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Unter Verdacht. Hat Mohammed bin Salman (M.) den Mord an Jamal Khashoggi befohlen? Lässt er in saudischen Gefägnissen foltern?

© Fayez Nureldine/AFP

Update

Vorwürfe von Menschenrechtlern: Saudi-Arabien soll Aktivistinnen gefoltert haben

Saudische Frauen haben sich für Freiheitsrechte eingesetzt und wurden deshalb festgenommen. Nun sagen Zeugen: Die Aktivistinnen werden im Gefängnis misshandelt.

Die Aussagen lassen Schlimmstes erahnen. Und sie sind ein weiterer Beleg dafür, dass das saudische Regime mit großer Brutalität gegen Aktivisten und damit jede Art der Opposition vorgeht – einschließlich willkürlicher Festnahmen, Folter, seelischer Misshandlungen und sexueller Übergriffe.

Dieses Mal sollen vor allem Frauen betroffen sein, die sich seit Jahren für mehr gesellschaftliche Freiheiten einsetzen. Recherchen von Amnesty International und Human Rights Watch zufolge werden mehrere Aktivistinnen und ihre männlichen Mitstreiter in einem Gefängnis nahe der Hafenstadt Dschidda nicht nur gegen ihren Willen und ohne Anklage ihrer Freiheit beraubt, sondern bei Verhören mit Gewalt systematisch drangsaliert und gequält.

Die beiden Menschenrechtsorganisationen berufen sich dabei auf Zeugenaussagen. Sie stammen sowohl aus der Haftanstalt selbst als auch aus dem Umfeld der Gepeinigten. Saudi-Arabien wies die Vorwürfe zurück. Sie seien „gegenstandslos“ und „wilde Behauptungen“, hieß es in einer Mitteilung des saudischen Informationsministeriums am Freitag. Die Anschuldigungen seien „schlicht falsch“.

Zitternde Hände, Blutergüsse am Körper

Den Schilderungen zufolge sind den Frauen mit verschiedenen bestialischen Methoden große Schmerzen zugefügt worden. Während der Verhöre durch maskierte Schergen habe man den Aktivistinnen heftige Stromstöße verabreicht, sie mit Kabeln geschlagen und sexuell belästigt. Berichtet wird auch, dass die Frauen danach nicht mehr in der Lage waren, zu gehen oder sich aufrecht zu halten. Die Hände der Geschundenen zitterten, ihre Körper waren offenbar mit Blutergüssen und Kratzern übersät.

Sollten sich diese Berichte bestätigen, „dann bringen sie nur wenige Wochen nach der brutalen Tötung von Jamal Khashoggi weitere skandalöse Menschenrechtsverstöße durch die saudischen Behörden ans Licht“, heißt es bei Amnesty International.

Bei den Inhaftierten handelt es sich um Frauen und Männer, die in Saudi-Arabien gegen die Diskriminierung von Frauen kämpfen. Sie waren im Mai festgenommen worden – wenige Wochen vor dem Ende des Fahrverbots für Frauen, für das sich die Aktivsten eingesetzt hatten.

Nur mit Genehmigung des Thronfolgers. Frauen dürfen seit einigen Monaten Auto fahren. Doch wer es wagt, das Recht einzufordern, landet im Gefängnis.
Nur mit Genehmigung des Thronfolgers. Frauen dürfen seit einigen Monaten Auto fahren. Doch wer es wagt, das Recht einzufordern, landet im Gefängnis.

© Fayez Nureldine/AFP

Kurze Zeit später landeten weitere Regimekritiker hinter Gittern, unter ihnen Samar Badawi. Sie ist die Schwester von Raif Badawi, der seit sechs Jahren in Haft sitzt. Der Blogger wurde wegen „Beleidigung des Islam“ zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe und 1000 Stockhieben verurteilt. 50 Hiebe bekam er im Januar 2015. Nach massiven Protesten setzten die Behörden die Prügel aus.

Doch ein Ende des Arrests ist nicht in Sicht. Bisher lehnen es die Verantwortlichen der Monarchie ab, Raif Badawi freizulassen.

Verleumdungskampagne der staatlichen Medien

Gleiches gilt wohl für die jüngst festgenommenen Frauenrechtlerinnen. Dass sie bald das Gefängnis verlassen können, ist sehr unwahrscheinlich. Die Aktivistinnen müssen vielmehr damit rechnen, dass ihnen vor einem der berüchtigten Terrorismus-Gerichtshöfe der Prozess gemacht wird.

Nach Angaben von Human Rights Watch werfen die Sicherheitsbehörden den Inhaftierten unter anderem vor, sie hätten „verdächtige Kontakte zu ausländischen Mächten“. Eine Anklageschrift gibt es bisher nicht. Aber die staatlichen Medien haben bereits ein Urteil gefällt: schuldig. In einer regelrechten Diffamierungskampagne werden die Aktivistinnen und Aktivisten als „Verräter“ und „Agenten“ verunglimpft.

Auf den ersten Blick mag das repressive Vorgehen gegen friedliche Oppositionelle nicht zum Reformprogramm von Kronprinz Mohammed bin Salman passen. Der 33-jährige Thronfolger hat seinem Land einen umfassenden Modernisierungskurs verordnet.

Mordopfer. Jamal Khashoggi wurde in Istanbul mutmaßlich von einem saudischen Killerkommando getötet.
Mordopfer. Jamal Khashoggi wurde in Istanbul mutmaßlich von einem saudischen Killerkommando getötet.

© Mohammed al Shaikh/AFP

Doch die wirtschaftliche Öffnung inklusive einiger neuer Freiheiten wie der Fahrerlaubnis für Frauen bedeutet keinesfalls, dass der absolute Machtanspruch des Regimes infrage gestellt werden darf. Bürgerrechte werden allein nach Gutdünken des Königshauses gewehrt. Und für bin Salman steht fest: Kritik an seiner Person oder seinem Kurs wird bestraft. Der Kronprinz steht denn auch im Verdacht, für den Tod des Dissidenten Khashoggi verantwortlich zu sein.

Geständnisse mit Gewalt erpresst

Vor allem seit dem Aufstieg bin Salmans zum mächtigsten Mann des Landes wird Saudi-Arabien von einer Repressionswelle heimgesucht. „Wir beobachten eine deutlich verschlechterte Menschenrechtslage“, sagt Ilyas Saliba. Der Experte für den Nahen und Mittleren Osten bei Amnesty in Deutschland verweist zum Beispiel darauf, dass „routinemäßig in saudischen Gefängnissen gefoltert wird – zum Beispiel mit Peitschenhieben und Elektroschocks – und Geständnisse unter Folter erpresst werden“. Die würden dann völlig unrechtmäßig vor Gericht als Beweismittel verwendet.

Ende nächster Woche nimmt bin Salman am G-20-Gipfel in Argentinien teil. Vielleicht muss der Prinz dort Rede und Antwort stehen. Vielleicht auch nicht. (mit dpa)

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