zum Hauptinhalt
Sahra Wagenknecht bei der Pressekonferenz zum Start von "Aufstehen" im September 2018

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Update

Wagenknechts Rückzug: Todesstoß für "Aufstehen"?

Der Rückzug von Sahra Wagenknecht aus der "Aufstehen"-Spitze hat selbst ihre Mitstreiter überrascht. Manche vermuten, sie wolle "mit zwei blauen Augen raus".

Von Matthias Meisner

Es war einer der Alleingänge, für die Sahra Wagenknecht in den eigenen Reihen berüchtigt ist. An diesem Montag will die Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht nach zweimonatiger krankheitsbedingter Fehlzeit an ihren Schreibtisch in Berlin zurückkehren. Kurz zuvor gibt sie der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" ein Interview, das mit seiner Botschaft sowohl ihre Genossen in der Linkspartei als auch ihre Mitstreiter in der Sammlungsbewegung überrascht: Wagenknecht zieht sich aus der Spitze von "Aufstehen" zurück.

"Die Parteipolitiker sollten sich zurücknehmen, das betrifft auch mich selbst", sagt sie. "Sie waren mit ihren Erfahrungen anfangs notwendig. Aber jetzt ist es richtig, Verantwortung abzugeben." Und: "Dass ich jetzt zwei Monate krankheitsbedingt ausgefallen bin, hatte auch mit dem extremen Stress der letzten Jahre zu tun. Da muss ich eine neue Balance finden."

Der Rückzug war mit anderen Mitgliedern der "Aufstehen"-Führung nicht abgesprochen – beispielsweise der Alt-Grüne Ludger Volmer wusste nichts davon, auch nicht der Ex-SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow. Überrascht war nach eigenen Angaben auch der Brite Steven Hudson, der nach der Bundestagswahl 2017 als Vorsitzender des Vereins #NoGroko für eine Erneuerung der SPD stritt und der zum Arbeitsausschuss von "Aufstehen" gehört. Einer derjenigen aus der Spitze von "Aufstehen", der sich vor vollendete Tatsachen gestellt sieht, sagt dem Tagesspiegel: "Wagenknecht versucht, mit zwei blauen Augen rauszukommen." Für die Bewegung aber sei das möglicherweise "der Todesstoß".

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Das Projekt "Aufstehen", initiiert Ende 2017 von Sahra Wagenknechts Gatten Oskar Lafontaine, ist schon vor Monaten in die Krise geraten. Die wird nun mit dem Rückzug Wagenknechts verschärft. Wirklich gut lief es eigentlich nur bis zum offiziellen Start Anfang September 2018 - die Präsentation damals vor der Bundespressekonferenz fand großes Medieninteresse. Anschließend trugen sich zwar rund 170.000 Leute in den Newsletter der Bewegung ein, von der "Aufstehen"-Spitze wurden sie durchweg als "Unterstützer" verbucht. Doch die Pannen häuften sich.

Bis heute angekreidet wird Wagenknecht, dass sie im Oktober 2018 kurz vor der großen "Unteilbar"-Demonstration in Berlin auf Distanz zu der Bewegung ging, die gegen einen Rechtsruck in Deutschland kämpft. Sie unterstellte damals im, "Unteilbar" wolle "offene Grenzen für alle", eine aus ihrer Sicht "irreale und völlig weltfremde" Forderung, die sich im Aufruf zur Demonstration gar nicht fand. Auch den Versuch von Wagenknecht und Lafontaine, die französische "Gelbwesten"-Bewegung nach Deutschland zu exportieren, fanden viele ihrer Mitstreitern peinlich. Hoch umstritten in den Reihen von "Aufstehen" war auch der Versuch, AfD-Anhänger für die Bewegung zu gewinnen.

"Anschlussfähigkeit an rechtspopulistische Positionen gesucht"

Im Februar veröffentlichten die beiden Berliner Linken-Landespolitiker Tobias Schulze und Alexander Fischer ein Thesenpapier, in dem es heißt, "Aufstehen" sei ein "ultrapopulistisches Projekt" und habe kein auch nur halbwegs belastbares und in die Realität umsetzbares Programm entwickelt. Zugleich sei "die Anschlussfähigkeit an rechtspopulistische Positionen in der Innen-, Migrations-, Außen- und Europapolitik nicht nur nicht abgelehnt, sondern sogar bewusst gesucht" worden.

Lafontaine, bekannt für seinen guten politischen Instinkt, scheint seit einer Weile zu erkennen, dass "Aufstehen" floppt. Im Februar sagte er in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa: "Wir sind sehr gut gestartet. Aber jetzt sind wir in den Mühen der Ebenen, weil es organisatorische Schwierigkeiten gibt." Strukturen der Bewegung in den Ländern, Städten und Gemeinden könnten nicht "von heute auf morgen" aufgebaut werden. Mit der Organisation der Bewegung sei er nicht zufrieden – "kann ich nicht sein".

Vorstandsmitglieder stellen ihre Arbeit ein

"Aufstehen" hat eine extrem komplizierte Struktur. Es gibt einen 20-köpfigen Arbeitsausschuss, der sich mit strategischen Fragen befassen soll, Basisgruppen, dazu einen Trägerverein, der die Sammlungsbewegung technisch und wirtschaftlich unterstützen soll. Auch die Einsetzung von Länderverantwortlichen ist geplant. Dazu gab es einen Arbeitsstab, der im Januar durch einen neuen "vorläufigen politischer Vorstand" ersetzt wurde. Aus Frust über die Entwicklung der Organisation hatten vier von sechs Mitgliedern dieses gerade erst eingesetzten provisorischen Vorstands vor gut einer Woche erklärt, sie wollten ihre Ämter vorläufig ruhen lassen - übrig blieben nur zwei Linken-Politiker, Sahra Wagenknecht und ihr Vertrauter Fabio de Masi.

