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 “Polizei und Sexarbeit, einst und jetzt”, lautete der Titel einer auf englisch geführten zweitägigen Veranstaltung in der HU.

© picture alliance / dpa

Vorgehen gegen Prostitution einst und jetzt: Der mächtige Blick der Polizei

Eine Berliner Fachtagung klärt über die Rolle von juristische, aber auch die soziale Rolle der Sitten- und Grenzpolizei für Sexarbeit auf.

Prostitution und Polizei – das war noch immer ein spannungsreiches- bis feindseliges Verhältnis. Gleichzeitig sind Polizeiakten und die Memoiren von Kriminalkommissaren und Ehemaligen der "Sitte" oft die einzige Quelle für Wissen über Prostitution – die freilich gegen den Strich zu lesen ist. Während die einen ihrer Arbeit eher nachgingen, ohne Schriftliches darüber zu hinterlassen, waren die andern ausdrücklich gehalten, ihre Arbeitskontakte ins "Milieu" zu protokollieren und zu den Akten zu nehmen. Ohne die Polizei wäre es "unmöglich, über Prostitution zu erzählen", sagt die Historikerin Sonja Dolinsek. Ihre Geschichte sei in Polizeiquellen aufbewahrt und ein reicher Schatz von Memoirenliteratur pensionierter Beamter, "höchst politisch und interessant" warte noch darauf, von Fachleuten gehoben zu werden.

Drei Prostituierte ziehen vor Kanadas höchstes Gericht

Dolinsek und ihre Kollegin, die Politikwissenschaftlerin Mira Fey, organisierten in der vergangenen Woche einen Fachkongress zum heiklen Verhältnis von “Polizei und Sexarbeit, einst und jetzt”, so der Titel der auf englisch geführten zweitägigen Veranstaltung. Dabei kamen nicht zufällig immer wieder auch Grenzpolizeien in den Blick. Schließlich ist Prostitution, namentlich die auf der Straße, im globalen Norden zunehmend ein Erwerbszweig von Migrantinnen und Migranten. Soweit die Tatsache, die für viele Interpretationen offen ist. Während Gegnerinnen dies als Ergebnis von Menschenhandel erklären, weisen Sexwork-Aktivistinnen unter anderem darauf hin, dass dies mit der leichteren Zugänglichkeit der Sexindustrie zusammenhängt: Selbst Jobs im Niedriglohnsektor verlangen mehr Sprachkenntnis, als viele Migrantinnen mitbringen, etliche andere Arbeitsmöglichkeiten schrecken wegen (noch) mehr Ausbeutung und schlechterer Bezahlung ab.

Ein jüngeres Beispiel für die enge Verbindung von Prostitutions- und Migrationspolitik bot auf der Tagung Kanada: Dort war Sexarbeit bis 2014 im Strafgesetz geregelt, strafbar waren prinzipiell alle, die im Sektor tätig waren, die Sexworkerinnen ebenso wie Bordellchefinnen, die Kunden, selbst Personenschützer, die Prostituierte anheuerten, oder Anwältinnen, die sie benötigten. Das änderte sich mit dem Grundsatzurteil im “Fall Bedford”. Kanadas oberster Gerichtshof gab den Klägerinnen recht, die durch die Kriminalisierung ihrer Erwerbstätigkeit ihre Grundrechte auf Leben, Freiheit und Sicherheit verletzt sahen. Das Gericht, so die Rechtsanwältin Frances Mahon, die über den Prozess in Berlin berichtete, reagierte auf den hohen Input von wissenschaftlicher Expertise und Praxiserfahrung aus der Sozialarbeit, die den Standpunkt der Klägerinnen teilten. Der Supreme Court habe damals moralische Standpunkte völlig außer Acht gelassen, die Öffentlichkeit habe große Sympathie für die Sache der drei Klägerinnen gehabt. Noch erstaunlicher: "Deren Argumente, dass die gültigen Gesetze die Grundrechte von Sexarbeiterinnen gefährdeten, teilten weitgehend sowohl die, die Dekriminalisierung von Sexarbeit forderten, wie die, die sie weiter per Strafrecht verfolgt sehen wollten”, sagte Mahon, die den Prozess noch während ihres Jurastudiums begleitete.

Auf Repression folgt noch schärfere Repression

Dennoch geschah das Gegenteil dessen, was das Urteil erwarten ließ: Die damals regierenden Konservativen reagierten mit einem noch stärker repressiven neuen Gesetz, das nun unter anderem auch Werbung für Sex-Angebote unter Strafe stellt. Der Kampf gegen Prostitution wurde zu einem gegen Migration: Für Sexarbeit gibt es keine Arbeitserlaubnis, wer aber andere Arbeit angibt, riskiert Haft und Abschiebung: “Die Einwanderungsgesetze machen Prostitution de facto illegal für alle, die keine Staatsbürgerinnen sind oder eine Daueraufenthaltserlaubnis haben”, sagt Alison Clancey, Geschäftsführerin von “Swan”, einer Hilfsorganisation für migrantische Sexarbeiterinnen in Vancouver. Swan brach die Kontakte zur Polizei ab, nachdem sie selbst zeitweise Ziel von Untersuchungen waren, ob sie mit ihrer Hilfe für Sexarbeiterinnen gegen das neue Gesetz verstoßen hatten. Wie es kommen konnte, dass ein Urteil, das klar eine Liberalisierung vorgab, für ein repressiveres Gesetz genutzt werden konnte? Die kanadische Regierung erklärte kurzerhand die Zielgruppe für eine andere als die vom Supreme Court beurteilte, sagt Mahon. In der Polizeiarbeit fand dies praktischen Niederschlag, erklärt Alison Clancey: “Die Polizei sagt nun, ihr Fokus habe sich verschoben. Man verfolge nicht mehr einzelne Sexarbeiterinnen, sondern verlege sich auf die Befreiung von Personen, die man für Opfer von Menschenhandel halte.” Eine Befreiung, die zwangsläufig in die Abschiebung mündet.  

