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Bundeskanzlerin Angela Merkeln spricht im Bundeskanzleramt mit Journalisten.

© picture alliance/dpa

Vorwürfe gegen Richterinnen und Richter: Warum ein Abendessen im Kanzleramt Besorgnis auslösen kann

Unparteilichkeit ist keine Haltung, sondern eine Fähigkeit, die immer wieder neu einzuüben ist. Die AfD stellt sie auf die Probe. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Unabhängig sollen sie sein, unparteilich, unbedingt neutral. Weil kein Mensch diesem Anspruch jederzeit und immer gerecht werden kann, gibt es die Vorschriften zur Ablehnung von Richterinnen und Richtern.

„Befangenheit“ lautet das Schlagwort, und es genügt schon die „Besorgnis“ – irgendein Grund, der Misstrauen in die Unparteilichkeit richterlicher Amtsgeschäfte rechtfertigen könnte.

Das Bundesverfassungsgericht hat den Verfassungsrang dieses Ideals jetzt erneut bekräftigt. „Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden“, steht in Artikel 101 des Grundgesetzes. Ein Richter, der Befangenheitsgründe liefert, kann kein gesetzlicher Richter sein. Er hätte aus dem Spiel genommen werden müssen.

Dem Karlsruher Gericht lag die Beschwerde eines afghanischen Asylbewerbers vor, der vergeblich versucht hatte, einen Richter in seinem Verfahren abzulehnen (Az.: 2 BvR 890/20). Dazu verwies er auf ein befremdliches Urteil des Richters in einem anderen Verfahren. Dort hatte dieser eine Art Propagandatext verfasst, warum der NPD-Slogan „Migration tötet“ im Prinzip nur eine Tatsache beschreibt: Dass Zuwanderer Verbrecher sind. Mörder, um genau zu sein.

Aus einem Urteil eine Kampfschrift zu machen, verbietet sich im Rechtsstaat

Über Gefahren mangelhaft gesteuerter Migration ist zu diskutieren, auch angesichts aktueller Fälle. Aber aus einem Urteil eine ideologische Kampfschrift zu machen, verbietet sich im Rechtsstaat. Selten hat sich Befangenheit so manifestiert wie hier. Es dürfte weit mehr als die übliche „Besorgnis“ gewesen sein. Das zuständige Gericht hätte das merken müssen. Hat es aber nicht.

Bundesverfassungsrichterin Doris König, Vorsitzende des Zweiten Senats, verhandelt demnächst eine AfD-Klage gegen die Kanzlerin.
Bundesverfassungsrichterin Doris König, Vorsitzende des Zweiten Senats, verhandelt demnächst eine AfD-Klage gegen die Kanzlerin.

© dpa

Hier liegt wohl der Kern des Problems. Unparteilichkeit ist mehr als eine theoretische Maxime, sie ist eine praktische Fähigkeit, die täglich neu einzuüben ist. Wer als Richter fest überzeugt ist, unparteilich zu sein, hat das nötige Gleichgewicht wahrscheinlich schon verloren.

Wie ist das eigentlich beim Bundesverfassungsgericht? Noch im Juli werden die Richterinnen und Richter eine AfD-Klage gegen Bundeskanzlerin Merkel verhandeln.

Sie hatte die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD als „unverzeihlich“ kommentiert. Die Rechtspartei sieht darin eine unzulässige amtliche Einmischung in den politischen Wettbewerb.

Die AfD hat schon ein schon einen Befangenheitsantrag eingerecht

Der „Bild“ fiel auf, dass Richter und zu Richtende gerade erst beisammensaßen, beim jährlichen Abendessen im Kanzleramt.

Eine liebe Gewohnheit; ein vertraulicher Austausch der Spitzen von Exekutive und Judikative. Die Öffentlichkeit erfährt so gut wie nichts darüber.

Die im Anschluss versandte Pressemitteilung besteht aus drei Sätzen, wobei der letzte auf die gute Tradition verweist. Es ist nicht klar, welche Erträge diese Treffen haben.

Klar aber ist, dass sie, intransparent, wie sie sind, eine gewisse Skepsis verdienen. Vielleicht sogar irgendwann einmal eine „Besorgnis“, namentlich die der Befangenheit. Die AfD hat in dem demnächst terminierten Verfahren schon einen Antrag eingereicht. Er wird das Gericht auf die Probe stellen.

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