Die anderen vier wollten so Debatten erzwingen über mehr Transparenz etwa zu den Finanzströmen der Bewegung. Einer sagt: "Es sind so viele Sachen schiefgelaufen, dass keiner Lust hat weiterzuarbeiten." Die Kritiker fordern mehr Demokratisierung. Viel davon hat Lafontaine nach deren Angaben persönlich blockiert - obwohl er gar keinem Gremium von "Aufstehen" formell angehört.

Über Monate als Feuerwehrmann für "Aufstehen" im Einsatz: Wagenknechts Gatte Oskar Lafontaine, Ex-Chef von SPD und Linkspartei.
Über Monate als Feuerwehrmann für "Aufstehen" im Einsatz: Wagenknechts Gatte Oskar Lafontaine, Ex-Chef von SPD und Linkspartei.

© Foto: Britta Pedersen/ZB/dpa

Doch immer wieder schaltete sich der Saarländer in die Diskussionen ein, wirkte quasi als "Feuerwehrmann". Im Interview mit der "Bild am Sonntag" will er das Projekt noch nicht abschreiben. Er spricht von den "üblichen Anfangsschwierigkeiten". Und sagt: "Wir brauchen Zeit." Zur Begründung für die Probleme sagt er, dass "Aufstehen" nur ehrenamtliche Helfer habe "und keine Millionen Steuergelder und Wirtschaftsspenden wie andere Organisationen".

"Linke wurde in Krise getrieben", meint ein Abgeordneter

Mehrere Linken-Bundestagsabgeordnete kritisierten den bisherigen Einsatz von Wagenknecht für "Aufstehen". Anke Domscheit-Berg twitterte: "Dass #Aufstehen scheitern wird, war von Anfang an klar, man kann Bewegungen nicht von oben anordnen und nicht undemokratisch führen, mit etwas Bewegungserfahrung hätte Sahra Wagenknecht das vorher gewusst. Beim Erfolg von Aufstehen hätte sie vermutlich die Linke verlassen, nun ist es andersherum..." Es habe die Linke und die Linksfraktion "sehr belastet, dass Sahra als Fraktionsvorsitzende über lange Zeit mit #Aufstehen andere Prioritäten hatte und inhaltliche Widersprüche zu Fraktions- und Parteipositionen vertrat. Ob ihr Rücktritt von Aufstehen das ändert, wird sich zeigen".

Noch deutlicher wurde der Bundestagsabgeordnete Norbert Müller: "#Aufstehen ist gescheitert", schrieb er auf Twitter. "Das liegt aber nicht an Parteiführungen von #SPD und #Linke (wie absurd), sondern am autoritären Stil seiner Gründer. Die müssen dafür Verantwortung übernehmen und können sich nicht einfach vom Acker machen. #Linke wurde in Krise getrieben fürs Ego einzelner."

Lafontaine rügt fehlende Resonanz in SPD und Linkspartei

Im Umfeld von Wagenknecht wird versichert, der Rückzug aus der Spitze bedeute nicht, dass Wagenknecht "Aufstehen" nun ganz verlasse. Sie wolle weiter auf Veranstaltungen auftreten, werde sogar "das Gesicht der Bewegung" bleiben. Es sei immer geplant gewesen, die Bewegung "an die Basis zu übergeben", ein "ganz logischer Prozess, von Anfang an gewollt".

Für kommenden Donnerstag angesetzt ist eine Krisensitzung des Arbeitsausschusses, den Beratungen dort war Wagenknecht mit der öffentlichen Ankündigung ihres Rückzugs zuvor gekommen. Die Verärgerung über das Vorgehen der Leitfigur ist in den Führungsgremien enorm.

Wagenknecht will "Irritationen" ausräumen

"Aufstehen" verschickte am Sonntagnachmittag eine Erklärung Wagenknechts, in der diese auf die "Irritationen" um ihr Interview reagiert. Wagenknecht schreibt: ",Aufstehen' ist ein großartiges Projekt - und es wird gebraucht. Wir müssen noch sehr viel mehr Druck machen." Allerdings würden genau dafür funktionsfähige Strukturen gebraucht, in den Ländern, vor allem aber an der Spitze von ,Aufstehen'. "Es gab und gibt immer wieder berechtigte Kritik an den Koordinierungsproblemen in der Führung von ,Aufstehen'". Sie werde "selbstverständlich gemeinsam mit allen anderen bisherigen Vorstandsmitgliedern und Vertretern der Basis daran mitarbeiten, dass ,Aufstehen' eine funktionsfähige Führung bekommt, die unserer Bewegung neue Schlagkraft verleiht".

Wie es mit der Sammlungsbewegung weitergeht? Völlig offen. Im Februar hatte Lafontaine auf die Frage, wo er "Aufstehen" in einem Jahr sieht, geantwortet: "Das ist ein offener Prozess. Leider verweigern sich ja bisher die Parteien des linken Spektrums einer Zusammenarbeit und erkennen die Chance nicht." Wagenknecht wiederholte diese Kritik nun im "FAS"-Interview: "Die Parteiführungen von SPD und der Linken fühlen sich in der Sackgasse offenbar so wohl, dass sie die Chance, die ,Aufstehen' mit seiner großen Resonanz bedeutet hat, ausgeschlagen haben." Von eigenen Fehlern im Zusammenhang mit dem Projekt ist weder bei Wagenknecht noch bei Lafontaine je die Rede gewesen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false