"Sittenpolizei schafft Normen - Sexworker sind die Abweichung"

Dem großen Fallbeispiel Kanada waren auch zwei weitere Vorträge über den Umgang der Polizei mit indigenen Sexarbeiterinnen (Menaka Raguparan von der Carleton University) und die Wechselbeziehungen zwischen Sexindustrie, Polizei und Medien (Alexandra Tigchelaar, Concordia University) gewidmet. Vieles, was dabei fürs kanadische policing, den politischen und polizeilichen Umgang mit Prostitution, aufschien, gilt auch für den anderer Länder: Der Kampf gegen, das uralte Unbehagen am – weiblichen – Tausch von Sex gegen Geld hat unter der Globalisierung die Kleider gewechselt. Prostitution ist zu einem Arbeitsfeld der Migrationskontrolle geworden, sowohl tatsächlich als auch im Werben um die öffentliche Meinung – die Frau als Opfer von Menschenhandel hat das aus der Mode gekommene Bild der Frau als sittliche Gefahr abgelöst.

Dabei bleibt Prostitution offenbar Spielfeld des Identitären und der gesellschaftlichen Kontrolle über Frauen. Die Befunde von Priska Komaromi, die einen Fall aus dem sozialistischen Ungarn Anfang der 1970er Jahre untersuchte, und die von Julia Leser, die deutsche Polizeibeamte zirka 40 Jahre später auf Streife durch Wohnungsbordelle begleitete und protokollierte, ähneln einander verblüffend. Janos Kádars Gulaschkommunismus setzte auf inländischen Konsum und brauchte Westtouristen wie auch das Geld, das sie bei ungarischen Sexarbeiterinnen ließen. Gleichzeitig verfolgte die sozialistische Polizei die Frauen strafrechtlich – sie erhielten Gefängnis- und drastische Geldstrafen – wie moralisch: In den Akten werden sie als schlechte Mütter und unsozialistische Luxusgeschöpfe gebrandmarkt, das entsprechende Gesetz von 1961 behandelte Prostitution denn auch als "Delikt gegen die Ehe, Familie, die Jugend- und Geschlechtermoral". Lesers deutscher Polizeibeamter Fuchs tut seinen Dienst heute im Namen einer ganz ähnlichen Moral von “Geschlechterrollen, Familienwerten und dem Rang von Sex in der Gesellschaft”. Das, so Leser, sei die soziale Rolle der Sittenpolizei: Eine Normalität herstellen, die nicht einfach existiere, “sondern durch Polizeipraxis hergestellt” werde. “Mit der Folge, dass Sexarbeit zu einer Abweichung vom Normalen wird.”

Nationalismus und Prostitution

Sie kann sogar Nationalismus befeuern, so die These von Liana Kupreishvili , die die Geschichte des Rotlichtviertels der georgischen Hauptstadt Tiflis im Wandel der Zeit beforschte. Wurde Prostitution dort bis ins 20. Jahrhundert, freilich als notwendiges Übel, toleriert, so ist sie heute zum Schauplatz des Kampfs um “unsere Frauen” und das “Herr-im-eigenen-Haus”-Sein geworden. Weil georgische Frauen soziale Vernichtung fürchten müssen, wenn sie in den einschlägigen Läden gesehen werden, haben die Gastronomen, in Sorge ums Geschäft, Lokalverbote für Georgier verhängt.

Wo Politik und Polizei keine Notwendigkeit für soziale Kontrolle sehen, kann Prostitution auch einmal unbehelligt stattfinden, wie Benjamin Abt, Sexwork-Aktivist und Linguist an der Universität Genf, über männliche Prostitution in der Schweiz berichtete. Die Schweizer Gesetzgebung, so zitiert Abt einen Fachanwalt, habe vor allem den Zweck gehabt, die Freier vor Erpressung durch ihre Dienstleister zu schützen - die freilich ihrerseits dadurch gefährdet waren. Seit sich das weitgehend erledigt habe - der Umgang mit Homosexualität ist liberaler geworden - und auch die Drogenszene kaum noch Eingriffsgründe biete, interessiere Mann-Mann-Prostitution niemanden mehr in der Schweiz, die Polizei nicht, die NGOs nicht, auch Politik und Wissenschaft nicht. Mit der Folge, dass auch der Schutz, den Aufmerksamkeit biete, nicht mehr da sei. Und, womöglich, zum Schaden jener Wissensvermehrung über Sexarbeit, die seit je Sache der Polizei war.

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