatur geworden zu sein. Arabische Staaten, vom Iran bedroht, sind bereit, mit Israel zu paktieren und die Palästinafrage zu marginalisieren.

Das wird nicht nur als Netanjahus Erfolg gewertet, sondern vor allem als Niederlage für die israelische Linke, die sich in den letzten Jahrzehnten nur über die Haltung zur Palästina- und Siedlungspolitik profilieren konnte und nun ihre raison d’être verloren hat. In der Sozial- und Wirtschaftspolitik bieten schon seit langem die Mitte-links Parteien keine echte Alternative mehr.

Rechtsnationalistische Mehrheit wahrscheinlich

Darüber, dass die nächste Regierung überwiegend rechtsnationalistisch sein wird, kann es also kaum Zweifel geben. Und doch wird die Koalitionsbildung problematisch sein, weil es für viele um die Person Bibi geht und nicht nur Sa’ar sich weigert, den amtierenden Regierungschef zu unterstützen. Vom „Zauberer Netanjahu" erwartet man jedoch, dass er es wieder schafft, die rechten Parteien zu spalten und so eine Koalition auch mit den Parteien der Ultraorthodoxen aufzustellen, also 61 der 120 Knessetabgeordneten hinter sich bekommt. Um Regierungschef zu bleiben, wird er sogar versuchen, Abgeordnete aus der Linken oder der Mitte zu ködern, oder, falls ihm dies nicht gelingen sollte, mit einer Partei zu paktieren, zu deren Führung der erklärte Rechtsextremist Ben Gvir gehört.

Immerhin gibt es zwei weitere Szenarien. Entweder kommt es zu einer bibilosen Koalition von rechts (ohne Likud), Mitte (Jesh Atid, Yair Lapids Partei) und links, oder aber zu einer rechten Koalition mit dem Likud, der aber Netanjahu abgesetzt hat. Denn die Likud-Diadochen lauern auf ihre Chance, und falls der Preis die Einstellung von Netanjahus Prozess oder eine Begnadigung ist, wäre Netanjahus politisches Hauptziel, nicht im Gefängnis zu landen, erreicht.

Die Chance, diesmal einen neuen Ministerpräsidenten zu bekommen, ist nicht groß, aber auch nicht auszuschließen. Jedenfalls scheint die Zahl der Variationen und Überraschungen groß zu sein; Viel hängt davon ab, welche Parteien unter der 3,25-Prozenthürde bleiben. Auch könnte es sein, dass sich Netanjahu urplötzlich als Freund der israelischen Araber präsentiert, auf arabische Likud-Wähler hofft oder zumindest auf die Unterstützung einer arabischen Partei, die sich von der arabischen Einheitspartei abspalten lässt.

Erfolgreiche Kriegsherren ziehen nicht mehr

Ein weiteres Indiz für den Wandel der israelischen Politik ist das Verschwinden eines traditionellen Erfolgsrezepts – nämlich auf einen früheren Generalstabschef als Spitzenkandidaten zu setzen. General Gantz hat den politischen Kampf, gemeinsam mit zwei weiteren Generalstabschefs a.D. verloren. Die rechten wie die linken Parteien haben begriffen: Um Wahlen zu gewinnen taugen sie nicht mehr, jedenfalls nicht ohne die Aura eines gewonnenen Krieges. Vergangen sind die Zeiten, in denen Moshe Dayan, Itzhak Rabin oder Ehud Barak die Zivilgesellschaft verzaubern konnten.

Inwieweit die Coronakrise eine Rolle spielen wird, ist erstaunlich offen. Netanjahus Trumpf ist die Impfkampagne: Ihr Erfolg ist, so Netanjahu, sei allein ihm persönlich zu verdanken. Dafür werden die mit Covid-19 verbundenen Wirtschafts- und Sozialprobleme wahrscheinlich erst bei den übernächsten Wahlen ihren Niederschlag finden. Schaden könnte Netanjahu vor allem der Umgang mit den Ultraorthodoxen.

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Der verbreitete Unmut über die Hilflosigkeit der Regierung, der Weigerung der Ultraorthodoxen entgegenzutreten, die Corona-Auflagen zu befolgen, kommt Parteien der Mitte zugute, die nicht mit Netanjahu koalieren wollen.

Für viele säkulare und liberale Bürger war das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.

So oder so ist zu befürchten, dass die Kräfte, die gegen den chaotischen Populismus, gegen Korruption, gegen eine völkische Gesetzgebung, gegen die Unterwanderung der Justiz und gegen radikale siedlungsfördende Maßnahmen in der Westbank kämpften, nun einen weiteren Rückschlag erleiden. Auch in Post-Trump-Zeiten bleibt Israel im rechtsnationalen, rechtspopulistischen Lager.

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