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Knapp vorn. Das Kandidatenpaar Olaf Scholz und Klara Geywitz.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Vor der Stichwahl zum Parteivorsitz: Warum die SPD vor einem Lager-Wahlkampf steht

In Runde eins des SPD-Kandidatenrennens ging es mehr um Stil als um Inhalt. Das wird sich jetzt ändern. Eine Richtungsentscheidung steht an.

Die Hausverwaltung hat extra einen Wegweiser mit drei dicken, schwarzen Pfeilen aufgestellt. „Eingang über die Passage“, ist auf dem Schild neben dem Willy-Brandt-Haus zu lesen. Es soll sich niemand verlaufen an diesem so wichtigen Tag – vor allem nicht die 250 freiwilligen Helfer, die ab sechs Uhr morgens die Stimmen für die Wahl der neuen SPD-Doppelspitze auszählen. Im fünften Stock der Parteizentrale sitzen sie an breiten Holztischen. Darauf stehen rote Plastikboxen, in denen sich die Wahlzettel stapeln. Zum Öffnen der Briefumschläge hat die Partei eine spezielle Schlitzmaschine besorgt. Mehr als als 300 Kuverts pro Minute kann das Gerät aufschneiden.

Die SPD hat sich gut vorbereitet auf diesen Tag – den vorläufigen Höhepunkt eines monatelangen Prozesses: 23 Regionalkonferenzen mit 20000 Besuchern hat die Partei in den vergangenen Wochen veranstaltet, rund 1,2 Millionen Euro wird der Bundesschatzmeister für das ganze Verfahren schätzungsweise ausgeben müssen.

Am Ende steht die Entscheidung, wer die Sozialdemokratie künftig führen wird – und in welche Richtung. Rückt die SPD weiter nach links? Oder hält sie Kurs und setzt die große Koalition fort?

Olaf Scholz und Klara Geywitz knapp vorn

Eine abschließende Antwort darauf gibt es an diesem Samstagabend nicht. Das Willy-Brandt-Haus ist voll besetzt, als kurz nach 18 Uhr die Wahlhelfer langsam über das Treppenhaus hinunter ins Atrium strömen. Unten steigt die Spannung. Bis jetzt haben alle dicht gehalten in der Parteizentrale, nichts ist nach draußen gesickert. Dann tritt die Interims-Vorsitzende Malu Dreyer zusammen mit Generalsekretär Lars Klingbeil und Bundesschatzmeister Dietmar Nietan vor die Presse. Nietan gibt das Ergebnis bekannt: Das Team Olaf Scholz und Klara Geywitz liegt vorn – knapp.

„Sehr erleichtert“ wird sich der Finanzminister und Vizekanzler Scholz wenig später zeigen. „Das waren schon wilde Wochen“, sagt Geywitz mit Rückblick auf die erste Runde des Kandidaten-Castings. Die beiden lächeln viel an diesem Abend. Richtig zufrieden sein können sie aber eigentlich nicht mit diesem Ergebnis. Weniger als zwei Prozentpunkte trennen sie von den Zweitplatzierten, dem ehemaligen NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans und der Bundestagsabgeordneten Saskia Esken – beide dezidiert linke Kandidaten und im Vergleich zu Scholz auf Bundesebene weitgehend unbekannt.

Große Freude: Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken.
Große Freude: Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken.

© dpa/Bernd von Jutrczenk

Die zeigen sich hocherfreut über ihr gutes Ergebnis. „Die Chance haben wir immer gesehen“, sagt Walter-Borjans. Jetzt wollen sie weitermachen wie bisher – mit einem linken Profil. Im Mittelpunkt ihrer Kampagne soll die „Verteilungsfrage“ stehen, sagt Esken. Man wolle die „große Sehnsucht nach Sozialdemokratie“ bedienen.

Klara Geywitz betont hingegen, wie wichtig eine solide Industriepolitik sei. Die SPD dürfe nicht nur über Umverteilung reden, „sondern auch über die Frage, wie der Wohlstand entsteht“.

Flügelwahlkampf: Links gegen Rechts

Damit zeichnet sich bis zur Stichwahl, die Ende November stattfinden soll, eine Art parteiinterner Lagerwahlkampf ab – links gegen rechts. In der ersten Runde, bei den Regionalkonferenzen fehlte das weitgehend. Die am Schluss verbliebenen sechs Teams vermieden es, die großen Unterschiede zueinander zu betonen. Vielmehr beteten alle Kandidaten bei den Regionalkonferenzen die selben sozialdemokratische Klassiker – Friede, Europa, Gerechtigkeit – herunter, mit denen man in der SPD verlässlich Applaus erhält.

Nun ist eine stärkere Polarisierung zu erwarten – nicht nur über die inhaltliche Ausrichtung der Partei, sondern vor allem über die Frage nach einem möglichen SPD-Ausstieg aus der Groko. Dass Scholz und Geywitz dagegen sind, ist bekannt. Wie sieht es aber mit Walter-Borjans und Esken aus? „Das wird sich an der Frage der Inhalte klären und nicht an der Frage selbst“, sagt Walter-Borjans. Man werde nun prüfen, ob sich mit der Union noch „gewinnbringend“ zusammenarbeiten lasse. Die Aussichten dafür seien eher gering, meint der Ex-Minister. Seine Ko-Kandidatin Esken wird deutlicher: Sie sehe für die weitere Zusammenarbeit mit CDU und CSU „eigentlich keine Chance“ mehr. Die Zeit der „lauwarmen Kompromisse“ müsse ein für allemal vorbei sein.

Fast 80 Prozent gegen Scholz und Geywitz gestimmt

Schaut man sich die Zahlen an, scheint die große Koalition zumindest von den SPD-Mitgliedern bereits abgewählt zu sein. Immerhin haben fast 80 Prozent gegen Scholz und Geywitz gestimmt. SPD-Interimschefin Malu Dreyer hält solche Rückschlüsse allerdings für „nicht gerechtfertigt“, das sei „etwas verkürzt“, sagt sie.

Um die zweite Runde zu gewinnen, müssen Walter-Borjans und Esken das linke Lager hinter sich vereinen. Die Chancen dafür stünden gut, sagt ein Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion. Wer in der ersten Runde einem radikalen Groko-Gegner wie Karl Lauterbach oder dem linken Parteivize Ralf Stegner die Stimme gegeben habe, würde jetzt kaum Scholz und Geywitz wählen.

Die werden wiederum alles tun müssen, um die Groko-Befürworter in der Partei zu mobilisieren. Die Fraktion, so heißt es, werde dafür nun ihr Bestes geben, und in der Koalition etwa auf eine schnelle Entscheidung in Sachen Grundrente drängen.

Vielleicht lassen sich so diejenigen Genossen zur Wahl bewegen, die in der ersten Runde nicht abgestimmt haben. Die Wahlbeteiligung lag bei 53 Prozent. Die andere Hälfte der SPD-Mitglieder hat nicht teilgenommen an dem „Fest der Demokratie“, wie der Mitgliederentscheid in der SPD auch genannt wird.

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