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Robert Habeck am 12. Juli in Wien.

© REUTERS/Leonhard Foeger

Update

Vorgehen bei Gasknappheit: Habeck stellt Schutz von privaten Haushalten infrage – und bekommt Gegenwind

Wenn Gas knapp wird, sind Verbraucher nach derzeitigen Regeln geschützt und die Industrie nicht. Hier müsse noch mal nachgedacht werden, meint Robert Habeck.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat die bisher vorgesehene Priorisierung von Verbrauchern gegenüber der Industrie im Falle einer Gasknappheit infrage gestellt. Private Haushalt müssten auch „ihren Anteil leisten“, sagte Habeck bei einem Besuch in Wien am Dienstag.

Denn „eine dauerhafte oder langfristige Unterbrechung von industrieller Produktion“ hätte „massive Folgen“ für die Versorgungssituation.

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„Die europäische Notfall-Verordnung Gas sieht vor, dass kritische Infrastruktur und Verbraucher geschützt sind und Industrie und Wirtschaft nicht“, führte der Wirtschaftsminister aus.

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Dies sei sinnvoll bei kurzfristigen und regionalen Problemen, etwa wenn ein Kraftwerk ausfällt. „Und dann sagt man naja, das überbrücken wir mit Kurzarbeitergeld für die Industrie und wir reparieren dann später, aber frieren soll niemand.“

Schreckensszenario einer monatelangen Unterbrechung von Gasströmen

„Das ist aber nicht das Szenario, das wir jetzt im Moment haben“, sagte Habeck. „Wir reden hier möglicherweise von einer monatelangen Unterbrechung von Gasströmen.“ Deshalb müsse an dieser Stelle noch mal nachgedacht und nachgearbeitet werden.

Habeck zielt mit seinen Äußerungen auf verbindlich geltende europäische Regeln. Darin ist klar festgelegt, dass private Haushalte und elementare Infrastruktur wie etwa Krankenhäuser „geschützte Kunden“ sind. Diesen darf nach geltender Rechtslage nur dann das Gas abgestellt werden, nachdem zuvor alle anderen Kunden – vor allem Kraftwerke und Industrieverbraucher – nicht mehr bedient werden. Eine nennenswerte Debatte auf europäischer Ebene, dies zu ändern, gibt es bisher nicht. Das will Habeck offenbar ändern.

Raed Saleh: „Das ist unterkühlte Politik“

Berlins SPD-Landes- und Fraktionschef, Raed Saleh, wirft Habeck vor, die Kosten des eigenen energiepolitischen Versagens auf die Verbraucher abzuwälzen. „Es ist richtig, die Industrie und Arbeitsplätze zu sichern. Habeck will aber die zu befürchtenden Kostenexplosionen von bis zu 500 Prozent auf die Verbraucherinnen und Verbraucher abwälzen“, sagte Saleh dem Tagesspiegel am Dienstag. „Das ist unterkühlte Politik.“

Zuvor hatte Habeck die Priorisierung der Gasversorgung für Haushalte infrage gestellt. Eine dauerhafte Unterbrechung von industrieller Produktion hätte massive Folgen für die Versorgung, sagte Habeck am Dienstag. Saleh forderte von Habeck, dass sich der Bund bei den explodierenden Kosten stärker zu beteiligen habe. Der Bund habe durch die gestiegenen Kosten überall zwischen 2021 und 2023 „rund 50 Milliarden Euro ungeplante Mehreinnahmen aus genau diesen Kostenentwicklungen bei der Mehrwertsteuer“, wie Saleh sagte.

Raed Saleh, Landesvorsitzender der SPD Berlin und Vorsitzender der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus.
Raed Saleh, Landesvorsitzender der SPD Berlin und Vorsitzender der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus.

© Carsten Koall/dpa

„Ich mache mir große Sorgen, dass in Deutschland die Mittelschicht abrutscht.“ Habeck müsse nun „Machen statt Warnen“. Saleh kritisierte außerdem, dass die Grünen selbst die jetzige Entwicklung mit verursacht hätten.

„Die Grünen haben schon 2020 und im Wahlkampf 2021 Erdgas zur Übergangstechnologie erklärt, um den Kohleausstieg zu forcieren und kannten natürlich die Abhängigkeit von den Öl- und Gaslieferungen aus Russland und die geringen Füllstände unserer Speicher“, sagte der SPD-Landes- und -Fraktionschef.

