zum Hauptinhalt
Der frühere Schweizer Justizminister Christoph Blocher von der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) spricht auf einer Wahlkampfveranstaltung. Am 18. Oktober wird in der Schweiz ein neues Parlament gewählt.

© Fabrice Coffrini/AFP

Wahlen in der Schweiz: „Die Dütschen schaffen das nicht“

Vor den Parlamentswahlen in der Schweiz schlachteten Christoph Blocher und seine rechtskonservative SVP das Flüchtlingsthema aus – obwohl das Land kaum betroffen ist.

Schwere Wolken ziehen über das Oberwallis. Der weitläufige Bahnhofsvorplatz in Brig am Fuß des Simplon-Passes ist blitzsauber. Einige Männer verständigen sich in im harten Dialekt der Region: „Ich gehe jetzt zum Blocher“, raunt einer von ihnen. An diesem kühlen Herbstabend macht Christoph Blocher, Anführer der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP), Wahlkampf- Stopp in Brig. Der 75-Jährige will es noch einmal wissen: Seine Volkspartei, ohnehin stärkste politische Kraft Helvetiens, soll ihre Position weiter ausbauen. Die meisten Demoskopen ermutigen ihn: Bei der Wahl für das Parlament an diesem Sonntag werde die SVP zulegen. Beim letzten Urnengang 2011 erzielte die Partei knapp 27 Prozent für die größte Kammer des Parlaments, den Nationalrat.

Eine noch größere SVP könnte in der neuen Schweizer Regierung ihre europafeindliche Politik noch lauter einfordern – und die Abschottung der Eidgenossenschaft vorantreiben.

In ihrer Kampagne 2015 setzen die Nationalkonservativen konsequent auf das europäische Megathema: die Flüchtlingskrise. Wie keine andere Partei Helvetiens schlachtet die SVP die Not und das Chaos rund um die größten Migrationswellen seit Ende des Zweite Weltkriegs aus. Die Parteiführer warnen vor „maßloser Zuwanderung“ und „Überfremdung“, die zu „Gewalt und Kriminalität“ im Alltag führt.

Genau diese simplen Parolen will Blocher auch in Brig zum Besten geben. Hunderte SVP-Anhänger drängen sich in der nüchternen Simplon-Halle. Lokale SVP-Granden treten ans Mikrofon, umschmeicheln Blocher mit deftigen Komplimenten. Dann schlurft ein weißhaariger Mann mit ausgebeultem, grauem Anzug auf die Bühne. Christoph Blocher ist da. Zuerst höhnt der Milliardär aus Zürich über die Bundeskanzlerin aus Berlin. Genüsslich zitiert er Merkels Spruch zur Flüchtlingskrise: „Wir schaffen das.“ Natürlich schaffen es die „Dütschen“ nicht, schnarrt Blocher. Die Männer und Frauen aus dem Oberwallis grummeln, nicken. Dann lobt Blocher die Asyl-Politik der Ungarn. Premier Viktor Orban sei der einzige, der das europäische Dublin-Asylabkommen „ernst nimmt“. Wieder Zustimmung aus dem Publikum. Blocher schwadroniert über „Schwarze“ auf dem Mailänder Hauptbahnhof, den „Nebenverdienst Drogenhandel“ für Nigerianer und die Asylsuchenden aus Eritrea: „Da sind relativ wenig Kriminelle“ drunter, ruft der frühere Schweizer Justizminister. Dabei steht er auf einem Bein, streckt das andere Bein und beide Arme weit von sich. Lachen, Johlen auf den Sitzreihen.

Szenenwechsel. Buchs, die Stadt im östlichen Kanton St. Gallen, hat einen Grenzbahnhof, der die Schweiz mit Österreich verbindet. Die Kantonspolizei hatte sich für den großen Ansturm der Flüchtlinge gerüstet. Doch der bleibt aus, bis zu 80 Asylsuchende erreichen Mitte September pro Tag den Kanton. An einem Tag kamen laut „Neue Zürcher Zeitung“ mehr Journalisten als Flüchtlinge zum Bahnhof.

„Insgesamt rechnen wir mit rund 30000 Asylbewerbern im Jahr 2015 für die Schweiz“, erläutert Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga von den Sozialdemokraten. Verglichen mit Deutschland oder Österreich trifft die große Krise die Eidgenossenschaft nicht besonders hart. Warum machen die Flüchtlinge einen Bogen um Helvetien? Aus Bern heißt es: Die Schweiz liegt nicht an den großen Flüchtlingsrouten. Und Deutschland habe eine Sogwirkung auf Flüchtlinge entfaltet, die Helvetien weitgehend verschont lasse.

Diejenigen, die kommen, bereiten dem reichen Land keine ernsthaften Probleme - bislang. Für Unterbringung ist gesorgt: Flüchtlinge kommen in ehemaligen Ferienheimen oder in alten Kasernen unter. Der Kanton Aargau testet Flüchtlingshäuser des Möbelgiganten Ikea. Und falls sich tatsächlich mehr Kriegsopfer, Verfolgte und Arme in die Schweiz durchschlagen, könnten die Behörden kurzfristig 50000 Menschen in leerstehenden Zivilschutzanlagen einquartieren. „Die Situation wäre chaotisch und nicht auf mehrere Monate ausgerichtet“, sagt zwar Verteidigungsminister Ueli Maurer (SVP) zu dem Notplan. „Ein Dach über dem Kopf und eine warme Suppe könnten wir aber Zehntausenden bieten.“ Doch von solchen Zuständen ist die Schweiz noch weit entfernt.

Jan Dirk Herbermann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false