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"Auch die Kommune mitten ins Herz getroffen" - Trauernde vor dem Olympia-Einkaufszentrum nach den Morden.

© Christof Stache/AFP

Vor fünf Jahren starben neun Menschen: Wie München aus dem rassistischen Anschlag aufs OEZ lernte

Fünf Jahre ist es her, dass ein Rassist im Münchner Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen tötete. Die Stadt übernahm spät Verantwortung – aber nicht zu spät.

An diesem Donnerstag liegt der Anschlag auf das Münchner Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) fünf Jahre zurück. Was offiziell als Amoklauf eines psychisch labilen 18-Jährigen eingeordnet wurde, der gemobbt worden war, enthielt von Anfang an Zeichen einer rassistisch motivierten Tat: Alle neun Getöteten stammten aus eingewanderten Familien oder gehörten Minderheiten an.

Ein Sinto und ein Roma waren unter den Opfern, die übrigen wurden vom Täter David S. als Muslime gesehen. Er mordete in München exakt am fünften Jahrestag der Massenmorde von Oslo und Utoya, hinterließ ein Manifest entsprechenden Inhalts und hatte Online-Kontakte in die rechtsextreme Szene. An seiner Schule und auch während einer psychiatrischen Therapie hatte sich David S., der selbst einen iranischen Hintergrund hatte, massiv rassistisch geäußert.

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Dennoch brauchte es drei Jahre, bis die Lesart der Morde – fünf weitere Menschen verletzte der Täter – offiziell richtig gestellt wurde und die Ermittlungsbehörde den rassistischen Hintergrund anerkannte.

Die Stadt München lernte daraus, wie die Leiterin der Münchner Fachstelle für Demokratie, Miriam Heigl, kürzlich auf Einladung des Mediendienstes Integration berichtete. Nicht nur Sicherheitsbehörden und die Zivilgesellschaft müssten sich in solchen Fällen engagieren. Auch eine Kommune treffe „so ein Anschlag mitten ins Herz“, sagte sie.

Das tut er nach Erkenntnissen von Heigl und den ebenfalls am Podium beteiligten andern Fachleuten nicht zuletzt durch diese Nichtanerkennung der Hintergründe. „Es spielt den Tätern in die Hände, wenn sich Behörden drei Jahre lang dagegen sträuben, wenn nach drei Gutachten, die zum Ergebnis kommen, dass die Tat rassistisch war, das Landeskriminalamt noch ein viertes in Auftrag gibt“, sagte Onur Özata, Anwalt eines Nebenklägers in München, der auch eines der Opfer von Halle vertrat.

Anwalt: Man geht zum Schießtraining, aber nicht zur Menschenrechtsbildung

Nach Auffassung von Britta Schellenberg, die an der Ludwigs-Maximilians-Universität München Vorurteilskriminalität erforscht, wird die „Bedrohung der pluralen Demokratie“ entsprechend desto stärker, je weniger gut Behörden diese Art von Kriminalität bearbeiteten. Die Botschaft, die sie an die Gesellschaft aussende, funktioniere dann erst recht: Minderheitenangehörige trauten sich nicht mehr auf die Straße. Die Gewalt solcher Taten sei härter, weil sich Täter und Opfer nicht kennen, die Botschaft verstärke sich, denn „sie korrespondiert mit mit grassierenden Vorurteilen in der Gesellschaft, zum Beispiel dem gegen Muslime, Sinti und Roma“.

Das herrschende Konzept „Extremismus“ nannte die Forscherin „ganz fürchterlich“. Es verorte die Täter außerhalb der Gesellschaft, obwohl ihre Vorurteile „auch stark sind in der Mitte der Gesellschaft“. Der Begriff Extremismus „versperrt den Blick auf diese Taten“. Auch die Festlegung auf die psychische Krankheit eines Täters oder einer Täterin sei wenig hilfreich: „Es ist gar kein Gegensatz, psychisch krank und rassistisch zu sein.“

Die Stadt München, „Schauplatz des schlimmsten rechten Attentats der Bundesrepublik seit dem Oktoberfestanschlag von 1980 und zweier NSU-Morde, so Heigl, reagierte nach der Tat: Sie gab selbst Gutachter in Auftrag, um die Hintergründe herauszufinden, und ließ zudem das Dunkelfeld von Hasskriminalität in der Stadt erforschen. „Wir wollten mehr wissen und Konsequenzen für unser Handeln ziehen", nachdem bis dahin „immer zu spät reagiert und Leid nicht anerkannt wurde“.

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Am heutigen Donnerstag wird es ein Gedenktreffen der Überlebenden und Angehörigen der Opfer von München, Hanau und Halle in München geben.

Die Strafverfolgung muss aus Sicht von Anwalt Özata und Forscherin Schellenberg noch nachlegen: „Hasskriminalität spielt in der juristischen Ausbildung eine Nullkommanull-Rolle“, sagte der Jurist. Eine Pflicht zur Weiterbildung gebe es auch später nicht. Als Lehrbeauftragter für junge Polizeibeamte habe er deren große Offenheit für das Thema erlebt. Später allerdings sei es auch dort weg vom Schirm: „Man geht in regelmäßigem Turnus zum Schießtraining, aber nicht mehr zur Menschenrechtsbildung. Obwohl man ständig in Menschenrechte eingreift.“

Schellenberg findet es „verblüffend“, dass es in Bayern mit seiner Geschichte rassistischer Gewalt „keine Maßnahmen, keine Programme gegen Hasskriminalität und Rassismus“ gebe. Diese „merkwürdige Leere“ habe auch Folgen für die Institutionen. Und sie sieht auch eine Verantwortung von Medien.

Deren Sensibilität sei zwar größer geworden im Laufe der letzten Jahre: „Früher galten selbstverständlich die Opfer als die Fremden, nicht die Täter als fremd den Werten der Gesellschaft gegenüber.“ Andererseits habe die Kölner Silvesternacht vor fünf Jahren auch hier die Standards wieder verschoben, wie Studien herausgefunden hätten. Täternamen würden wieder genannt, „und das geschieht besonders häufig, wenn sie nicht deutschdeutsch klingen“, sagt Schellenberg. „Wer das hört und liest, prägt es sich ein. So entstehen wieder Vorurteile.“

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