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Der britische Historiker Timothy Garton Ash.

© imago/Rudolf Gigler

Vorstellung des Sicherheitsberichts: "Konflikte nehmen zu, die Kriegsgefahr wächst"

Die Welt brauche mehr internationale Kooperation, sagt der Historiker Garton Ash vor der Münchner Sicherheitskonferenz. Dies fange mit dem Brexit an.

Wenn die Lage nicht viel mehr als erlaubt als Wehklagen und Händeringen, dann soll man das wenigstens mit Humor tun. Diesen britischen Umgang mit Krise und Niedergang zelebrierte Timothy Garton Ash, Bestseller-Autor und Oxford-Professor, bei der Vorstellung des "Munich Security Report 2019" in Berlin am Montag. Die Veranstaltung bildet traditionell den Auftakt zur Sicherheitskonferenz in München am kommenden Wochenende.

"Das große Puzzle - wer sammelt die Teile auf?" ist der Bericht überschrieben. Die Analysen und Umfrageergebnisse lesen sich wie eine Warnung: Wo man hinschaut, nehmen die Konflikte zu, wächst die Kriegsgefahr - und schwindet der Glaube an Konfliktprävention und Krisenmanagement. "Wir brauchen mehr internationale Kooperation", analysierte Garton Ash, "aber wir haben immer weniger Zusammenarbeit."

"Ein Brexit treibt die Desintegration voran"

Viele Europäer, ganz voran die Deutschen wollen in der EU eine Ordnungsmacht sehen. Aber die Hoffnungen, dass die EU "weltpolitikfähig" werde, wie EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker das formulierte, haben keine sonderlich tragfähige Grundlage, leitete Garton Ash sein Kettenwort-Spiel ein. Der Brexit bedeute einen "Weltpolitikfähigkeitsverlust" für die EU. Umso dringender sei eine "Weltpolitikfähigkeitsverlustvermeidungsstrategie". Die müsse mit der Vermeidung des Brexits beginnen. Es sei ein Irrglaube, dass die EU nach dem Austritt der integrationsskeptischen Briten handlungsfähiger werde. Langfristig und strategisch werde die Desintegration der EU zunehmen. Länder wie Dänemark und Polen würden den Brexit als Vorlage nehmen, wie sie ihre Bindung an die EU lockern.

Garton Ash setzt weiter auf ein zweites Referendum. Er gestand zwar zu, dass es dafür keine Mehrheit im britischen Parlament gebe. Aber deshalb sei nun "hohe Staatskunst gefragt".

Die EU sagte: erst ein geordneter Brexit, dann eine neue Beziehung

Sabine Weyand, die stellvertretende Brexit-Unterhändlerin der EU, glaubt nicht an ein zweites Referendum. Das britische Parlament sei dagegen. Und es gebe nicht einmal eine öffentliche Kampagne mit einem positiven Narrativ über die EU in Großbritannien. Und ohne eine solche positive Botschaft sei nicht mit einem klaren Pro-EU-Votum in einer erneuten Abstimmung zu rechnen. Großbritannien und die EU hätten beide ein Interesse an einer strategischen Partnerschaft. "Dazu brauchen wir aber erstmal einen geordneten Brexit." Das Londoner Parlament müsse entscheiden, ob es einen "Crash-out" oder ein Übergangsabkommen vorziehe.

Für die EU sei "die Zukunft der EU wichtiger als der Brexit", schilderte Weyand die Prioritäten in Brüssel. Der Brexit trage zur Selbstvergewisserung der EU bei. Sie mache Fortschritte in der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Auf Rückfragen nach praktischen Beispielen nannte Weyand "Pesco", die strukturelle vertiefte Kooperation in Verteidigungsfragen, gestand aber zu, dass sie noch sehr am Anfang sei.

Auch Wolfgang Ischinger, der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, hatte bei seinem Ausblick auf München in der Bundespressekonferenz am Montag in Berlin die Bedeutung der EU hervorgehoben. Die EU müsse zeigen, dass sie "wohlauf ist". Und dass sie trotz aller Krisen "bereit ist, für ihre Selbstbehauptung und ihre Interessen zu kämpfen".

Deutschland „könnte wesentlich mehr zur strategischen Stärke und Handlungskraft Europas beitragen, indem es seine konventionellen Fähigkeiten weiter verbessert“, sagt Ischinger und verweist auf die Forderungen des ehemaligen Verteidigungsministers Volker Rühe (CDU) im "Tagesspiegel am Sonntag".

Die Deutschen vertrauen Putin mehr als Trump

Die Umfragen im "Security Report" werfen allerdings die Frage auf, ob die Hoffnungen auf Europa richten, weil die Europäer der EU viel zutrauen, oder eher, weil das Vertrauen in die traditionellen Supermächte sinkt, ganz voran in die USA. Auf die Frage, welchem Staats- und Regierungschef sie zutrauen, die richtigen Entscheidungen zu treffen, nennen Deutsche und Franzosen drei mal öfter den Chinesen Xi Jinping als Trump. Auch Wladimir Putins trauen sie mehr zu als Trump, die Deutschen sehen den Russen noch positiver als den Chinesen, die Franzosen sehen ihn zwischen Trump und Xi.

Trump kommt in der Umfrage des Pew-Forschungsinstituts auf zehn Prozent Zutrauen in Deutschland und neun Prozent in Frankreich. Putin auf 35 Prozent in Deutschland und 20 Prozent in Frankreich. Xi auf 30 Prozent in Deutschland und 26 Prozent in Frankreich. Weit mehr trauen Deutsche und Franzosen Kanzlerin Merkel und Präsident Macron – wobei auffällt, dass die Deutschen mehr Vertrauen in Macron (77 Prozent) als in Merkel (68 Prozent) haben. Und die Franzosen umgekehrt mehr Vertrauen in den Kanzlerin (78 Prozent) als in ihren Präsidenten (64 Prozent).

Unterschiede gibt es auch im Willen der Deutschen und der Franzosen zu internationaler Verantwortung. 59 Prozent der Deutschen wollen "international neutral" sein, bei den Franzosen sind es 42 Prozent. Deutlich mehr Franzosen (42 Prozent) als Deutsche (32 Prozent) sprechen sich für eine "Beteiligung an militärischen Interventionen, wenn nötig" aus. Garton Ash nannte die deutschen Umfrageergebnisse "erstaunlich und beunruhigend".

Noch nicht zurück in der schwindelfreien Zone

So bleiben zwei Kurzresümees als Warnung im Raum stehen. Tobias Bunde, Leiter Politik und Analyse der Sicherheitskonferenz, verkündet das Ende alter Gewissheiten. Was man vor einem Jahrzehnt gehofft habe, sei nicht mehr sicher: dass die USA eine europäische Macht bleiben, dass Russland kein Gegner, sondern ein - wenn auch schwieriger - Partner werde und dass China sich öffnen werde.

Der bayrische Staatsminister Florian Herrmann erinnert an den "Security Report" vor einem Jahr: Der Titel "Zum Abgrund und zurück?" drückte die Hoffnung auf, dass die Gefahren durch internationales Krisenmanagement eingegrenzt werden können. Er konstatiert: "Auch 2019 sind wir nicht zurück in der schwindelfreien Zone."

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