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In einer Schule ist nach den Auseinandersetzungen nicht viel übrig geblieben.

© Ahmad GHARABLI/AFP

Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas: Wo die Unruhen jederzeit wieder losgehen könnten

Wie unsicher die Menschen im Nahen Osten leben, zeigt sich in Israels Stadt Lod. Hier geraten Araber und Juden immer wieder aneinander. Ein Besuch.

Endlich herrscht Ruhe. Zwischen der Hamas in Gaza und Israels Armee schweigen die Waffen seit vergangener Woche. Und auch in Lod, einer arabisch- jüdischen Kleinstadt im israelischen Kernland, in der nächtelang jüdische und arabische Randalierer aufeinander losgingen, ist es nun wieder still. Doch in den Herzen der Menschen hier brodelt es. Und keiner weiß, ob und wann es wieder losgehen könnte mit den nächsten Auseinandersetzungen.

Ein Morgen in Lod, vor einigen Tagen. Im Viertel Ramat Eshkol, einem der Brennpunkte, sind die Spuren der Verwüstung allgegenwärtig. Auf einem Sandplatz liegt ein ausgebranntes Auto auf der Seite, ein paar Ecken weiter steht das schwarze Gerippe eines Mülllasters. Die Rollläden der Geschäfte sind heruntergelassen, kaum Menschen sind auf den Straßen zu sehen, abgesehen von Grenzpolizisten, die auf Kreuzungen und Plätzen stehen.

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Eigentlich setzt Israel die Grenzpolizei an seinen Grenzen und in Jerusalem ein. Doch vor zwei Wochen hat die Regierung sie nach Lod geschickt, nachdem der städtischen Polizei die Kontrolle entglitten war. 77 000 Einwohner hat Lod, knapp ein Drittel von ihnen sind Araber. Landesweit machen Israels arabische Bürger ein Fünftel der Bevölkerung aus, viele von ihnen definieren sich als Palästinenser.

Als während des muslimischen Fastenmonats Ramadan palästinensische Demonstranten und israelische Polizisten in Jerusalem aneinandergerieten, gingen viele arabische Bürger Israels aus Solidarität mit ihren Glaubensbrüdern auf die Straße, auch in Lod. Am 10. Mai, wurde dabei ein arabischer Mann erschossen, offenbar von einem jüdischen Anwohner. Die Polizei nahm drei Verdächtige fest. Anschließend eskalierte die Lage vollends. Randalierer attackierten Passanten, zündeten Autos an und warfen Fensterscheiben ein.

Gewalt außer Kontrolle

Auch in anderen gemischten Städten Israels kam es zu Unruhen, doch nirgends geriet die Gewalt derart außer Kontrolle wie in Lod. Synagogen brannten, ein muslimischer Friedhof wurde geschändet. Die Regierung erklärte den Ausnahmezustand in der Stadt und verhängte eine abendliche Ausgangssperre.

Vergangene Woche starb in Lod ein zweiter Mann, diesmal ein Jude. Arabische Angreifer hatten ihn offenbar mit Steinen am Kopf getroffen. Wie zwischen der Hamas und Israel scheint in Lod kein Frieden einzukehren, es herrscht lediglich eine angespannte Waffenruhe.

In Ramat Eshkol sitzen an diesem Morgen im Mai ein paar junge Männer vor einer Moschee auf Plastikstühlen, plaudern und trinken süße Limonade. Einer von ihnen, ein schlanker Mann Anfang Dreißig, beginnt zu erzählen, sichtbar aufgewühlt noch immer. Er nennt sich Ahmed, seinen echten Namen will er nicht gedruckt sehen. „Das macht uns nur Ärger“, sagt er.

Sinnbild eines Konflikts. Nirgends geriet die Gewalt derart außer Kontrolle wie in Lod.
Sinnbild eines Konflikts. Nirgends geriet die Gewalt derart außer Kontrolle wie in Lod.

