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Gilt manchen Demokraten als "zu links": Bernie Sanders

© AFP/Mark Wilson

Vorwahlen der US-Demokraten: Links schwenken, Trump versenken

Das Wahldebakel von 1972 gegen Nixon erklärt, warum die Demokraten Angst vor radikalen Kandidaten haben. Das müssten sie aber nicht. Ein Gastbeitrag.

Rachel Tausendfreund ist Editorial Director im Berliner Büro des German Marshall Fund of the United States. Peter Sparding ist Transatlantic Fellow beim GMF in Washington DC.

Vor den richtungsweisenden Vorwahlen der Demokraten in Iowa warnen viele Kommentatoren vor einer Wiederholung der Geschichte. Sie sehen Parallelen zwischen der US-Präsidentschaftswahl im November 2020 und der Wahl von 1972.

Damals stellten die Demokraten mit George McGovern einen Vertreter des linken Flügels der Partei als ihren Kandidaten auf und unterlagen dem amtierenden Präsidenten Richard Nixon haushoch. Die historische Parallele wird zusätzlich verstärkt durch die heute bekannten Charakterschwächen Nixons sowie das nahende Amtsenthebungsverfahren wegen des Watergate-Skandals. Die Demokraten wurden durch die Niederlage von 1972 traumatisiert.

Gewann 1972 haushoch die Präsidentschaftswahl: Der ehemalige US-Präsident Richard Nixon im Kreise seiner Familie
Gewann 1972 haushoch die Präsidentschaftswahl: Der ehemalige US-Präsident Richard Nixon im Kreise seiner Familie

© imago images/KHARBINE-TAPABOR

Und so überrascht es kaum, dass nicht wenige heute eine Wiederholung des Desasters befürchten: Denn mit Bernie Sanders und Elizabeth Warren haben gleich zwei Kandidaten des linken Flügels eine realistische Chance auf die Nominierung.

Mehr junge Leute und mehr Nicht-Weiße

Doch trotz einiger oberflächlicher Parallelen: 2020 ist nicht 1972. Das Land und das Wählerverhalten haben sich verändert, und Sanders oder Warren hätten das Potenzial, die Wahl gegen Trump zu gewinnen.

Zuallererst ist die demografische Entwicklung zu berücksichtigen. Das Amerika von 2020 ist deutlich diverser als das Amerika von 1972. Die USA sind heute schlicht weniger weiß. (Bis 1980 waren mehr als 84 Prozent der Wahlberechtigten weiß, heute stellen Weiße nur noch 66,7 Prozent).

Die USA sind im Jahr 2020 deutlich diverser als noch 1972.
Die USA sind im Jahr 2020 deutlich diverser als noch 1972.

© REUTERS/Carlo Allegri

Zwar unterstützen weiße Amerikaner weiterhin mehrheitlich die Republikaner (laut dem Meinungsforschungsinstitut PEW Research 51 Prozent zu 43 Prozent), der Vorteil der Demokraten in den anderen, wachsenden Bevölkerungsgruppen ist jedoch enorm. So favorisieren 84 Prozent Prozent der afroamerikanischen und 63 Prozent der hispanischen Wahlberechtigten die Demokraten.

Dazu kommt noch ein dramatischer Generationenunterschied zugunsten der Demokraten. Im Wahljahr 2020 könnte die Gruppe der sogenannten Millennials (geboren von 1981 bis 1996) zusammen mit jüngeren Wählern zum ersten Mal den gleichen Wähleranteil erreichen wie die Generation der Babyboomer und der Älteren. In den Midterm-Wahlen vom November 2018 gewannen die Demokraten in der Gruppe der unter Dreißigjährigen mit einem Vorsprung von 38 Prozentpunkten.

Die Polarisierung verhindert Erdrutschsiege

2004 behaupteten die Politikexperten John Judis und Ruy Teixeira, dass diese neue, zunehmend erfolgreiche demokratische Koalition „McGoverns Rache“ sei. Dieses „Bündnis aus Minoritäten, aus arbeitenden und alleinerziehenden Frauen, aus Akademikern und qualifizierten Fachkräften“, das zum ersten Mal im Wahlkampf von George McGovern sichtbar wurde, hat Barack Obama zwei Mal zum Sieg verholfen.

Diese Trends sind nicht neu, und viele demokratische Strategen warnen davor, sich auf demografischen Entwicklungen auszuruhen. Doch noch ein weiterer Faktor spricht dafür, dass auch progressive Kandidaten eine Chance auf einen Wahlsieg haben: die extreme politische Polarisierung der USA. Sie hat dazu geführt, dass erdrutschartige Wahlentscheidungen beinahe unvorstellbar sind. Nahezu jeder Kandidat, der von einer der Parteien aufgestellt wird, hat somit eine gute Chance zu gewinnen.

