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Angst vor dem Abrutschen. Viele Menschen fürchten die Armut.

© picture alliance / dpa

Wahl in den Niederlanden: Europa kann nur übers Soziale gerettet werden

Um Populisten zu stoppen, müssen die Lebensbedingungen verbessert werden, schreiben unsere Gastautoren vom Deutschen und Niederländischen Gewerkschaftsbund.

Wer sich in deutschen und niederländischen Schlachthöfen, Baustellen, Hotels umhört, lernt heutzutage viel über Existenzangst, Ausbeutung und Perspektivlosigkeit. Es ist das Fazit der Menschen, die oft viele Strapazen auf sich genommen haben, weil sie an das europäische Versprechen geglaubt haben: Arbeit, Fairness, Wohlstand. Was sie gefunden haben, sind schlechte Löhne, miese Arbeitsbedingungen, verantwortungslose Chefs. Aber auch bei Menschen, die in anderen Branchen arbeiten und denen es besser geht, sieht es oft nicht anders aus. Sie haben Angst vor dem Abrutschen, vor der Digitalisierung, vor der unkontrollierten Globalisierung, ihnen fehlt eine sichere Perspektive. Sie haben Angst, da zu landen, wo andere bereits sind.

Sie alle sind europäische Wähler. Und viele von ihnen wählen in ihren Heimatländern rechte Nationalisten, weil sie den Versprechen der Rechten glauben, die Mauern um ihre Sorgen und Ängste bauen wollen, statt Lösungen zu bieten. Dieser Rechtsruck ist eine ernste Bedrohung für Europa, deswegen muss die europäische Politik umsteuern. Und zwar nicht nur mit vagen Versprechen, sondern mit konkreten Entscheidungen, die das Leben der Menschen verbessern.

Die Dienstleistungskarte ist ein Affront gegen ein soziales Europa

Nehmen wir die derzeit zur Entscheidung anstehende Dienstleistungskarte. Was die EU-Kommission plant, wird die Situation von Beschäftigten aus EU-Ländern deutlich verschlechtern. Bauarbeiter, Schlachthofmitarbeiter, Spüler würden mit dieser Karte in Deutschland, in den Niederlanden zu den Löhnen ihres Herkunftslandes arbeiten müssen – Billiglöhnen. Das Lohndumping würde sich verschärfen, die Konkurrenz noch härter – und die Angst vor Zuwanderern noch größer. Statt endlich für gleichen Lohn bei gleicher Arbeit am gleichen Ort zu sorgen, fördert die EU-Kommission einen Dumpingwettbewerb auf dem Rücken der Beschäftigten und der Bevölkerung des Gastlandes. Die geplante Dienstleistungskarte ist ein Affront gegen ein soziales Europa. Nehmen wir die Säule sozialer Rechte, die die EU-Kommission vorgeschlagen hat. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat gefordert, dass Europa ein Triple-A-Rating bekommen muss, eine Auszeichnung, die Agenturen besonders kreditwürdigen Unternehmen verleihen. Für Europa heißt das, es muss gerade in seiner sozialen Ausrichtung besonders vertrauenswürdig sein. Aber was bisher durchgesickert ist, ist enttäuschend. 16 000 Vorschläge gab es bei der Internetkonsultation – allein 15 000 von Gewerkschaftern. Darüber wird in der Kommission heftig gestritten, und es ist zu befürchten, dass nicht mehr als ein Strauß unverbindlicher Grundsätze dabei herauskommt.

Investitionen in Infrastruktur, Industrie, Bildung

Statt mutig ein Ziel zu formulieren, droht es beim kleinsten gemeinsamen Nenner zu bleiben, kleinen Drehungen an Stellschrauben, etwa bei der Richtlinie zum Arbeitsvertrag, zur Arbeitszeit und zur Pflege. Im schlimmsten Fall droht die Auflösung von Standards beim Arbeits- und Gesundheitsschutz und den Schutzregeln vor Massenentlassungen. Deutlich ambitionierter sind dagegen die Vorschläge des Europäischen Parlaments, wie die zu einer Rahmenrichtlinie zu Mindestlöhnen und fairen Arbeitsbedingungen. Am 26. April will die EU-Kommission ihre Vorschläge zur europäischen Säule machen. Was wir jetzt brauchen, sind deutliche soziale Fortschritte, eine Säule sozialer Rechte, die verbindlich ist und wirklich trägt.

Darüber hinaus braucht Europa ein starkes Investitionsprogramm in Bildung, in Infrastruktur, in den Industriestandort und eine europäische Energiewende. Dazu gehört eine Politik, mit der dem Steuerdumping ein Ende gesetzt wird.

Wir haben nicht mehr viel Zeit, um Europa zu retten. Den europäischen Mitgliedsländern droht ein Rückfall in nationale Kleinstaaterei und Protektionismus, wenn die rechten Populisten und Feinde der europäischen Integration nicht gestoppt werden. An diesem Mittwoch wählen die Niederlande, ein Favorit ist Geert Wilders, der von Jahr zu Jahr rassistischer, aggressiver, menschenfeindlicher geworden ist. Er kann wohl nicht die Regierung bilden – aber das ist kein Grund zum Aufatmen. Im April wählen die Franzosen. Im Herbst wählt Deutschland. Das ist ein Auftrag an alle demokratischen Parteien in Europa, zu handeln. Jetzt.

Catelene Passchier ist Vizevorsitzende des niederländischen Gewerkschaftsbundes (FNV), Reiner Hoffmann ist Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).

Catelene Passchier, Reiner Hoffmann

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