Mieterbund und Mieterverein reagieren ablehnend

„Habecks Versprechungen zur Lieferung von Flüssiggas aus aller Luft scheinen Luftschlösser.“ Habeck warne „immer blumiger“ vor den eigenen Entscheidungen. „Er verhält sich wie ein Chefarzt, der bei der Herznot-OP keinen Bypass legt, sondern über die angeblich falsche Ernährung des Patienten in den letzten Jahren schimpft.“

Beim Mieterbund reagiert man ablehnend auf Habecks Äußerungen: „Wir erwarten, dass die Bundesregierung sich an geltendes EU-Recht hält und wirklich alle Hebel in Bewegung setzt, um die Gasversorgung für private Haushalte und Industrie sicherzustellen“, teilt der Verband auf Nachfrage des Tagesspiegels mit.

Spekulationen darüber, die Priorisierung von kritischer Infrastruktur wie Krankenhäusern oder Altenheimen und privaten Haushalten aufzuweichen, seien weder zielführend noch sachdienlich.

Auch der Berliner Mieterverein äußerte sich skeptisch und fordert die bisherige Priorisierung beizubehalten. Geschäftsführer Reiner Wild befürchtet aber, dass ordnungsrechtliche Vorgaben Eingriffe in die zulässige Raumtemperatur ermöglichen werden und es so zu einer Privilegierung von Eigentümern gegenüber Mietern käme.

Debatte um AKW-Laufzeiten

Unterdessen setzt die FDP die Grünen beim verlängerten Einsatz der Kernkraft in Deutschland unter Druck. Eigentlich sollen die verbliebenen drei AKW Ende des Jahres abgeschaltet werden. Die Union fordert angesichts der Energiekrise schon länger vehement, diese vorerst nicht vom Netz zu nehmen.

Nun sprach sich auch FDP-Fraktionschef Christian Dürr für eine längere Laufzeit der der AKW aus. Der energiepolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Michael Kruse, sagte dem Tagesspiegel, Deutschland brauche zur Klärung der offenen Fragen einen „Kernkraftgipfel“ mit Betreibern von Kraftwerken, den zuständigen Branchenverbänden und der Politik. „Es darf keine Kilowattstunde leichtfertig verschenkt werden, wenn wir im Winter in eine Notlage kommen sollten.“

Die Grünen halten das für eine Scheindebatte. Sowohl Habeck als auch Fraktionschefin Katharina Dröge wiesen die Forderungen zurück. Atomkraft helfe kaum, die Gasknappheit in Deutschland zu lindern.

Der Schlüssel für die Zukunft und damit auch die Lösung unserer Energieprobleme liegt doch in  Technologien, die auch in Deutschland entwickelt wurden und jetzt eben beherzter eingesetzt und auch gefördert werden müssen.

schreibt NutzerIn Betzemaad

Bei der Gasversorgung gehe es vor allem um die Bereiche Wärme und Industrie, sagte Habeck. „Da hilft uns Atomkraft gar nichts.“ Er verwies zudem auf aufwendige Sicherheitsprüfungen im Falle eines Weiterbetriebs.

Der Berliner Senat arbeitet an eigenen Konzepten, um Berliner vor dem Frieren im Winter zu bewahren. Das bestätigte Sozialsenatorin Katja Kipping dem Tagesspiegel. „Ich mache mir gerade wirklich viele Gedanken über den bevorstehenden harten Winter der Energiearmut und was Berlin da zum Abfedern leisten kann“, sagte die Linke-Politikerin.

Nach Tagesspiegel-Informationen könnten das zum Beispiel Wärmeinseln sein. Es wird diskutiert, Stadtteilzentren oder andere Sozialeinrichtungen dafür zu nutzen. Allerdings laufen hier noch die Beratungen mit „allen Akteuren“, wie die Sozialverwaltung auf Tagesspiegel-Anfrage mitteilte. Die Belegung von Turnhallen sei jedoch explizit nicht geplant, sagte Kipping.

Gemeinsame Erklärungen zur Energiesicherheit

Am Montag war Habeck in Tschechien gewesen und hatte dort eine gemeinsame Erklärung zur Energiesicherheit unterzeichnet. Ziel sei es, „ein klares Signal der Kooperation zwischen unseren Ländern zu senden“, erklärte der Vizekanzler anschließend. Eine ähnliche Erklärung unterzeichnete er nun in Wien mit der dortigen Energieministerin Leonore Gewessler.

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Österreich ist in hohem Maße abhängig von russischen Energieimporten und steht deshalb wie Deutschland angesichts ausbleibender Gaslieferungen stark unter Druck. Russlands Präsident Wladimir Putin habe es auf eine Spaltung der Europäer abgesehen, sagte Gewessler. „Aber es wird Putin nicht gelingen, weil und wenn wir zusammenstehen.“

Österreich als Binnenland setze etwa auf Importe über Terminals zur Anlandung von Flüssiggas an den deutschen Küsten. Mit AFP.

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