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Bei der vergangenen Wahl hatte die Koalition aus „McGovern“-Wählern nicht ausgereicht. Während der demokratische Wähleranteil insgesamt größer war, haben die Republikaner durch die Verteilung ihrer Wähler und durch die Tatsache, dass die ländlichen Staaten im Wahlmännerkolleg (Electoral College) überrepräsentiert sind, einen strukturellen Vorteil.

Gesucht wird eine „sichere Wahl“

Die schockierende Wahlniederlage 2016 hat die Demokraten stark verunsichert, hing sie doch letztendlich nur von knapp 80.000 Stimmen ab, die auf nur drei entscheidende Bundesstaaten verteilt waren. Aus Angst, noch mal zu verlieren, suchen viele Demokraten nun eine „sichere Wahl“, wie etwa das bekannte Gesicht von Joe Biden.

Dabei vergessen sie, dass auch Hillary Clinton sowohl 2008 als auch 2016 als „sichere Wahl“ für die Demokraten galt. Wenn sich viele heute nach einem Kandidaten wie Obama sehnen, vergessen sie, dass auch der 2008 in den Vorwahlen zunächst als der riskante, linke Kandidat gehandelt wurde, weil er sich rebellisch gab und einen fundamentalen Wandel für das Washingtoner System versprach.

Die amerikanischen Wähler haben wiederholt gezeigt, dass sie etwas Neues, etwas anderes wollen. Obama versprach eine hoffnungsvolle Erneuerung, Donald Trump eine zornige. Bernie Sanders und Elizabeth Warren, was immer ihre Schwächen sein mögen, stehen eindeutig für einen Wandel. Und sie wirken authentisch.

Voller Energie: Elizabeth Warren spricht bei einer Wahlkampfveranstaltung in Iowa zu ihren Anhängern.
Voller Energie: Elizabeth Warren spricht bei einer Wahlkampfveranstaltung in Iowa zu ihren Anhängern.

© dpa/Joel Lerner/XinHua

Zudem sind viele ihrer vermeintlich sehr „linken“ Positionen ziemlich populär, und zwar nicht nur unter demokratischen Wählern. Elizabeth Warrens „Wealth Tax“, eine Art Vermögensteuer, erzielt in vielen Umfragen mehr als 60 Prozent Unterstützung und wird auch von einer Mehrheit der Republikaner befürwortet. Auch Warrens Plan, Studienschulden zu erlassen, wurde laut einer Umfrage von 56 Prozent aller Wahlberechtigten (Demokraten und Republikaner) befürwortet.

Nixon war kein schlechter Kandidat

Obwohl die Mehrzahl der Amerikaner mit der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung zufrieden ist, glauben zwei Drittel nicht daran, dass die nächste Generation es besser haben wird. Das sind Zahlen, die für systemische Änderungen sprechen. Und möglicherweise auch für Mut. Viel deutlicher als alle anderen möglichen KandidatInnen wagen es Sanders und Warren für umfassende Veränderungen einzutreten.

Nur die totale Verstaatlichung von Krankenversicherung (Medicare-for-All), die Sanders und Warren beide befürworten, ist tatsächlich eher unpopulär und politisch riskant. Doch in einigen Umfragen findet auch dieser „radikale“ Vorschlag bei 55 Prozent aller Befragten Unterstützung. In einer „Fox News“-Umfrage befürworteten allerdings nur etwa 40 Prozent der Wähler Medicare-for-All.

Damit wäre es etwa so unbeliebt wie Trumps Mauer an der Grenze zu Mexiko. Aber auch diese erwies sich als populäres Versprechen, um die eigene Basis zu motivieren.

Elizabeth Warren (4. v. l.) und Bernie Sanders (5. v. l.) marschieren gemeinsam beim Martin Luther King Day.
Elizabeth Warren (4. v. l.) und Bernie Sanders (5. v. l.) marschieren gemeinsam beim Martin Luther King Day.

© AFP/Sean Rayford

Zu guter Letzt ist vielleicht auch einfach die Grundannahme falsch, dass McGovern verlor, weil er zu links war. Weil wir heute wissen, wie die Geschichte für Nixon endete, vergessen wir leicht, dass er in der Tat kein schlechter Kandidat war. Denn 1972 lief die amerikanische Wirtschaft gut, die Anzahl der amerikanischen Toten im Vietnamkrieg war gesunken, und mit der Annäherung an China hatte Nixon einen historischen Erfolg einfahren können.

Natürlich sollte man versuchen, aus der Vergangenheit zu lernen. Manchmal könnte die Angst, Fehler zu wiederholen, aber auch einfach nur Angst sein.

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