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Taliban-Kämpfer an einem Kontrollpunkt in Farah

© Reuters/Stringer

Update

Vormarsch der Taliban in Afghanistan: US-Militär kann täglich Tausende aus Kabul ausfliegen

Die Taliban rücken weiter in Afghanistan vor. Die USA sind nach Angaben des Pentagon bereit, bei Bedarf Tausende Menschen täglich aus Kabul zu evakuieren.

Die USA sind nach Angaben des Pentagon dazu bereit, täglich tausende Menschen aus der afghanischen Hauptstadt Kabul auszufliegen. Die Kapazität für den Lufttransport sei „kein Problem“, sagte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, John Kirby, am Freitag. Wie viele Menschen aber tatsächlich befördert würden, hänge vom Außenministerium ab, betonte er.

Das US-Militär schickt rund 3000 Soldaten als Verstärkung zum Flughafen der afghanischen Hauptstadt, um die Reduzierung des Personals der US-Botschaft in Kabul zu unterstützen. Zudem soll das Militär beim Ausfliegen Tausender früherer afghanischer Mitarbeiter der US-Behörden und des US-Militärs helfen, die sich vor den Taliban in Sicherheit bringen wollen.

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Die Afghanen sollen sich außerhalb des Landes um Visa bewerben können, um dann in den USA neu zu starten. Kirby sagte, es sei auch möglich, verbündete Staaten und Partner beim Ausfliegen von Personal zu unterstützen, falls es solche Hilfsersuchen geben sollte. Das Pentagon hatte die Verlegung der zusätzlichen Kräfte nach Kabul am Donnerstag angesichts der dramatischen Gebietsgewinne der Taliban angekündigt.

Trotz des raschen Vormarsches der radikalislamischen Taliban in Afghanistan erklärte Kirby jedoch, die Hauptstadt Kabul sei derzeit nicht "unmittelbar gefährdet". Zugleich räumte er ein, dass die Islamisten auf eine "Isolierung Kabuls" setzten.

Die USA beobachteten mit "großer Sorge", in welcher Geschwindigkeit die Taliban ihre Kontrolle in Afghanistan ausbauten sowie den "Mangel an Widerstand, mit dem sie konfrontiert sind", sagte Kirby weiter. Die Afghanen forderte er auf, den Taliban-Angriffen mit der "politischen" und "militärischen" Führung zu begegnen, die "an der Front erforderlich sind".

Deutschland reduziert Botschaftsmitarbeiter in Kabul drastisch

Auch Deutschland zieht angesichts des raschen Vormarsches der radikalislamischen Taliban in Afghanistan einen Großteil seines diplomatischen Personals aus dem Land ab. "Wir werden die Belegschaft der deutschen Botschaft in Kabul in den nächsten Tagen auf das operativ notwendige absolute Minimum reduzieren", sagte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) nach einem Treffen des Krisenstabs im Auswärtigen Amt am Freitag.

Die Taliban standen zu dem Zeitpunkt nur noch wenige dutzend Kilometer vor Kabul. Maas sagte bei einem Besuch im baden-württembergischen Denzlingen, es werde "sofort" ein Krisenunterstützungsteam in die afghanische Hauptstadt geschickt, das dabei helfen solle, die "Sicherheitsvorkehrungen" zu erhöhen.

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Die "ohnehin für diesen Monat vorgesehenen Charterflüge" für das diplomatische Personal würden vorgezogen. Zudem sollten mit den Charterflügen auch afghanische Ortskräfte nach Deutschland gebracht werden. Um die Ausreise zu beschleunigen, würde jenen Ortskräften, die noch kein deutsches Visum hätten, dieses künftig in Deutschland erteilt, sagte Maas weiter.

Alle deutschen Staatsbürger, die sich noch in Afghanistan befinden, rief er eindringlich auf, "das Land jetzt zu verlassen". Die Zahl der Deutschen in Afghanistan schätzt das Auswärtige Amt nach Angaben eines Sprechers derzeit auf eine hohe zweistellige Zahl - Bundeswehrangehörige und anderes "entsandtes Personal", etwa in der Botschaft, nicht eingerechnet. Die deutsche Botschaft in Kabul soll laut Maas auch nach der Evakuierungsaktion "arbeitsfähig" bleiben.