© Ronen Zvulun/Reuters

Vor einigen Nächten hätten jüdische Männer die Moschee angegriffen. „Wir sind zur Moschee gelaufen, um sie zu schützen“, sagt Ahmed. Er zeigt ein kurzes Video auf seinem Handy. Darauf sind Männer mit Kippa zu sehen, die Steine auf die Moschee werfen. Vor dem Gotteshaus stehen rund zwanzig Araber, einige heben die Hände.

Zumindest auf dem Video wirken sie wehrlos. Dennoch wirft ein Polizist eine Blendgranate in ihre Richtung. Ahmed hat noch mehr Videos und Fotos auf seinem Handy. Einige zeigen einen Mann mit blutigen Wunden an Kopf und Körper. Ahmed sagt, der Mann sei Autist. Juden hätten ihn attackiert, „nur, weil er Araber ist“.

Ein paar Straßen weiter steht ein Haus, in dem arabische und jüdische Familien wohnen. In einer Wand im ersten Stock prangt ein großes Loch, die Tür wurde aufgebrochen, die Wohnung verwüstet. Der Boden ist mit Glassplittern und zerbrochenen Möbelteilen bedeckt. Eine jüdische Familie habe hier gelebt, erzählen aufgebrachte Anwohner.

Plötzlich strömen immer mehr Menschen in die Wohnung, viele von ihnen mit Kamera. Dann tritt die Politikerin Ayelet Shaked ein, eine frühere Justizministerin von der rechten Yemina-Partei. Scherben knirschen unter ihren Absätzen. Sie lässt sich das Ausmaß der Zerstörung zeigen, dann spricht sie ein kurzes Statement in die Kameras. „Man muss die Wahrheit sagen, auch wenn das vielleicht nicht politisch korrekt ist“, sagt Shaked. „Heute fürchten sich die jüdischen Nachbarn vor den arabischen Nachbarn.“

Sie sprechen von „Kristallnacht“

Es ist die Wahrheit: Viele der jüdischen Bewohner Lods haben Angst. „Wie soll ich meine Tochter noch zu Fuß zur Schule gehen lassen?“, fragt eine jüdische Mutter, die nicht weit von der zerstörten Wohnung lebt. Doch es ist nicht die ganze Wahrheit. Auch die arabischen Anwohner haben Angst. Und sie fühlen sich alleingelassen von einer Stadt, die nur die jüdischen Opfer zu sehen scheint.

Von „Kristallnacht“ sprach Lods Bürgermeister Yair Revivo von der rechten Likudpartei. Sein Stellvertreter Yossi Harush, der Shaked bei ihrem Besuch flankierte, sagte, die Araber hätten „ein Pogrom“ verübt. Von den Anschlägen auf arabische Häuser und Autos und von Attacken auf arabische Passanten sprach er nicht.

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Dass es anders geht, zeigen die Verantwortlichen in Ramle, einer jüdisch-arabischen Stadt, die im Süden an Lod grenzt. Auch dort kam es zu Ausschreitungen. Doch die Ereignisse nahmen eine andere Wendung. Ramles Bürgermeister Michael Vidal, ebenfalls von der Likudpartei, rief zu Beginn der Unruhen Vertreter der Polizei, der jüdischen und der arabischen Gemeinde zu Beratungen ein.

Während Anwohner in Lod erzählen, junge Randalierer von außerhalb seien in die Stadt geströmt, hielt Ramles Polizei Außenstehende fern. Dabei konnte sie auf den Rückhalt arabischer und jüdischer Autoritäten zählen. „Was hier im Land passiert, ist ein nationales Desaster“, sagte der Anführer eines arabischen Clans in Ramle, Ali Jerushi, der israelischen Nachrichtenseite „Mako“. „Wir müssen die Randalen stoppen und junge Menschen auf beiden Seiten sehr hart bestrafen. Uns in Ramle ist der Frieden zwischen allen Einwohnern sehr wichtig. Wir werden nicht wie Akko und Lod.“

Wie die Beziehungen zwischen Juden und Arabern in Israel sich in den nächsten Jahren entwickeln, ob sie sich verhärten oder heilen lassen, wird auch davon abhängen, wie viele muslimische und jüdische Wortführer, wie viele staatliche Autoritäten den Weg Ramles einschlagen. Oder den Weg Lods.

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