zum Hauptinhalt
Da ist noch mehr Platz für Demokratie. Der Spreebogen aus der Luft.

© mauritius images

Vorschlag für das Bürgerforum: Ein Haus für Demokratie im Spreebogen

Eine Lösung für den Spreebogen: Das geplante Bürgerforum könnte Besucherzugang für den Reichstag und gleichzeitig ein interaktiver Demokratie-Raum werden. Ein Gastkommentar.

In die Diskussion um die Gestaltung des Regierungsviertels ist wieder Bewegung gekommen. Denn noch immer ist unvollendet, was das Architektenteam Axel Schultes und Charlotte Frank in ihrem prämierten Masterplan für den Spreebogen vorgedacht haben: das den Spreebogen durchziehende „Band des Bundes“. Jetzt will die Berliner Verkehrsverwaltung – wurstig-pragmatisch wie gewohnt – dieses unvollständige Band endgültig durchschneiden.
Architekt Schultes wehrt sich gegen das klammheimliche und kleinkarierte Begräbnis eines städetbaulichen Großwurfs. Und die Initiative „Die Offene Gesellschaft“ hat eine Kampagne gestartet, um zu verhindern, dass aus der provisorischen Straßenführung eine dauerhafte wird. Beide erinnern an die eigentliche Bestimmung der großzügigen Fläche zwischen Bundeskanzleramt und Paul-Löbe-Haus: Hier sollte das Bürgerforum entstehen. Ein Ort, an dem sich die Bürgerinnen und Bürger als ebensolche erleben: als Menschen in der Demokratie. Als Mitredende. Als Mitgestaltende. Als Mitverantwortliche.

Dieses Forum könnte ein Ort sein, an dem wir unsere gebrochene Demokratiegeschichte betrachten, ihre Wurzeln entdecken, ihre glückhaften Erfolge feiern, ihre Gegenwart erleben und gemeinsam über ihre Zukunft nachdenken. Ein solcher Ort fehlt in Berlin und er fehlt in Deutschland. Sein Platz wäre der Spreebogen.

Gewiss: Die Demokratie-Geschichte hat bereits Adressen in Deutschland. Ein Besuch im Reichstag ist beeindruckend und der Gang durch die Kuppel gewährt Aus- und Einblicke in die Demokratie in Aktion. Das Hambacher Schloss, die Paulskirche in Frankfurt, das Nationaltheater in Weimar, der alte Plenarsaal in Bonn sind gebaute Zeugen des Ringens der Deutschen um Demokratie. Das Haus der Geschichte in Bonn mit seinen Dependancen in Berlin und Leipzig, das Deutsche Historische Museum, Ausstellungen und Denkmäler laden ein zur Beschäftigung mit unserer Demokratie. Ganz zu schweigen von den Orten, an denen Demokratie im Alltag ge- und erlebt wird: den Ratssälen, Kreis- und Landtagen, den Studierendenparlamenten, Personalversammlungen und Vereinshäusern.

Demokratie mit allen Sinnen erfahren

Indes: Ein Lernort der Demokratie gerade dort, wo ihr Herz schlägt - am Bundestag; ein Ort, der die Demokratie-Orte vernetzt, der Geschichte und Gegenwart der Demokratie in Deutschland zusammenbringt, an dem Bürgerinnen und Bürger mit allen Sinnen erfahren können, was es bedeutet, in der Demokratie und für sie zu leben, der wäre ein Gewinn: für Berlin, für Deutschland.

Demokratie mit allen Sinnen erfahren: Wie das geht, zeigt eindrucksvoll das Beispiel des National Constitution Center in Philadelphia. Das Center versteht sich als interaktives Museum, nationale Townhall und Hauptquartier politischer Bildung. Hier wird rund um das zentrale Dokument amerikanischer Demokratie, die US-Verfassung, Demokratiegeschichte lebendig, werden demokratische Prinzipen im wahrsten Sinne des Wortes erleb- und begreifbar. Artefakte, Mitmachstationen, interaktive Ausstellungselemente vermitteln die Bedeutung abstrakter politischer Prinzipen. Was heißt Gewaltenteilung? Ein hands-on-Objekt aus Waagen veranschaulicht das Prinzip der Checks and Balances, dessen Tüchtigkeit sich gerade in diesen Zeiten in Washington bewähren muss, da ein Mann im Weißen Haus sitzt, der nicht in Balance ist.

Was heißt Meinungsfreiheit? In Performances fordern Museumsführer die Besucher dazu auf, ihre Meinung zu sagen – und die ihres Nachbarn anzuhören. Was hat die #Metoo-Debatte mit Freiheit und Demokratie zu tun? Darüber kann mit der legendären Supreme Court Richterin Ruth Bader Ginsberg live diskutiert werden.

Ein Ort, an dem Demokratie sich bildet

Das National Constitution Center in Philadelphia ist nicht ganz frei von patriotischem Kitsch. Wem das zu viel ist, dem sei ein Blick nach Brüssel in das dortige Parlamentarium empfohlen. Das Besucherzentrum des Europaparlaments in Europas Hauptstadt „übersetzt“ mit einer interaktiven Ausstellung die Prinzipien der Demokratie in Europa und macht plastisch, welche Rolle das sonst so unnahbar wirkenden EP dabei spielt.
Apropos Besucherzentrum: Dem Deutschen Bundestag fehlt ein solches völlig. Seit Jahren ersetzen peinlich-hässliche Container auf der Reichstagswiese einen zentralen Besucherzugang. Pläne, ein Besucherzentrum unterhalb der Reichstagswiese zu schaffen, scheitern bislang am Geld, am schwierigen Baugrund, am U-Bahn-Tunnel und wohl auch am mangelnden politischen Willen.

Warum nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Das ursprünglich geplante Bürgerforum zum zentralen Besucherzugang für den Reichstag machen mit einem Tunnel und/oder einer kühn geschwungenen Brücke Richtung Reichstagsbau. Und das Forum zu einem interaktiven Demokratie-Raum machen: als Auftakt zum Reichstagsbesuch, in Ausstellungen und auf Mitmachflächen, mit Platz für Diskussion und Streit, für und mit Bürgerinnen und Bürgern. Ein Ort der Demokratiebildung, an dem Demokratie sich bildet.

2019 feiern wir 100 Jahre Demokratie in Deutschland. Das passende Geschenk dazu? Der Grundstein für ein „Haus der Demokratie“ im Berliner Spreebogen.

Anne von Fallois ist Hauptstadtrepräsentantin der Kienbaum-Gruppe, Thomas Kleine-Brockhoff leitet das Berliner Büro des German Marshall Fund.

Anne von Fallois, Thomas Kleine-Brockhoff

Zur Startseite