[Wie ein afghanischer Bundeswehr-Helfer die Lage einschätzt, können Abonnenten von T+ hier lesen: „Ihr Deutschen habt uns für euren Krieg benutzt“]

Nach Darstellung von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer verzögert die afghanische Bürokratie derzeit die Ausreise ehemaliger Ortskräfte, die wegen ihres Engagements für die Bundeswehr in ihrer Heimat um Leib und Leben fürchten müssen. „Es gibt im Moment einen Engpass. Das ist die Tatsache, dass die afghanische Seite selbst die Leute nur aus dem Land lässt, wenn sie einen afghanischen Reisepass haben“, sagte die CDU-Politikerin am Donnerstag im Deutschlandfunk. Das sei im Moment „der größte Flaschenhals“.

Das Auswärtige Amt versuche derzeit, die afghanische Regierung von dieser Praxis abzubringen. Da müsse „diplomatisch und politisch gearbeitet werden“, sagte Kramp-Karrenbauer. Auf die Frage, ob sie eine Rückkehr der Bundeswehr nach Afghanistan ablehne, um die Betroffenen aus dem Land herauszuholen, sagte die Ministerin: „Wir sehen im Moment die andere Möglichkeit.“ Daran werde Tag und Nacht gearbeitet, weil man sich in der Pflicht sehe, „dass die Leute rauskommen“.

Eine Reisewarnung für Afghanistan besteht bereits seit langem. Ende März wurde bereits eine Ausreiseaufforderung ausgesprochen, die mit der nun versandten Aufforderung noch einmal unterstrichen wird, wie es in der Nachricht heißt.

Europäische Länder ziehen Staatsbürger aus Kabul ab

Dänemark und Norwegen kündigten indes am Freitag die vorübergehende Schließung ihrer diplomatischen Vertretungen in Kabul an. Sämtliche Angestellte der dänischen Botschaft werden evakuiert, darunter auch lokal ansässige afghanische Mitarbeiter, wie der dänische Außenminister Jeppe Kofod am Freitagnachmittag nach Angaben der Nachrichtenagentur Ritzau und der Sender DR und TV2 auf einer Pressekonferenz in Kopenhagen sagte.

Die Deutsche Botschaft in der afghanischen Hauptstadt Kabul.
Die Deutsche Botschaft in der afghanischen Hauptstadt Kabul.

© Michael Kappeler/dpa

Wann genau die dänische Botschaft geschlossen wird, konnte Kofod aus Sicherheitsgründen nicht sagen. Erst am späten Mittwochabend hatte sein Ministerium mitgeteilt, dass sowohl aktiven afghanischen Botschaftsangestellten als auch früheren lokal ansässigen Mitarbeitern der Botschaft und des Militärs der vergangenen beiden Jahre angeboten werde, sie mit ihren Partnern und minderjährigen Kindern nach Dänemark zu evakuieren.

Kurz darauf kündigte auch Norwegens Außenministerin Ine Eriksen Søreide einen solchen Schritt ihres Landes an. Beide machten klar, dass die Sicherheit von Angestellten, Entsandten und lokalen Mitarbeitern allerhöchste Priorität habe.

Auch Finnlands Außenminister Pekka Haavisto erklärte, sein Land werde "angesichts der sich rasch verschlechternden Sicherheitssituation" bis zu 130 Afghanen und ihre Familien aufnehmen, die "im Dienste Finnlands, der EU oder der Nato gearbeitet" hätten. Die finnische Botschaft in Kabul bleibe aber vorläufig geöffnet.

Seit Mitte April haben die Taliban große Teile Afghanistans erobert

Die USA, Großbritannien und andere Länder haben ihre Bürger in den vergangenen Wochen zur schnellstmöglichen Ausreise aufgerufen. Frankreich oder Indien haben bereits Repatriierungsflüge durchgeführt.

Seit der Entscheidung über den Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan Mitte April haben die Taliban große Teile des Landes erobert. Am Mittwoch nahmen sie mit Faisabad eine weitere Provinzhauptstadt ein, in der einst die Bundeswehr mit einem großen Feldlager stationiert war. In Kundus brachten sie den Flughafen und eine große Militärbasis unter ihre Kontrolle, in der vergangenes Jahr noch rund hundert deutsche Soldaten stationiert waren. Am Donnerstag fiel die wichtige Provinzhauptstadt Gasni im Südosten Afghanistans an die Taliban. Die strategisch wichtige Stadt liegt weniger als 150 Kilometer von der Hauptstadt Kabul entfernt. (dpa, AFP)

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