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Die Spitzenkandidatin: Bettina Jarasch (Grüne) und Franziska Giffey (SPD)

© dpa/Jörg Carstensen

Wahl zum Abgeordnetenhaus: Berlin will keinen Wechsel – aber mehr Grün

In Berlin werden wohl SPD und Grüne annähend gleich starke Partnerinnen. Die Koalitionsverhandlungen werden härter als beim letzten Mal. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Lorenz Maroldt

Lange lagen am Wahlabend die Berliner Spitzenkandidatinnen von SPD und Grüne eng beieinander: In den Hochrechnungen der Forschungsgruppe Wahlen im ZDF führte Franziska Giffey, in denen der ARD von Infratest dimap Bettina Jarasch. Offen blieb damit zunächst die Bürgermeisterinnenfrage.

Politisch aber war das Ergebnis schnell klar: Für eine grundlegend andere Koalition als die rot-rot-grüne gibt es in Berlin keine Mehrheit, jedenfalls keine ausreichend stabile, die ein Bündnis von drei Parteien auch durch schwierigere Tage tragen würde. Dafür hat die SPD zu wenig hinzugewonnen, dafür blieb auch die CDU zu schwach. Oder anders gesagt: Eine Deutschland-Koalition aus SPD, CDU und FDP entspricht nicht dem kumulierten Willen der Wählerinnen und Wähler. Es gibt keine Wechselstimmung im Land Berlin.

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Und noch zwei Ergebnisse waren am Abend schnell klar: Erstens, Berlin will nicht weniger Grün, sondern mehr: Niemand gewann klarer hinzu als Jarasch. Und zweitens: Berlin will weniger braunschimmerndes Blau: Keine Partei hat mehr verloren als die AfD.

Das Kokettieren mit anderen Koalitionen, das auch als Übermut zu verstehen war, wird Giffey Punkte gekostet haben. Den Kurswechsel, den sie ihrer Partei aufgezwungen hatte, trugen viele noch mit; die Idee einer Koalition der SPD mit CDU und FDP war ein paar entscheidende Grade zu wendig. Die Aussicht auf ein solches Bündnis wirkt offenbar abschreckend in Berlin, jedenfalls nicht anziehend genug.

Auch die Affäre um ihre Dissertation schleppte Giffey als selbst verschuldeten Malus mit in den Wahlkampf. Es ist keine Nebensächlichkeit, wenn die FU einer Spitzenkandidatin den Doktortitel entzieht. Die Arbeit wies Spuren von Betrug und Schlamperei auf. Das ist auch in Berlin nicht allen egal.

Große Übereinstimmung bei SPD und Grünen

So wird das Land Berlin demnächst sehr wahrscheinlich von einem Senat regiert, in dem vor allem die SPD und Grüne als annähernd gleichstarke Partnerinnen das Sagen haben. Auch inhaltlich passt das zusammen: Eine Tagesspiegel-Auswertung von Positionen der sechs Parlamentsparteien zu 60 inhaltlichen Fragen zeigt die größte Übereinstimmung bei SPD und Grünen. Einzige wichtige Ausnahme: die Verkehrspolitik. Auch zusammen mit den Positionen der Linken liegt Rot-Rot-Grün weit vor anderen Konstellationen. Ausnahme hier: die Wohnungspolitik.

Die Verhandlungen werden also sicher härter als beim vergangenen Mal. Und eine wichtige Frage ist auch noch ungeklärt: Wie viele Konfliktpunkte gibt es nach der Wahl zwischen Franziska Giffey und der SPD? Wie gut passen sie wirklich zusammen, wenn es mal ernst wird?

Dass die SPD überhaupt in die Lage kommt, an führender Stelle über einen neuen Senat zu sprechen, hat sie Giffeys Geschick zu verdanken, die Illusion einer moderaten Veränderung zu erzeugen: nicht so radikal wie Linke und Grüne, sozialer als CDU und FDP. Auch hat Giffey die Bedeutung Berlins außerhalb des S-Bahnrings ernster genommen als andere. Hier leben Zweidrittel der Stadtbewohner, mit sehr anderen Bedürfnissen und Lebensgefühlen.

Giffey gelang es zudem, ihre Zeit als frühere Bürgermeisterin von Neukölln als Kompetenz herauszustellen, sich aber zugleich als Ex-Bundesministerin von allen politischen Fehlfunktionen Berlins zu distanzieren. So verschaffte sie sich das Image einer kenntnisreichen Erneuerin.

Ob das reicht, ist fraglich. Die SPD müht sich seit Jahrzehnten um Verbesserungen. Ein Ergebnis: Die Wahl in Berlin verlief mal wieder so, wie man die Stadt kennt: dysfunktional.

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